A Star is born: Der exilpolnische Regisseur Paweł Pawlikowski, der seit seiner Jugend vorwiegend in Großbritannien lebt, hat mit seinem letzten Film „Ida“ (2013) alle großen Filmpreise gewonnen, inklusive den Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Da sind die Erwartungen an den Nachfolger entsprechend hoch: Für „Cold War“ sich Pawlikowski fünf Jahre Zeit gelassen. Abermals mit Erfolg: Beim Festival in Cannes erhielt er den Preis für die beste Regie.
Info
Cold War - Der Breitengrad der Liebe
Regie: Paweł Pawlikowski,
89 Min., Polen/ Frankreich / Großbritannien 2018;
mit: Joanna Kulig, Tomasz Kot, Borys Szyc
Volkslieder für den Wiederaufbau
Beide Hauptfiguren treffen 1949 in Polen das erste Mal aufeinander. Im Dienste des polnischen Wiederaufbaus fährt Musiker und Komponist Wiktor (Tomasz Kot) übers Land, um Volksweisen aufzuzeichnen – ungeschliffene Lieder von Liebe und Leid, die den Grundstock für das Repertoire einer neuen nationalen Gesang -und Tanz-Gruppe „Mazurek“ bilden sollen. Dafür stand das tatsächlich bis heute existierende Ensemble „Mazowsze“ Pate.
Offizieller Filmtrailer
Eigenen Vater mit Messer aufklären
Beim Vorsingen sticht Wiktor die eigenwillige und rätselhafte Zula (Joanna Kulig) ins Auge: Statt eines Volksliedes singt sie einen russischen Tango. Ihr sagt man nach, sie habe im Gefängnis gesessen, was sie lakonisch so erklärt: „Mein Vater hat mich mit meiner Mutter verwechselt. Also habe ich ihn mit einem Messer über den Irrtum aufgeklärt.“.
Das energische Mädchen wird bald zum strahlenden Mittelpunkt des Ensembles – und aus Wiktor und Zula ein leidenschaftliches Paar, das gegensätzlicher nicht sein könnte. Er ist ein idealistischer Künstler, sie eine passioniert pragmatische Überlebenskünstlerin. Mit zunehmendem Erfolg gerät das Ensemble unter politischen Druck der KP-Regierung; es muss gegen Wiktors Willen fortan auch Propaganda- und Stalin-Hymnen intonieren.
Kino-Look der 1960er Jahre
Enttäuscht nutzt Wiktor deshalb ein Gastspiel in Ostberlin 1952 zur Flucht in den Westen. Zula hat nicht so viel Mut und bleibt in Polen. Ihre Wege werden sich künftig dennoch mehrmals kreuzen, trotz getrennter Leben und anderer Partner. Über Paris und Jugoslawien führen sie wieder nach Polen zurück.
Für diese ungewöhnliche Liebesgeschichte zweier Grenzgänger findet Pawlikowski mal karge (für Polen), mal flirrende (in Paris) Bilder in allen Graustufen. Sie scheinen nicht dem gegenwärtigen Kino zu entspringen, sondern einem vergessenen Werk der 1960er Jahre, etwa von Polens Regie-Altmeister Andrzej Wajda.
Musik hat dritte Hauptrolle
Die Handlung folgt hingegen einer moderneren Dramaturgie: Häufige Zeitsprünge über mehrere Jahre fordern das Publikum heraus. Dabei werden nur die entscheidenden Stationen dieser Beziehung erzählt, für die der titelgebende Kalte Krieg sowohl zeitgeschichtlicher Hintergrund als auch Impulsgeber ist. Die Lücken zwischen den elliptischen Episoden muss der Zuschauer mit seinem historischen Wissen und eigenen Erfahrungen selbst füllen.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films “Ida” – intensives Drama über eine jüdische Nonne im Nachkriegs-Polen von Pawel Pawlikowski, mit Auslands-Oscar 2017 prämiert
und hier eine Besprechung des Films "Im Namen des ..." – beeindruckendes Liebesdrama unter katholischen Priestern in Polen von Małgorzata Szumowska
und hier ein Bericht über den Film "The Artist" – brillanter Retro-Stummfilm in Schwarzweiß über Schauspieler-Liebe von Michel Hazanavicius.
Systemgegensatz der Charaktere
Sie können weder ohne noch miteinander sein; damit verkörpern ihre Charaktere wohl auch den damaligen Systemgegensatz von radikal unterschiedlichen Gesellschaftsentwürfen. Nicht von ungefähr fühlt sich Individualist Wiktor in Paris wohl, während Zula dort das Gesangs-Ensemble fehlt, das sie erdet. Ihr bleibt die französische Hauptstadt fremd, obwohl man sie mit offenen Armen empfängt und fördert.
Treibende Kraft ist dabei immer Zula, wunderbar verkörpert von Joanna Kot; mit ihr arbeitet Regisseur Pawlikowski bereits zum dritten Mal zusammen. Die Wandlung vom zähen Dorfmädchen zur verruchten Pariser Chanteuse gelingt ihr glänzend glaubhaft; damit gräbt sie sich im Gedächtnis ein. Wie die mitreißenden Tanz- und Musikszenen, die vor allem durch die akustische Wucht des Chorgesangs bis ins Mark gehen.
Mit „Cold War“ hat Pawel Pawlikowski ein weiteres zutiefst berührendes Meisterwerk geschaffen; diesmal über die unbändige Kraft der Liebe. Wie ein gutes, vielschichtiges Musikstück offenbart es beim zweiten oder dritten Ansehen immer mehr Ebenen und Möglichkeiten zur Interpretation.