Hüseyin Tabak

Die Legende vom hässlichen König

Yılmaz Güney. Foto: Copyright 2018 mîtosfilm
(Kinostart: 11.10.) Ein Cannes-Sieger aus dem Knast: In langjähriger Haft drehte der Kurde Yılmaz Güney seine besten Filme – mit „Yol – Der Weg“ gewann er 1982 die Goldene Palme. Das Doku-Porträt seines Fans Hüseyin Tabak fällt leider recht bieder aus.

Dem türkisch-kurdischen Regisseur Yılmaz Güney (1937-1984) gelang etwas Einzigartiges: Er gewann den wohl wichtigsten Kinopreis weltweit mit einem Film, den er im Gefängnis realisiert hatte. Seit 1974 saß Güney eine 18-jährige Haftstrafe ab, zu der verurteilt worden war, nachdem er im Streit versehentlich einen Richter erschossen hatte. Hinter Gittern arbeitete er ungebrochen weiter. Seine Filme drehten Assistenten nach seinen detaillierten Vorgaben – anschließend sichtete der Regisseur die Rohaufnahmen in seiner Zelle.

 

Info

 

Die Legende vom hässlichen König

 

Regie: Hüseyin Tabak,

122 Min., Deutschland/ Österreich 2017;

mit: Yılmaz Güney, Michael Haneke, Costa Gavras

 

Weitere Informationen

 

Mit „Sürü – Die Herde“ (1978) – einem Familiendrama über Schuld und Sühne unter der Fuchtel eines anatolischen Patriarchen – wurde das Weltkino auf ihn aufmerksam. Vier Jahre später folgte der Triumph in Cannes mit „Yol“; diese Geschichte kurdischer Strafgefangener auf Hafturlaub nutzte Güney zur harschen Kritik an den Verhältnissen in der Türkei nach dem Militärputsch von 1980. Wenige Wochen zuvor war er auf halsbrecherische Weise aus dem Knast nach Frankreich geflohen und hatte den Film dort inkognito geschnitten. Im Exil starb er bereits 1984 an Magenkrebs – mit nur 47 Jahren.

 

Erfinder des kurdischen Kinos

 

Keiner der großen Autorenfilm-Regisseure – ausgenommen vielleicht Roman Polanski – hat ein so abenteuerliches Leben voller Kehrtwenden geführt wie Yılmaz Güney. Und kaum einer war derart einflussreich: Er hat nicht nur das kurdische Kino quasi im Alleingang erfunden. Ohne Güneys Vorbild ist der türkische Autorenfilm undenkbar; auch wenn von seiner epischen Wucht, den malerisch langen Einstellungen, messerscharf knappen Dialogen und unabwendbarer Tragik bei seinen Nachfolgern oft nur zähe Tristesse übrig blieb. Durch seinen frühen Tod ist allerdings sein epochales Werk mittlerweile entrückt; daran zu erinnern, ist eine glänzende Idee.

Offizieller Filmtrailer


 

Übliches Kollegen-Lob

 

Doch das Doku-Porträt des deutschkurdischen Jungregisseurs Hüseyin Tabak fällt trotz üppiger zwei Stunden Laufzeit recht brav und oberflächlich aus. Was zum Teil an einer dramaturgisch fragwürdigen Entscheidung liegt: Es geht los mit dem biographischen Höhepunkt, Güneys Auftritt in Cannes. Dann folgen 40 Minuten mit branchenüblichen Lobhudeleien und zeittypischen revolutionären Parolen und Phrasen. Erst wenn des Zuschauers Aufmerksamkeit schon arg ermattet ist, wendet sich der Film endlich der Frage zu, was für ein Mensch Güney eigentlich gewesen ist.

 

Er wuchs im südtürkischen Adana als Alevit mit sechs Geschwistern in sehr ärmlichen Verhältnissen auf. Seit Vater war Landarbeiter und gehörte der Zaza-Minderheit an; seine kurdische Mutter war bürgerlicher Herkunft. Sie verließ ihren gewalttätigen Gatten, als er eine Zweitfrau heiratete. Als junger Mann jobbte Güney als Filmvorführer in der Provinz; dann schaffte er über Ankara den Sprung nach Istanbul, wurde Regie-Assistent und als Gelegenheitsdarsteller entdeckt.

 

Ein vielseitiger Kinoheld

 

Die 1960er Jahre waren die große Zeit der türkischen „Yeşilçam“-Filmindustrie: Mit bescheidenen Mitteln produzierte sie Action-Reißer und Melodramen wie am Fließband. Güney prügelte, schoss und schmachtete sich durch mehr als 100 solcher Streifen. Obwohl er gerade nicht wie ein gelackter türkischer Kinoheld aussah, machte ihn seine bodenständige Vielseitigkeit populär. Der „hässliche König“, wie ihn die türkische Klatschpresse nannte, war ein Star zum Anfassen.

 

Und zugleich Angehöriger einer diskriminierten Minderheit, der seinen Ruhm zusehends für politische Ziele einsetzte. Wegen angeblicher „kommunistischer Propaganda“ in von ihm verfassten Romanen war er schon 1960 inhaftiert worden. 1972 folgten zwei Jahre Gefängnis für Mithilfe bei der Entführung des israelischen Konsuls; Güney hatte den Kidnappern Unterschlupf gewährt. Dieser Aufenthalt hinter Gittern, den er in der Schrift „Meine Zelle“ reflektierte, hat offenbar seinen Gesinnungswandel stark vorangetrieben; der Film zitiert ausführlich daraus.

 

Der Preis der Radikalisierung

 

Politische Radikalisierung ging Anfang der 1970er Jahre im Werk mancher Autorenfilmern mit ästhetischer einher; etwa bei Jean-Luc Godard, Michelangelo Antonioni oder Pier Paolo Pasolini. Doch keiner – abgesehen von Godard, der sich in eine fast autistische Isolation zurückzog – zahlte so einen hohen persönlichen Preis wie Güney. Wobei ihm sein Prestige offenbar erlaubte, vom Gefängnis aus mithilfe einer Schar Getreuer sein Filmschaffen so fortzusetzen, als wäre er auf freiem Fuß.

 

Wie das ablief, zeichnet der Dokumentarfilm anschaulich nach. Andere wichtige Aspekte bleiben dagegen im Vagen: etwa die politischen Überzeugungen und Aktivitäten Güneys. Wie sein „revolutionärer Sozialismus“ aussah, welche Stellung er innerhalb der türkischen Linken einnahm, und ob er Kontakte zur 1978 gegründeten, kurdischen PKK-Guerilla hatte – all das ignoriert Regisseur Tabak oder belässt es bei diffusen Andeutungen. Vermutlich will er niemandem in der kurdischen community auf die Zehen treten.

 

Befragung der üblichen Verdächtigen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Memories on Stone – Bîranînên li ser kevirî" – raffinierter Meta-Film über Filmemachen in Kurdistan von Shawkat Amin Korki

 

und hier einen Bericht über den Film "Remake, Remix, Rip-Off - Kopierkultur und das türkische Pop-Kino" - tolle Dokumentation von Cem Kaya

 

und hier einen Beitrag über den Film"Bakur - North" - Dokumentation über die kurdische PKK-Guerillavon Çayan Demirel + Ertuğrul Mavioğlu

 

und hier eine Besprechung des Films  „Babamin Sesi – Die Stimme meines Vaters“ – Familienporträt kurdischer Aleviten in der Türkei von Orhan

 

Dieser konfliktscheue Ansatz prägt auch seine Sicht auf Güneys aufbrausenden Charakter. Seine erste Frau ließ sich nach zweijähriger Ehe von ihm scheiden, weil er sie absichtlich mit dem Auto angefahren und verletzt hatte. Bei Dreharbeiten schlug er Kinderdarsteller, um sie zu dirigieren. Der Regisseur trug ständig eine Waffe bei sich und fuchtelte gern damit herum – so kam es 1974 zu den fatalen Schüssen auf einen Richter. War sein gewalttätiger Jähzorn nur Machotum oder durch Verfolgungswahn bedingt? Dennoch begeisterte er mit Autorität und Charisma viele Menschen für seine kühnen Projekte – warum?

 

Solche Fragen blendet Nachwuchsfilmer Tabak als bekennender Güney-Fan nahezu aus. Stattdessen widmet er viel Zeit gefühligen Erinnerungen von Verwandten und Weggefährten an den teuren Toten. Vorgetragen im Plauderton, unterlegt von zahllosen Porträtfotos und ein paar Filmausschnitten. Dass Güney in der zerrissensten und brutalsten Phase der jüngeren türkischen Geschichte wirkte, ist diesem geruhsamen talking heads-Bilderbogen nicht zu entnehmen. Könnte man mit Archivbildern anschaulich zeigen – aber das erforderte mehr, als nur übliche Verdächtige abzuklappern und getragene Kammermusik zu unterlegen.

 

Gefühlige Gedenkkultur

 

So ist diese Dokumentation eher ein Zeugnis elegischer orientalischer Gedenkkultur als das umfassende Porträt eines Ausnahme-Regisseurs. Das kurdische und linke türkische Publikum mag sich an dieser Würdigung seines Kulturheros erfreuen – aber eine eingehendere Betrachtung seines herausragenden Beitrags zum Weltkino bleibt aus. Was Filmemacher Tabak schon im Titel einräumt: Er strickt lieber an der Legende.