Berlin

Maler, Mentor, Magier: Otto Mueller

Otto Mueller: Zwei Mädchen, um 1925, Leimfarbe auf Rupfen, 175 x 111 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie. © bpk / Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Jörg P. Anders. Fotoquelle: Hamburger Bahnhof, Berlin
Aufbruchstimmung in der Provinz: Ab 1919 lehrte der Expressionist Otto Mueller an der Kunstakademie in Breslau. Eine Ausstellung im Hamburger Bahnhof versucht sein Wirken nachzuvollziehen und scheitert an einem überambitionierten Konzept.

Einmal Berlin-Breslau bitte! Als der Expressionist Otto Mueller 1919 sein Ticket in die schlesische Hauptstadt löste, war er vermutlich froh, überhaupt eine feste Stellung in Aussicht zu haben. Nach Krieg und Revolution herrschte Chaos und Wirtschaftsmisere in Deutschland – aber auch Aufbruchstimmung. Und die machte sich selbst in der als konservativ verschrienen Provinzgroßstadt im äußersten Osten des Reiches bemerkbar. Als Keimzelle einer entschlossenen Hinwendung zur Moderne agierte dort die Staatliche Akademie für Kunst und Kunstgewerbe.

 

Info

 

Maler, Mentor, Magier: Otto Mueller und sein Netzwerk in Breslau

 

12.10.2018 - 03.03.2019

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr,

donnerstags bis 20 Uhr

im Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße 50-51, Berlin

 

Katalog 34,90 €

 

Website zur Ausstellung

 

Was sich hier tat, will jetzt eine Ausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin als deutsch-polnische Koproduktion beleuchten. Sie rückt Otto Mueller ins Zentrum eines vielköpfigen Kreativnetzwerks aus Expressionisten, Bauhäuslern und neusachlichen Malern. In Breslau gaben sich Oskar Schlemmer, Oskar Moll, Hans Scharoun und andere international bekannte Künstler die Klinke in die Hand: als Lehrer an einer der lebendigsten, liberalsten Kunstschulen Europas.

 

Ein Jahrzehnt lang Breslau

 

Heute liegt das 350 Kilometer von Berlin entfernte Breslau gefühlt viel weiter weg als damals. Die Verbindungen wurden durch den Zweiten Weltkrieg brutal gekappt. Wer weiß schon, dass der stets als Brücke-Künstler etikettierte Otto Mueller der legendären Künstlergemeinschaft nur drei Jahre angehörte, aber mehr als ein Jahrzehnt in Breslau wirkte! Ein vielversprechendes Thema also. 100 Exponate vom Gemälde bis zum historischen Foto haben die Kuratoren versammelt. Dabei legten die polnischen Wissenschaftler im Team Wert auf ihren eigenen Blick: Für sie gehören auch die polnischen Expressionisten unbedingt mit ins Bild, die hierzulande nahezu unbekannt sind.

Trailer zur Ausstellung. © Hamburger Bahnhof, Berlin


 

Lässiger Großstadtmensch

 

Als Katalog haben über 25 Autoren ein 440-Seiten-Kompendium erarbeitet, das als Grundlagenwerk Bestand haben wird. Die Ausstellung selbst jedoch scheitert: überambitioniert. Statt ihre Geschichte, wie der Titel verspricht, lebendig entlang ihres Hauptfigur zu erzählen, verstrickt sie sich im Zuviel der Aspekte, Bezüge und Protagonisten. Hier fehlt ein klares Konzept, um das reiche, detaillierte Wissen der Kuratoren tatsächlich ins Ausstellungsformat zu gießen. Schade drum! Zehn Themenblöcke wurden gestrickt. Es beginnt scheinbar chronologisch.

 

Abreise in Berlin. Im ersten Raum der durchgehend deutsch-polnisch beschrifteten Ausstellung erwartet einen der Maler Otto Mueller als lässiger Pfeifenraucher, noch in der deutschen Hauptstadt. Porträtiert hat ihn der Brücke-Freund Ernst Ludwig Kirchner in seinem nervösem Großstadt-Expressivstil. Wilde Striche, lässige Pose. Für diese unnachahmliche Bohemien-Aura sind die Brücke-Maler berühmt.

 

Unübersichtliches Potpourri

 

In Breslau allerdings fremdelte der Avantgardist Mueller, der nun auf einmal zum Professor aufrückte. 1919 wurde er berufen. „hier in Breslau ist es scheußlich bei dem ewigen Regenwetter und Glockengebimmel ich werd manchmal bald wahnsinnig und will auch nicht mehr lange bleiben“, ließ er 1923 seine Exfrau Maschka wissen. Sie hatte es abgelehnt, mit nach Breslau zu ziehen. Davon allerdings erzählt die Ausstellung nichts.

 

Statt ihren Hauptprotagonisten überhaupt erst einmal richtig vorzustellen, mixt sie schon im ersten Kapitel die Stile, Zeiten und Personen zu einem reichlich unübersichtlichen Potpourri. Da tritt etwa Galerist Ferdinand Möller auf, in einem Porträt der 1940er Jahre. Er vertrat Otto Mueller in seiner Breslauer Dependance und später in Berlin, ebenso wie den Bildhauer Wilhelm Lehmbruck. Von diesem steht folglich eine große Aktskulptur dabei.

 

Gegensätzliche Konzepte

 

Und mitten zwischen Brücke-Zeit-Aquarellen von Mueller taucht ein großes Blatt von Zdzislaw Nitka auf: Knallrote Pinselhiebe, heftiger Duktus, kantig hingeklotzte Akte – eine offenkundige Hommage an die Brücke, gemalt 1986. Man ahnt: Die Kuratoren dehnen die Netzwerke Otto Muellers und seines Einflusses bis in die Gegenwart aus. So geht es in abrupten Sprüngen auch in den folgenden Themenkapiteln weiter.

 

Schon sieht man sich wieder von einem wilden Mix an Stilen umgeben: Auf Blau reckt sich ein kühner Akt Otto Muellers, flankiert von den gummiartig stilisierten Frauengestalten Johannes Molzahns, der ebenfalls in Breslau als Lehrer wirkte. Die neusachlichen Kollegen Alexander Kanoldt und Carlo Mense halten mit präzis gepinselten Porträts und Stillleben dagegen – und die Fahne der Gegenständlichkeit hoch. So müssen damals auch an der Breslauer Akademie die divergierenden Konzepte aufeinandergeprallt sein.

 

Die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen

 

Vor allem Oskar Moll, als Direktor ab 1925 im Amt, versuchte bewusst, die widerstreitenden Konzepte der Moderne an seine Hochschule zu holen – ähnlich wie auch Walter Gropius am Bauhaus mit seiner bunt gemischten Meisterriege. Dieser Pluralismus sorgte in Breslau für ein freies, befruchtendes Kreativklima. Aber auch für Kritik. Studierende beklagten sich über Desorientierung wegen der verschiedenen Kunstauffassungen. Als Oskar Schlemmer nach neun Jahren am Bauhaus 1929 in Breslau eintraf, war die wilde Mischung perfekt.

 

Eine Litfaßsäule schaltet sich unvermittelt in den Rundgang ein: Hier hat die Breslauer Werkbundausstellung „Wohnen und Werkraum“ von 1929 einen Blitzauftritt mit rasanten Plakaten des Akademielehrers Molzahn. Von gegenüber grüßt Otto Mueller, der seinem ungeliebten Breslauer Domizil immer häufiger durch Reisen entkam. Oft war er im Riesengebirge oder wochenlang in Ungarn oder Jugoslawien, wo ihn das Volk der Roma faszinierte. Seine berühmten „Zigeuner“-Motive schuf er in der Breslauer Zeit. Die herbe, spröde „Zigeunermadonna“ zeugt von seiner exotistischen Sehnsucht nach dem Ursprünglichen.

 

Zuckersäcke als Leinwand

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Wir gehen Baden!" Eine Sommerausstellung im Kupferstichkabinett, Berlin mit Werken von Otto Mueller

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Karl Schmidt-Rottluff - Bild und Selbstbild" - Muellers Malerkollege der Dresdener Künstlergruppe "Brücke" im Museum Wiesbaden

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "ImEx – Impressionismus – Expressionismus. Kunstwende" - in der Alten Nationalgalerie, Berlin

 

Nur einen einzigen polnischen Studenten konnten die Kuratoren in Muellers Schülerschar ausmachen. Ausgiebig wird der 1897 geborene Jan Cybis mit mehreren Werken gewürdigt. Sein pastos hingestrichenes, neoexpressives Stillleben mit Flasche von 1953 lässt die Vorliebe seines Lehrers für dicke Malmaterie und rohe Leinwände ahnen. Manchmal spannte Otto Mueller sogar alte Zuckersäcke auf Keilrahmen.

 

Wie die Studenten auf seinen Unterricht mit Stilanleihen, eigensinnigen Schöpfungen und anekdotischen Zitaten reagierten, lässt sich im abschließenden Raum studieren. Viel unbekannte Namen sind da versammelt, auch einige Frauen. Horst Strempel und Alexander Camaro hingegen kamen in Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg zu Anerkennung. Und von hier kam letztlich auch die Idee zu dieser Ausstellung: Die Berliner Camaro-Stiftung regte die Breslau-Connection an.

 

Kein Anklang an Mueller

 

So darf ein fast abstraktes Großformat Camaros von 1991, ein Jahr vor seinem Tod gemalt, den Schlusspunkt der Ausstellung bilden. Kein Hauch von Otto Mueller steckt darin, kein Reflex auf Camaros Heimat Breslau. Das hätte wohl zumindest seinem Lehrer gefallen. Es heißt, er reagierte allergisch darauf, wenn jemand seinen Stil zu kopieren versuchte.