Bruno Ganz

Der Trafikant

Anezka (Emma Drogunova), Franz Huchel (Simon Morzé) und Sigmund Freud (Bruno Ganz) . Foto: © Petro Domenigg/TOBIS Film GmbH
(Kinostart: 1.11.) Mit Sigmund Freud im Tabakladen: Ein unbedarfter Bursche erlebt im Wien der 1930er Jahre seine sexuelle und politische Initiation. Solide, etwas schwer in Gang kommende Romanverfilmung von Nikolaus Leytner mit viel Lokalkolorit.

Österreich in den späten 1930er Jahren: Nach heftigem Freiluftsex im strömenden Gewitterregen überlebt der Fabrikbesitzer Alois Preininger das anschließende Bad im See nicht. Seine Geliebte Margarete Huchel (Regina Fritsch) muss nun allein mit ihrem schmalen Lohn als Kellnerin auskommen und sieht sich gezwungen, ihren bis dato verwöhnten 17-jährigen Sohn Franz (Simon Morzé) in die Lehre zu einem Jugendfreund zu geben.

 

Info

 

Der Trafikant

 

Regie: Nikolaus Leytner,

113 Min., Österreich/ Deutschland 2018;

mit: Bruno Ganz, Emma Drogunova, Simon Morzé

 

Website zum Film

 

Vom beschaulichen Attersee im Salzkammergut verschlägt es den verträumten Burschen somit in die Weltstadt Wien. Doch der Bub hat Glück, entpuppt sich sein Lehrmeister Otto Trsnjek (mit viel Herzblut: Johannes Krisch) zwar als knarziger, aber doch herzensguter Mensch. Der Kriegsversehrte führt eine Tabaktrafik – so nennt man in Österreich kleine Läden mit Raucherbedarf, Zeitungen und Schreibwaren. Der Lehrjunge bezieht das Hinterzimmer des Ladens und kennt sich bald in den Feinheiten des Geschäfts aus.

 

Fachgeschäft für Genuss

 

Dazu gehört auch, täglich die verschiedenen Zeitungen zu lesen, um politisch im Bilde zu sein. Ein Trafikant verkaufe Genuss, belehrt ihn Trsnjek gleich zu Anfang; etwa die Bückware in Form der „zärtlichen Magazine“ unter dem Ladentisch. Ihrer Wirkung kann sich auch Franz, der sich ohnehin mit seiner erwachenden Libido herumschlägt, nicht entziehen.

Offizieller Filmtrailer


 

Sigmund Freud light

 

Ein Stammkunde des Tabakbüdchens erweckt von Anfang an sein spezielles Interesse: der mittlerweile über 80 Jahre alte, so genannte „Deppendoktor“ Sigmund Freud. Bruno Ganz verkörpert ihn als altersmilden Menschenfreund, den die Direktheit und Unbedarftheit des jungen Mannes erfrischt. Damit bietet der Film ein ganz anderes Freud-Bild, als die weithin bekannten Fotografien des streng dreinblickenden Vaters der Psychoanalyse suggerieren – gewissermaßen Freud light.

 

Es menschelt gewaltig zwischen den beiden sehr ungleichen Männern. Franz sucht beim berühmten Doktor Rat in Liebesdingen, hat er sich doch unglücklich in die fesche Böhmin Anezka (Emma Drogunova) verliebt. Das dralle Mädel spielt mit dem unerfahrenen „Burschi“. Sie taucht ab und zu aus dem Nebel der Gassen auf, um kurz darauf wieder zu entschwinden. Zurück bleibt der sehnsüchtige Bub, der weder sich selbst noch die Frauen versteht.

 

Träume bremsen Handlung

 

Auf Anregung von Freud – quasi als Rezept gegen sein Liebesleid – beginnt der junge Mann, seine Träume aufzuschreiben, um so sich selbst auf die Spur zu kommen. Allerdings nehmen sich diese Traumsequenzen zu wichtig. Sie sind überdies recht plakativ inszeniert: eine fortwährende Bremse beim Fortgang der Handlung.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "In Zeiten des abnehmenden Lichts" - über das Familienfest eines SED-Kaders von Matti Geschonneck mit Bruno Ganz

 

und hier einen Beitrag über den Film "Eine dunkle Begierde" - über den Bruch zwischen S. Freud + C.G. Jung von David Cronenberg mit Viggo Mortensen als Sigmund Freud

 

und hier eine Besprechung des Films "Der Fall Wilhelm Reich" - über die Probleme des Freud-Kontrahenten W. Reich im amerikanischen Exil von Antonin Svoboda

Diese Adaption eines gleichnamigen Bestsellers (2012) des österreichischen Autors und Schauspielers Robert Seethaler braucht ohnehin zunächst Zeit, um in die Gänge zu kommen. Liebevoll wird das Zeitkolorit mittels sorgfältig ausgesuchter Kostüme und authentischer Ausstattung ausgemalt. Deftige Sinnlichkeit durchzieht viele Szenen: Essen, Trinken, Rauchen, Lieben, Lesen und Schreiben – lauter körperliche und geistige Genüsse lernt Franz kennen.

 

Im anheimelnden Historienmantel

 

Die Verfilmung von Nikolaus Leytner bleibt dicht an der literarischen Vorlage, von der sie die Struktur und ganze Dialoge übernimmt. Mehrfach spielt der Film geschickt mit der Erwartungshaltung der Zuschauer. Er bedient sie, um sie im nächsten Moment zu unterlaufen. Unerwartete Wendungen sorgen immer wieder für Überraschungsmomente – bis zum konsequent erzählten, bitterbösen Ende.

 

Ist der erste Teil vor allem eine Initiationsgeschichte im anheimelnden Historienmantel, in der es sich das Publikum gemütlich machen kann, ändert sich mit dem „Anschluss“ Österreichs ans Deutsche Reich im März 1938 abrupt die Tonlage. Die zuvor im Hintergrund dräuenden politischen Bedrohungen verdrängen nun die privaten Befindlichkeiten.

 

Der aufrechte Otto Trsnjek steht selbst in dieser dunklen Zeit zu seinen Überzeugungen, und den Juden Sigmund Freud schützt nur sein weltweiter Ruhm vor dem Zugriff der Nazis. Franz, der einstmals naive Junge vom Land, zeigt nun mehr Courage als die meisten seiner Zeitgenossen: Er wird jäh erwachsen.