Dresden

Gewalt und Geschlecht: Männlicher Krieg – Weiblicher Frieden?

US-GIs und Prostituierte im Vietnam der 1960er Jahre. Foto: Getty Images/ MHM
Materialschlacht für einen guten Zweck: Eine Mammutschau im Militärhistorischen Museum will Geschlechter-Klischees entkräften – und verzettelt sich mit Bergen von Belegstücken für so schlichte wie eingängige Gleichberechtigungs-Thesen.

Dass es kein gewöhnliches Kriegsmuseum ist, sieht man dem Militärhistorischen Museum (MHM) der Bundeswehr schon von weitem an. Beim Umbau des 1873/7 errichteten Arsenals, das ab 1972 als Armeemuseum der DDR diente, ließ Star-Architekt Daniel Libeskind einen riesigen Stahlkeil in die Fassade rammen. Er soll an die verheerenden Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945 erinnern – die alliierten Bomber flogen in Keilformationen heran.

 

Info

 

Gewalt und Geschlecht: Männlicher Krieg - Weiblicher Frieden?

 

27.04.2018 - 30.10.2018

täglich außer mittwochs

10 bis 18 Uhr,

montags bis 21 Uhr

im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr, Olbrichtplatz 2, Dresden

 

Zweibändiger Katalog 88 €

 

Weitere Informationen

 

Der Keil durchdringt das Gebäude und bietet Platz für Themen-Ausstellungen zur Kulturgeschichte der Gewalt. Im Altbau informiert eine chronologisch angelegte Dauerschau zum Verhältnis von Militär und Gesellschaft in Deutschland – anhand von rund 10.000 Objekten. Diese Doppelstruktur wurde bei der Neueröffnung 2011 durchweg gelobt, nur die Masse an Exponaten skeptisch beäugt: Wer soll sich das alles ansehen?

 

Nach Potsdam strafversetzt

 

Mit seiner ersten großen Sonderschau hat sich das Museum viel Zeit gelassen. Länger als geplant: „Gewalt und Geschlecht: Männlicher Krieg – Weiblicher Frieden?“ wurde um mehr als ein halbes Jahr verschoben. Offenbar stritten sich der seit März 2017 amtierende Direktor Armin Wagner und Kurator Gorch Pieken, seit 2006 für das MHM tätig, über die Objektauswahl und Kosten. Zeitweilig wurde Pieken an das Bundeswehr-Zentrum für Militärgeschichte in Potsdam versetzt – als Disziplinarmaßnahme.

Impressionen der Ausstellung


 

Kurzstreckenrakete mit Kondom

 

Beim Besuch wird bald deutlich, worüber sich die Verantwortlichen in die Haare geraten sein dürften. Im Außenbereich sind monumentale Freiluft-Skulpturen großzügig verteilt; doch so hintersinnig wie die „Eye Benches“ von Louise Bourgeois – riesige Augäpfel aus Bronze zum Hinsetzen – wirken die anderen kaum. Birgit Dieker stapelt unbekleidete Schaufensterpuppen zur Silhouette einer V2-Rakete. Der Norweger Marten Traavik zieht einer NATO-Kurzstreckenrakete ein Mega-Kondom über. Die US-Gruppe „Guerilla Girls“ fordert in Balkenlettern den Bau einer „Östrogen-Bombe“, die allerlei Menschheits-Übel auslöschen soll.

 

Phallus-Symbolik und malträtierte Frauenleiber: Bekräftigen diese schlichten Botschaften nicht genau jene traditionelle Rollenverteilung, die das Fragezeichen im Ausstellungstitel relativieren soll? Dass Männer von Natur aus gewalttätig, Frauen hingegen friedliebend seien – dieses Klischee will das Kuratorenteam um Pieken entkräften. Etwa mit einer einprägsamen Installation als „Prolog“: Im Raum hängt ein Dutzend Reproduktionen von Gemälden seit dem Mittelalter. Alle zeigen Gewalt, Zerstörung und Leid – und alle wurden von Frauen gemalt.

 

Als Cross-Dresser in den Krieg ziehen

 

Der erste von zwei Ausstellungssälen auf insgesamt 2000 Quadratmetern Fläche zum Verhältnis von Frauen und Militär hält manche Überraschung bereit. So ermöglichte gerade die Entwicklung von Feuerwaffen auch Frauen, an Kriegshandlungen teilzunehmen – weil schiere Körperkräfte unwichtiger wurden. Dazu mussten sie aber inkognito auftreten, indem sie als Cross-Dresser Männerkleider anlegten; schon Jeanne d’Arc schnitt sich die Haare ab, bevor sie gegen die Engländer zu Felde zog.

 

Frauen sind im statistischen Durchschnitt treffsicherere Schützen als Männer: In der Schweiz gibt es mehr Schützenköniginnen als -könige. Nichtsdestoweniger werden Soldatinnen in der Bundeswehr von etlichen männlichen Kameraden gering geschätzt: Ein Drittel meint, die Einsatzfähigkeit der Armee habe nach der Rekrutierung von weiblichem Personal gelitten. Solche Angaben kann man allerdings schlecht visualisieren – darunter leidet der zweite Ausstellungsteil sehr.

 

Rundumschlag zu Gender Studies

 

Alles Mögliche lässt sich als Gewalt zwischen den Geschlechtern beschreiben: vom Raufen im Kindergarten über Ehestreit bis zu Massenvergewaltigung als Kriegstaktik. Also beginnt der Rundgang allen Ernstes mit Liebes- und Mutterglück. So allzumenschlich geht es weiter: Kindererziehung und der Kampf um die Legalisierung von Abtreibung, Genitalverstümmelung und Schönheitswahn, Körperbilder und Rollenverständnisse im Wandel der Zeiten. Ein Rundumschlag zu zahllosen Aspekten von Geschlechtersoziologie und Gender Studies, unter besonderer Berücksichtigung der NS-Zeit: vom Mutterkreuz bis zu Adolf H. als Frauenschwarm.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Krieg - eine archäologische Spurensuche" über seine Entstehung + Entwicklung im Landesmuseum für Vorgeschichte, Halle/ Saale

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Homosexualität_en" über Geschlechterverständnis + -bilder im Deutschen Historischen Museum + Schwulen Museum, Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Feministische Avantgarde der 1970er Jahre" - grandiose Überblicks-Schau zu Kunst + Emanzipation im ZKM, Karlsruhe.

 

In diesem Vitrinen-Irrgarten gehen die erstaunlichsten Fundstücke fast unter, etwa die so genannten „Stalag“-Hefte: Ab 1961 erschienen in Israel SM-Groschenromane, in denen Männer von weiblichen SS-Offizieren gequält und sexuell gedemütigt wurden. Wieso waren solche Gewaltfantasien ausgerechnet im Land der KZ-Überlebenden ein Bombenerfolg? Über dieses vielschichtige Phänomen hat Regisseur Ari Libsker 2008 einen einstündigen Dokumentarfilm gedreht: „Pornographie und Holocaust“. Die Ausstellung belässt es bei einem lapidaren Hinweis.

 

Hang zur Totalausstellung

 

Rund 1000 Belegstücke laufen auf die eingängige These hinaus, dass Aggressivität und Friedfertigkeit nicht angeboren, sondern kulturell bedingt sind und erlernt werden – von beiden Geschlechtern. Dieser Befund dürfte in der Mehrheitsgesellschaft mittlerweile unstrittig sein; wozu dann dieser enorme Aufwand? Interessanter und riskanter wäre, gezielt konservative bis reaktionäre Minderheiten anzusprechen, die sich solchen Einsichten verweigern: Dresden war Entstehungsort der Pegida-Bewegung. Doch dieses Milieu wird von einer derartigen Materialschlacht kaum erreicht.

 

Die Unsitte, spannende und kontroverse Sujets unter Bergen von Archiv-Ausgrabungen und Fußnoten zu begraben, wird auch am Deutschen Historischen Museum (DHM) gepflegt; dort war Gorch Pieken bis 2006 tätig. Seinem Hang zur Totalausstellung kann er künftig wieder in Sichtweite frönen: Zeitgleich mit der Eröffnung der Gewalt-Schau wurde Pieken zum leitenden Kurator des Humboldt-Labors berufen; es soll ab Ende 2019 als Teil des „Humboldt Forums“ im Berliner Stadtschloss Forschungs-Aktivitäten der Humboldt-Universität präsentieren.