Berlin

ABC des Reisens – 150 Jahre Kunstbibliothek

Albert Knab: Riviera Dienst Hamburg-Amerika Linie zwischen Genua und Nizza, 1914 Plakat. © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek / Dietmar Katz. Fotoquelle: © Staatliche Museen zu Berlin
Fiktive Reiseführer und schnittige Werbeplakate: Die Berliner Kunstbibliothek feiert 150 Jahre ihres Bestehens mit einer coolen Präsentation zum Thema Reisen. Alle fünf Abteilungen der Kunstbibliothek glänzen dabei mit spannenden Preziosen.

Ein Bibliotheksjubiläum! Setzt da nicht unwillkürlich das große Gähnen ein? Die Berliner Kunstbibliothek steuert dagegen und überrascht zum 150. Jahrestag des Bestehens mit einer frischen und klugen Ausstellung zum Thema Reisen. Als Spezialisten im Umgang mit Büchern und anderen Druckerzeugnissen wissen Kuratorin Christina Thomson und ihre Kolleginnen und Kollegen: Der beste Inhalt ist immer nur so gut wie Layout und Typographie. Beherzt haben sie sich daher das Berliner Designbüro Formdusche mit an Bord geholt, das der Schau ein luftiges und erfrischend cooles Outfit verpasste. Also auf zur thematischen Tour d‘Horizon von A wie Album bis Z wie Ziel!

 

Info

 

ABC des Reisens - 150 Jahre Kunstbibliothek

 

20.09.2018 - 10.02.2019

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr,

donnerstags bis 20 Uhr

in der Kunstbibliothek im Kulturforum, Matthäikirchplatz, Berlin

 

Weitere Informationen

 

Unter dem Buchstaben „Q“ heißt es nicht etwa „Quo vadis?“, sondern ganz pragmatisch: „Quanta costa?“. Denn Reisen kostet. Als der Berliner Reichstagsarchitekt Paul Wallot 1875 auf Tour ging, notierte er sich in seinem Skizzenbuch akribisch die Ausgaben des Tages. Zu Buche schlugen Eisenbahn, Diorama und Café-Besuch. Das betagte Büchlein blättert die Kunstbibliothek jetzt auf. Daneben hängen die Kuratoren ein Sparkassen-Plakat von 1954, das auch Pfennigfuchsern eine Urlaubsreise ans Herz legt: „Sparen ermöglicht die Urlaubsreise.“

 

Lexikalische Stichworte

 

Quer durch die Zeiten navigiert die Ausstellung leichtfüßig und unterhaltsam. Als lockeres „ABC des Reisens“ schwingt sich der Parcours entlang lexikalischer Stichworte. Das gibt allen fünf Abteilungen der Kunstbibliothek die Chance, mit spannenden und skurrilen Preziosen zu glänzen. Gegründet wurde die renommierte Institution einst als Vorlagensammlung für angehende Kunstgewerbler.

Feature über die Ausstellung: © Staatliche Museen zu Berlin


 

Uralte Touristenrouten

 

Die renommierte Modebilder-Sammlung steuert Entwürfe für knitterfreie Reisekostüme und Bademoden bei, während Fotokuratorin Christine Kühn unter „S“ wie Souvenir rare historische Venedig-Aufnahmen ausstellt, etwa von Fotopionier Alfred Stieglitz. Dass schon die ältesten gedruckten Reiseführer, wie der um 1627 erschienene Bestseller „Itinerarium Italiae“ von Josef Furttenbach, die gleichen Routen empfahlen, auf denen heute noch die Touristen pilgern, belegen kostbare Originalbände aus den unerschöpflichen Depots der Kunstbibliothek.

 

Schnell wird bei Flanieren durch die Ausstellung klar: Mit dem Zeitalter des Reisens begannt auch das Kommunizieren darüber. Erst in Bild und Schrift geronnen, gewinnt die schweifende Bewegung der Reisenden Gestalt und Form, wird vom flüchtigen Erlebnis oder erträumten Plan zur haltbaren Erinnerung. Reisende Künstler wie der wilhelminische Maler Anton von Werner oder der heute vergessene Architekt Robert Wimmer füllten dickleibige Klebealben und winzige Notizbücher. Wimmers großformatiges, detailverliebtes Italien-Skizzenbuch von 1852, ein wahres Formenkompendium, wird gerade digitalisiert.

 

Der Rausch der Geschwindigkeit

 

Zu den ersten Reisenden, die Europas Grenzen überschritten, gehörten Pilger und Wallfahrer. Ein riesiges Wimmelbild Jerusalems, das Johann Daniel Herz 1735 in Kupfer stach, veranschaulicht den ungeheuren Reiz, den das heilige Land seinerzeit ausübte. Erich Mendelsohn dagegen gelangte 1923 nicht aus religiösen Gründen nach Palästina, sondern als Planer einer Elektrizitätsgesellschaft. Die Glasdias des modernen Architekten dokumentieren seinen aufmerksamen, nüchternen Blick auf das Land, in dem er später als vor den Nazis geflüchteter Emigrant eine Heimat fand. Reisen ist immer auch in politische und wirtschaftliche Realitäten verflochten.

 

Unter „C“ wie Cartographia lässt sich anschaulich an farbigen historischen Plänen verfolgen, wie der Horizont der Europäer sich weitete. Amerika taucht in Schedels berühmter Weltchronik von 1493 noch gar nicht auf. In einem Werbeplakat um 1900 dagegen peilt die Hamburg-Amerika-Schiffslinie das Nordkap bereits als neue Touristendestination an. Mit Dampfschiff, Eisenbahn und Flugzeug nimmt die Abfolge der Verkehrsmittel lexikalisch von D–F flott Fahrt auf. Schnittig designte Plakate im Stil der Moderne tragen dem Rausch der Geschwindigkeit Rechnung.

 

Imaginäre Ziele

 

Den Bibliothekaren liegt der Umgang mit alphabetischen Ordnungssystemen ja quasi im Blut. Jeder Karteikasten, jedes Register ordnet die Welt nach diesem Raster. Zwar sind die gewählten Stichworte, wie „Tourismus“ oder „Unterkunft“ nicht immer originell, die jeweils dazu ausgewählten Exponate aber geben dem essayistischen Querdenken reichlich Treibstoff.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Viaggio in Italia" - über deutsche und französische Künstler auf Italien-Reisen 1770 – 1880 in der Staatlichen Kunsthalle, Karlsruhe

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Nach Ägypten! Die Reisen von Max Slevogt und Paul Klee" - im K 20, Düsseldorf

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung Reiselust und Sinnesfreude - mit Werken von Max Slevogt in Apolda und Aschaffenburg

 

Und schon kommt der Buchstabe „V“ ins Visier und damit der „Virtual Travel“. Kein Privileg des Digitalzeitalters, meinen die Kuratoren. Sie verweisen darauf, dass schon die Zeitgenossen um 1900 beim Blick ins Stereoskop auf 3-D-Fotos die mediale Faszination imaginärer Reiseziele genossen.

 

Verblassende Erinnerungen

 

In einem Projektor rattert derweil nostalgisch ein Film von Marcel Broodthaers vor sich hin und verbreitet die Retroatmosphäre einer Super-8-Urlaubsfilmschau. Zu sehen sind auf der Leinwand aber nur Standfotos, unscharf wie verblasste Erinnerungen. Ein Segelschiff flimmert vorüber. Es braucht unsere Imagination, um die Bilder in Bewegung zu setzen.

 

Das beste Vehikel für uferlose Reisen ist ohnehin der menschliche Geist. Das macht auch der italienische Gegenwartskünstler Flavio de Marco im Foyer klar. Er hat einen kompletten Reiseführer für eine Insel namens Stella verfasst und bebildert. Das Eiland liegt in der Ägäis und existiert nur in der Fantasie.