Oliver Haffner

Wackersdorf

Versammlung der Demonstranten. Foto: ©if... Productions Erik Mosoni. Fotoquelle: Alamode Filmverleih
(Kinostart: 20.9.) Weißwurst und Widerstand: Regisseur Oliver Haffner inszeniert ein gut gespieltes Drama um den Widerstand gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf – sein Geschichtsstück driftet allerdings am Ende in Richtung Heldensaga ab.

„In Bayern wächst das Wackersdorf-Gefühl“ titelte die Süddeutsche Zeitung im Mai dieses Jahres. Es ging um den Widerstand gegen das sogenannte Polizeiaufgabengesetz, das die Befugnisse der Polizei in Bayern enorm erweitert hat. Es trat trotz der Proteste in Kraft. Die Schlagzeile verdeutlicht, wie tief die Proteste gegen die in den 1980er Jahren geplante atomare Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf die bayerische Politik geprägt haben.

 

Info

 

Wackersdorf

 

Regie: Oliver Haffner,

123 Min., Deutschland 2018;

mit: Johannes Zeiler, Peter Jordan, Florian Brückner

 

Website zum Film

 

Wackersdorf war ein prägendes Ereignis der westdeutschen Umweltbewegung und gleichzeitig eine ihrer größten Erfolgsgeschichten. Zudem wurden die tiefen Gräben zwischen einem paternalistischem Staatsapparat und einer Zivilgesellschaft offenbar, die nicht mehr alle Entscheidungen „von oben“ widerspruchslos hinnehmen wollte.

 

Strukturschwache Gegend

 

Die kleine Gemeinde Wackersdorf am östlichen Rand von Bayern war auch deshalb als Standort ausgewählt worden, weil die Bevölkerung der strukturschwachen Gegend mit ihren ausgekohlten Braunkohletagebauen als „industriegewohnt“ galt und die künftigen Arbeitsplätze dankbar annehmen würde – so das Kalkül der Politiker in München.

Offizieller Filmtrailer


 

Befeuerte Atomanlage

 

Nicht gerechnet hatten sie mit dem Widerstand der Bevölkerung, welcher das Bauprojekt über etliche Jahre begleitete. Tschernobyl entlarvte die „ungefährliche Atomtechnik“ schließlich als Augenwischerei. 1989 wurde das Aus für die Anlage verkündet, stattdessen einigten sich die deutschen Energiekonzerne mit den Franzosen auf eine gemeinsame WAA in La Hague.

 

Regisseur Oliver Haffner erzählt die Ereignisse aus der Perspektive des SPD-Landrates Hans Schuierer (Johannes Zeiler), der zu einer Leitfigur des Widerstandes wurde. Anfangs ist der volksnahe Politiker über die WAA-Pläne noch höchst erfreut. Ein Enthusiasmus, der vom Industrievertreter Karlheinz Billinger (wunderbar schleimig: Fabian Hinrichs) nach allen Regeln der Kunst befeuert wird. Bedenken des Landratsjuristen Claus Bössennecker (Peter Jordan) wischt er zunächst vom Tisch.

 

Landrat ohne Internet

 

Dann jedoch reagiert die Staatsregierung auf Kritik an ihren Plänen mit unverhältnismäßiger Härte. Rechtswidrig lässt sie einen von Atomgegnern errichteten Beobachtungsturm schleifen. Die Rechtsbeugung lässt Schuierer misstrauisch werden und auf die Anti-Atomaktivisten um das Ehepaar Monika und Karl Gegenfurtner (Anna Maria Sturm und Andreas Bittl) zugehen.

 

In einer erhellenden Szene geht der Landrat in eine Bibliothek, wo ihm eine Mitarbeiterin per Microfiche die zum Thema Atomkraft vorhandene Literatur heraussucht. Es ist heute kaum mehr vorstellbar, wie lange es damals dauerte, an Informationen zu kommen. Schuierer konnte die Pro- und Kontra-Argumente nicht einfach googeln. Für die Entwicklung einer eigenen Haltung war das allerdings nicht unbedingt von Nachteil.

 

Kein Blick über den Weißwurst-Äquator

 

Hintergrund

 

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Diese Anfangsphase der Geschichte beleuchtet der Film sehr differenziert, und darin liegt seine Stärke. Die Herablassung der Münchner Regierung gegenüber den Provinzlern – der Umweltminister (Sigi Zimmerschied) bringt sich zum Gespräch mit Schuierer gar Münchner Weißwürste mit, denn so etwas Gutes habe die Oberpfalz schließlich nicht – sowie die divergierenden Interessen der örtlichen Politiker und ihrer Beamten werden offenkundig. Ebenso die Gräben, welche die Errichtung der WAA durch Gemeinden und Familien zieht. Schuierer bekommt all das am eigenen Leib zu spüren.

 

Je weiter die Proteste fortschreiten, umso mehr gerät der im Oberpfälzer Dialekt gedrehte Film allerdings zur Heldensaga vom integeren Landrat, der gegen die böse Staatsgewalt kämpft. Da macht sich dann zu viel an der Person eines Einzelnen fest – auch wenn damals sogar eine „Lex Schuierer“ geschaffen wurde, die es der Landesregierung erlaubte, Entscheidungen ohne Zustimmung der Lokalpolitiker durchzudrücken. Sie gilt bis heute. Trotzdem ist „Wackersdorf“ in der Summe ein solides und vor allem gut gespieltes Geschichtsstück über ein im Spielfilm bislang sträflich vernachlässigtes Themenfeld.