Berlin

Welcome to Jerusalem

Cook Tourism Office am Jaffator Jerusalem, ca. 1900, Fotografie (Reproduktion). Foto: © Library of Congress Prints and Photographs Division, Photochrom Collection. Fotoquelle: Jüdisches Museum Berlin
Pilgerziel, Kampfschauplatz, Alltagskulisse: Das Jüdische Museum Berlin lädt zur Städtereise nach Jerusalem ein. Eine lebendige Ausstellung zeichnet das Bild einer multikulturellen Stadt, die zugleich vielen ungelösten Problemen gegenüber steht.

„Welcome to Jerusalem!“ Soll man diese Einladung wirklich annehmen? Als gefährdet und gefährlich, als verstrickt in allzu viele Religionen und unvereinbare politische Ansprüche stellt man sich diese Stadt vor. Aber Reisen bildet, und sei es nur in das zerklüftete Terrain einer Ausstellung. Während die große Dauerausstellung des Jüdischen Museums in Berlin wegen Neukonzeption bis auf Weiteres geschlossen ist, hält die Jerusalem-Ausstellung bis ins Frühjahr 2019 die Türen offen und das Haus für die Öffentlichkeit präsent.

 

Info

 

Welcome to Jerusalem

 

11.12.2017 - 30.04.2019

täglich 10 bis 20 Uhr

im Jüdischen Museum, Lindenstr. 9-14, Berlin

 

Weitere Informationen

 

Vermintes Terrain, heilige Stätte: Jerusalems Facetten vereinen sich zu einem Kaleidoskop der Gegensätze. Diese irrsinnige, außergewöhnliche Stadt in einer Ausstellung zu fassen, ist natürlich unmöglich. Versuchen darf man es trotzdem; man muss es sogar. Denn obwohl die Nachrichten uns Jerusalem ständig als ideologischen und realen Kampfschauplatz der politischen Gegenwart auftischen: Sich ein Bild von dieser Stadt zu machen, bleibt schwierig.

 

Sprachmächtige Straßenbahn

 

Brote werden gebacken und schon auf Karren ausgeliefert. Soldaten in Uniform beten an der Klagemauer. Schüler versammeln sich im Klassenraum. Eine Straßenbahn rattert den Hügel hoch, während auf ihrem Display die Fahrtzielangabe alle paar Sekunden wechselt: Mal in hebräischen, mal in arabischen oder lateinischen Buchstaben spricht das Fahrzeug alle Idiome der Stadt. Ein schönes Alltagsbild für den Versuch, pragmatisch Verständigung zu erzielen. Mitten hinein in den Alltag der 800.000-Seelenmetropole versetzen einen die rasch wechselnden Filmausschnitte zu Beginn der Ausstellung.

Impressionen der Ausstellung


 

Enorme Dichte an Gotteshäusern

 

Dann darf man sich im Landkartenraum erst einmal grob orientieren. Eine Multimediainstallation rekapituliert die wichtigsten Stationen der Geschichte – vom ersten und zweiten jüdischen Tempel, dessen Zerstörung durch die Römer 70 n. Chr. und die frühchristliche Ära unter Kaiser Konstantin, über die muslimische Herrschaft ab 979, unterbrochen vom Kreuzfahrerstaat, und schließlich die britische Mandatszeit ab 1917, die in die Staatsgründung Israels und die Teilung Jerusalems mündete.

 

In historischen Landkarten seit dem 15. Jahrhundert konkretisiert sich der urbane Körper: Anfangs stark stilisiert in harmonischer Kleeblatt- oder Kreisform, gewinnt die Altstadt zunehmend topographisch Präzision. Als wiedererkennbare Konstante hebt sich auf allen Karten der muslimische Felsendom auf dem Tempelberg hervor, an dessen Rand die Klagemauer und in der Nähe auch die christliche Grabeskirche stehen. Jerusalem war immer schon ein geheiligter und als heilig verehrter Ort. Keine andere Stadt weltweit besitzt eine derartige Dichte an Gotteshäusern.

 

Wohnsitz des Allmächtigen abgerissen

 

Das nutzt das Konzept der Ausstellung: Es versucht, die religiöse Topographie der Stadt begreiflich zu machen und damit auch die Konflikte der Gegenwart zu erhellen. Dabei kommt eine Vielzahl von Akteuren in Videos zu Wort. Ein orthodoxer Rabbi erzählt, wie ihm die Lieder zufallen, die er zur Gitarre auch im Gefängnis vorträgt. Ein israelischer Müllfahrer sinniert über Neubausiedlungen der Palästinenser. Gleich sechs verschiedene orthodoxe und nicht-orthodoxe christliche Gemeinschaften teilen sich die Obhut über die Grabeskirche, über dem vermeintlichen Grab Christi. Ihren Schlüssel verwahren seit Jahrhunderten zwei muslimische Familien, um Streit zu vermeiden.

 

Als Modell ist die Klagemauer zu besichtigen: Fixpunkt jüdischer und muslimischer, nationaler und religiöser Ansprüche. Sie bildet den einzigen Überrest des einstigen jüdischen Tempels, genauer: seiner westlichen Stützmauer. Seit seiner Zerstörung als Opferstätte und Wohnsitz Gottes rückte die Tora ins Zentrum jüdischer Glaubenstradition. Ein Monumentalgemälde des Berliner Malers Max Rabes zeigt bärtige Juden 1897 an dieser Mauer beten, pittoresk und realistisch zugleich. Filmaufnahmen streifen unzählige Zettel, die zwischen den Ritzen der Klagemauer klemmen.

 

Tattoos für Wallfahrer

 

Für die Moslems ist diese Stadt der Ort, von wo Mohammed auf seinem Pferd Buraq nachts gen Himmel auffuhr, für die Christen markiert Jerusalem den Ort, wo der Erlöser auf dem Berg Golgatha gekreuzigt und begraben wurde. Um die von ihnen erwartete Rückkehr des Messias nicht zu gefährden, lehnen orthodoxe Juden hingegen den Staat Israel als gotteslästerlich ab.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Ein Gott – Abrahams Erben am Nil" über "Juden, Christen und Muslime in Ägypten von der Antike bis zum Mittelalter" im Bode-Museum, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung  "CREDO – Christianisierung Europas im Mittelalter" - grandiose Themen-Schau über 1000 Jahre Religion an drei Orten in Paderborn

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Kraftwerk Religion – Über Gott und die Menschen"  zu (Wechsel-)Wirkungen von Religionen im Deutschen Hygiene-Museum, Dresden.

 

Seit jeher strömen Glaubensgemeinschaften aus aller Welt in Pilgerfahrten nach Jerusalem; das verdeutlicht ein ganzer Raum voller Andenken, etwa jahrhundertealter Weihöl-Fläschchen. Ein Tätowierer in Jerusalem schreibt heutzutage den Wallfahrern das Kreuz nach Wunsch unter die Haut. Auch Kaiser Wilhelm II. besuchte das heilige Land, wo seit dem späten 19. Jahrhundert eine Missionswelle aufflammte und sich in Form von Kirchen, Klöstern und Sozialeinrichtungen ins Stadtbild prägte.

 

Beton im Kopf

 

Blutige Eskalationen der Glaubenskonflikte durchziehen Jerusalems Geschichte von Anfang an. Ob die Römer den jüdischen Tempel niederrissen, die Moslems das christlich gewordene Jerusalem einnahmen oder die Kreuzfahrer zum Entsetzen der Araber brutal wüteten, das alles erscheint als Vorgeschichte der aktuellen Konflikte. In einem klaustrophobisch runden Raum sieht man sich mit einer Film-Chronologie seit der Staatsgründung Israels 1948 konfrontiert: Sechstagekrieg 1967, Arafats Handschlag mit Ehud Barak, Terror, Friedensprozess und dessen Rückschläge. Zum Schluss schieben sich im Bild die Beton-Elemente der Sperranlagen zwischen Jerusalem und den Palästinensergebieten zu einer unüberwindlichen Barriere zusammen. Keine Lösung in Sicht.

 

Einige Gegenwartskünstler wurden ausgewählt, die vielstimmige Ausstellung mit Beiträgen zu ergänzen. Doch ihre in einem Raum zusammengepferchten Arbeiten wirken eher wie eine pflichtschuldige Zusatzübung im dokumentarisch durchdachten, aufwändig produzierten Medienmix der Schau. Umso mehr fesselt die Echtzeit-Doku „24 h Jerusalem“ im letzten Raum: 70 Filmteams beobachteten einen Tag lang 90 Bewohnerinnen in der heiligen Stadt. Sie alle sind Jerusalem: jeder als Teil eines Ganzen, das schwer zu fassen ist.