
Kaum einem Filmgenre wird so grundsätzlich misstraut wie dem Biopic. Und das mit gewissem Recht. Denn eine erhellende Biografie funktioniert anders als ein unterhaltsamer Spielfilm. Reale Menschen sind keine Figuren, selbst ein schillerndes Leben folgt nicht der Dramaturgie einer knackigen Geschichte. Deshalb wirken Biopics oft so schablonenhaft: Aufstieg-Absturz-Aufstieg.
Info
Bohemian Rhapsody
Regie: Bryan Singer,
134 Min., USA/ Großbritannien 2018;
mit: Rami Malek, Lucy Boynton, Gwilym Lee
Die Ausnahme im Rock der 70er
Seine Geschichte ist tatsächlich erzählenswert; in der Rückschau wird das noch offenkundiger als zu seinen Lebzeiten. Welche Ausnahmeerscheinung war er als schwuler Mann, dessen Eltern aus Indien stammende Parsen waren, doch in einem bei aller Glam-Rock-Exzentrik vornehmlich weißen und heteronormativen Musikbetrieb! „Bohemian Rhapsody“, der Song, nach dem der Film benannt ist, war 1975 nicht nur die erste Nummer Eins der Band, sondern vielleicht der schrägste Megahit der Popgeschichte.
Offizieller Filmtrailer
Gelungene Live-Auftritte
Vom freidrehenden Geist dieser postmodernen Rock-Oper kommt im Film allerdings kaum etwas an. Die wenigen interessanten Momente sind vor allem dem intensiven Auftritt des Hauptdarstellers Rami Malek geschuldet. Er hat viel Herzblut in seine Rolle gesteckt; ihm ist es sicher nicht anzulasten, dass „Bohemian Rhapsody“ meist wie ein überlanger Werbeclip für den back catalogue von Queen wirkt.
Einige gelungene Passagen gibt es durchaus – etwa, wenn es um die Entstehung einzelner Songs geht oder Live-Performances nachgestellt werden. Über 135 Minuten trägt das jedoch nicht. Der Film erfüllt nicht einmal bestimmte Minimalanforderungen: etwa, dass man als musikinteressierter Nicht-Fan etwas über die Dynamik innerhalb der Band Queen erfährt. Oder dass man mehr als eine vage Ahnung mitnimmt, was die Mitglieder kreativ oder persönlich umtrieb. In „Bohemian Rhapsody“ bleiben sie angesichts des schwachen Drehbuchs von Anthony McCarten zweidimensionale Figuren.
Auf dem Höhepunkt der Karriere
Dieser biederen Regiearbeit von Bryan Singer („X-Men“, „Operation Walküre – Das Stauffenberg Attentat“) gelingt nicht einmal eine Malen-nach-Zahlen-Psychologie – vielleicht wurde er nicht zuletzt deshalb kurz vor Fertigstellung von „Bohemian Rhapsody“ gefeuert und durch Dexter Fletcher ersetzt. So erfährt man zum Beispiel nichts über Mercurys bewegte Jugend. Als Farokh Bulsara 1946 in Sansibar geboren, verbrachte er seine Schulzeit auf einem indischen Internat. Nach Sansibar zurückgekehrt, erlebte er dort 1964 die blutige Revolution gegen den Sultan; seine Familie floh nach Großbritannien. Wie diese Erfahrungen ihn prägten, davon fehlt in diesem Film jede Spur.
Erzählt werden lediglich die Jahre 1970 bis 1985, von der Gründung der Band bis zu ihrem detailgetreu nachgestellten Auftritt bei Live Aid im Londoner Wembley Stadion. Mit diesem Megakonzert wurde damals Geld für Afrika gesammelt; für Queen war der legendäre Auftritt ein Karrierehöhepunkt. Mit dem zwanzigminütigen Live-Set endet „Bohemian Rhapsody“ – sechs Jahre vor Mercurys Tod.
Verdrehte Tatsachen
Hintergrund
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Kaum zu glauben ist auch die Fahrt zum Live-Aid-Konzert, auf der Mercury gleich mehrere Zwischenstopps einlegt: um endlich den Mann wiederzufinden, der ihn schon vor Jahren beeindruckt hat, und um Frieden mit seinen Eltern zu machen. Obwohl die bis dahin im Film kaum eine Rolle spielten. Denn es muss ja alles seine Ordnung haben, bevor er den Auftritt seines Lebens hinlegt!
Pathos statt Humor
In solchen Momenten bekommt man den Eindruck, der Film habe sich die unterhaltsame Satire „Walk Hard: The Dewey Cox Story“ (2008) zum Vorbild genommen. Sie veralberte die dramaturgischen Grundmuster von Biopics mit schamloser Übertreibung. In „Bohemian Rhapsody“ findet sich statt Humor allerdings nur Pathos. Dass der Film trotz alledem ein paar durchaus mitreißende Momente hat, ist allein der Musik und Maleks erstaunlicher Performance zu verdanken.