Paweł Pawlikowski

Cold War – Der Breitengrad der Liebe

Liebe als Zerreißprobe: Wiktor (Tomasz Kot) und Zula (Joanna Kulig) lernen ihre Grenzen kennen. Foto: © Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart: 22.11.) Liebe in den Zeiten des Kalten Krieges: Im 60er-Jahre-Schwarzweiß erzählt Regisseur Paweł Pawlikowski von der Amour Fou zweier polnischer Musiker – so atmosphärisch dicht und fesselnd wie schon in seinem Oscar-prämierten Film "Ida".

A Star is born: Der exilpolnische Regisseur Paweł Pawlikowski, der seit seiner Jugend vorwiegend in Großbritannien lebt, hat mit seinem letzten Film „Ida“ (2013) alle großen Filmpreise gewonnen, inklusive den Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Da sind die Erwartungen an den Nachfolger entsprechend hoch: Für „Cold War“ sich Pawlikowski fünf Jahre Zeit gelassen. Abermals mit Erfolg: Beim Festival in Cannes erhielt er den Preis für die beste Regie.

 

Info

 

Cold War - Der Breitengrad der Liebe

 

Regie: Paweł Pawlikowski,

89 Min., Polen/ Frankreich / Großbritannien 2018;

mit: Joanna Kulig, Tomasz Kot, Borys Szyc

 

Weitere Informationen

 

Wie „Ida“ spielt auch „Cold War“ im Polen der Nachkriegszeit und ist in Schwarzweiß gedreht. Der Film erzählt die Geschichte einer unmöglichen Liebe; die Protagonisten tragen die Namen von Pawlikowskis Eltern, Wiktor und Zula. Die Handlung ist jedoch fiktional: Ihr schwieriges Beziehungsgeflecht spannt sich über fünfzehn Jahre.

 

Volkslieder für den Wiederaufbau

 

Beide Hauptfiguren treffen 1949 in Polen das erste Mal aufeinander. Im Dienste des polnischen Wiederaufbaus fährt Musiker und Komponist Wiktor (Tomasz Kot) übers Land, um Volksweisen aufzuzeichnen – ungeschliffene Lieder von Liebe und Leid, die den Grundstock für das Repertoire einer neuen nationalen Gesang -und Tanz-Gruppe „Mazurek“ bilden sollen. Dafür stand das tatsächlich bis heute existierende Ensemble „Mazowsze“ Pate.

Offizieller Filmtrailer


 

Eigenen Vater mit Messer aufklären

 

Beim Vorsingen sticht Wiktor die eigenwillige und rätselhafte Zula (Joanna Kulig) ins Auge: Statt eines Volksliedes singt sie einen russischen Tango. Ihr sagt man nach, sie habe im Gefängnis gesessen, was sie lakonisch so erklärt: „Mein Vater hat mich mit meiner Mutter verwechselt. Also habe ich ihn mit einem Messer über den Irrtum aufgeklärt.“.

 

Das energische Mädchen wird bald zum strahlenden Mittelpunkt des Ensembles – und aus Wiktor und Zula ein leidenschaftliches Paar, das gegensätzlicher nicht sein könnte. Er ist ein idealistischer Künstler, sie eine passioniert pragmatische Überlebenskünstlerin. Mit zunehmendem Erfolg gerät das Ensemble unter politischen Druck der KP-Regierung; es muss gegen Wiktors Willen fortan auch Propaganda- und Stalin-Hymnen intonieren.

 

Kino-Look der 1960er Jahre

 

Enttäuscht nutzt Wiktor deshalb ein Gastspiel in Ostberlin 1952 zur Flucht in den Westen. Zula hat nicht so viel Mut und bleibt in Polen. Ihre Wege werden sich künftig dennoch mehrmals kreuzen, trotz getrennter Leben und anderer Partner. Über Paris und Jugoslawien führen sie wieder nach Polen zurück.

 

Für diese ungewöhnliche Liebesgeschichte zweier Grenzgänger findet Pawlikowski mal karge (für Polen), mal flirrende (in Paris) Bilder in allen Graustufen. Sie scheinen nicht dem gegenwärtigen Kino zu entspringen, sondern einem vergessenen Werk der 1960er Jahre, etwa von Polens Regie-Altmeister Andrzej Wajda.

 

Musik hat dritte Hauptrolle

 

Die Handlung folgt hingegen einer moderneren Dramaturgie: Häufige Zeitsprünge über mehrere Jahre fordern das Publikum heraus. Dabei werden nur die entscheidenden Stationen dieser Beziehung erzählt, für die der titelgebende Kalte Krieg sowohl zeitgeschichtlicher Hintergrund als auch Impulsgeber ist. Die Lücken zwischen den elliptischen Episoden muss der Zuschauer mit seinem historischen Wissen und eigenen Erfahrungen selbst füllen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films “Ida” – intensives Drama über eine jüdische Nonne im Nachkriegs-Polen von Pawel Pawlikowski, mit Auslands-Oscar 2017 prämiert

 

und hier eine Besprechung des Films "Im Namen des ..." – beeindruckendes Liebesdrama unter katholischen Priestern in Polen von Małgorzata Szumowska

 

und hier ein Bericht über den Film "The Artist" – brillanter Retro-Stummfilm in Schwarzweiß über Schauspieler-Liebe von Michel Hazanavicius.

 

Neben dem Paar spielt eine dritte Hauptrolle die Filmmusik, die Marcin Masecki arrangiert hat. Insbesondere das programmatische Lied „Dwa serduszka – Zwei Herzen, das sich in vielen Variationen vom Volkslied bis zum Jazz-Song als Leitmotiv durch den Film zieht, macht von Anfang an klar, dass diese Liebe unter keinem guten Stern steht. Wiktor und Zula sind zu gegensätzlich; sie ziehen sich wie Magnetpole an und stoßen sich dann wieder ab.

 

Systemgegensatz der Charaktere

 

Sie können weder ohne noch miteinander sein; damit verkörpern ihre Charaktere wohl auch den damaligen Systemgegensatz von radikal unterschiedlichen Gesellschaftsentwürfen. Nicht von ungefähr fühlt sich Individualist Wiktor in Paris wohl, während Zula dort das Gesangs-Ensemble fehlt, das sie erdet. Ihr bleibt die französische Hauptstadt fremd, obwohl man sie mit offenen Armen empfängt und fördert.

 

Treibende Kraft ist dabei immer Zula, wunderbar verkörpert von Joanna Kot; mit ihr arbeitet Regisseur Pawlikowski bereits zum dritten Mal zusammen. Die Wandlung vom zähen Dorfmädchen zur verruchten Pariser Chanteuse gelingt ihr glänzend glaubhaft; damit gräbt sie sich im Gedächtnis ein. Wie die mitreißenden Tanz- und Musikszenen, die vor allem durch die akustische Wucht des Chorgesangs bis ins Mark gehen.

 

Mit „Cold War“ hat Pawel Pawlikowski ein weiteres zutiefst berührendes Meisterwerk geschaffen; diesmal über die unbändige Kraft der Liebe. Wie ein gutes, vielschichtiges Musikstück offenbart es beim zweiten oder dritten Ansehen immer mehr Ebenen und Möglichkeiten zur Interpretation.