Berlin

George Grosz in Berlin

George Grosz auf dem Kurfürstendamm in Berlin, wenige Wochen vor seinem Tod, Fotografie, 1959, Archiv Ralph Jentsch, Rom. Fotoquelle: Bröhan Museum, Berlin
Alle wollen nach Berlin, er nicht: Nach dem US-Exil kehrte der gebürtige Berliner Grosz unwillig zurück. Ohne seine ätzende Polit-Grafik wäre das Bild der Weimarer Republik undenkbar: Das zeigt eine große Werkschau im Bröhan-Museum – mit Stärken und Schwächen.

Am Ende steht George Grosz da wie ein Pop-Art-Pionier. In seiner letzten Werkserie aus den 1950er Jahren zerschnipselte und montierte der Künstler die bunte amerikanische Konsumwelt, in der er seit mittlerweile 25 Jahren lebte. Da gruppieren sich etwa adrette Blondinen zum großen Fressen um einen Riesenbatzen blutiger Fleischmassen.

 

Info

 

George Grosz in Berlin

 

18.10.2018 - 06.01.2019

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr

im Bröhan-Museum, Schlossstraße 1a, Berlin

 

Katalog 22 €

 

Weitere Informationen

 

In bester Dada-Manier bediente sich der Fotomonteur noch einmal aus dem Fundus farbiger US-Illustrierten. Sich selbst verpasste Grosz den Körper eines vollbusiges Pin-Up-Girls: Diese furiose Travestie vor der Skyline von New York war sein sarkastischer Abschiedsgruß an das Land, das seinen amerikanischen Traum hatte zerplatzen lassen wie eine Seifenblase. Glücklich war Grosz in den USA nicht geworden.

 

Im Atelier von Arno Breker

 

Zurück nach Berlin wollte er aber eigentlich auch nicht, wie Ralph Jentsch betont, der langjährige Direktor des „George Grosz Estate“ in Princeton. Dass seine Ehefrau Eva krebskrank war, gab den Ausschlag für die Rückkehr in die ungeliebte Heimat, wo man dem Exilanten ausgerechnet das Atelier des NS-Staatsbildhauers Arno Breker anbot.

Impressionen der Ausstellung; © Kunstleben Berlin


 

Wunschprojekt Grosz-Museum

 

Lieber hätte der Künstler seinen Lebensabend in Frankreich verbracht; dort malte er schon in den 1920er Jahren für seinen Galeristen Alfred Flechtheim und dessen vermögende Kundschaft sanftmütige Landschaften. Aber Grosz starb 1959 in Berlin, kurz vor seinem 66. Geburtstag. Und hier gehört er hin, meint Jentsch. Er hat als Gastkurator die Retrospektive im Bröhan-Museum mitbetreut; damit bringt er auch sein Wunschprojekt eines hauptstädtischen Grosz-Museums ins Spiel.

 

Die Schau „George Grosz in Berlin“ zeigt aber mehr als einen Berliner Lokalhelden. Sie umreißt das Schaffen des großen Provokateurs chronologisch von den ersten kreativen Ergüssen bis hin zum üppig vertretenen amerikanischen Spätwerk. Das Meiste ist lichtscheue Ware auf Papier, die gewöhnlich im Depot schlummert.

 

Urbaner Dschungel als Jagdrevier 

 

Gerade hier, im grafischen Fach, brillierte Grosz mit scharflinigem Zugriff auf die Sujets seiner Gegenwart. Mit Werken in massentauglichen Auflagen zielte er bewusst auf ein breites Publikum. Die Rechnung ging auf: Grosz‘ wildes Typen-Repertoire von tätowierten Ganoven und feisten Industriebonzen bis zu drallen Prostituierten hat sich bis heute ins kollektive Gedächtnis eingebrannt.

 

„Ach knallige Welt, du Lunapark, du seliges Abnormitätenkabinett, pass auf! Hier kommt Grosz, der traurigste Mensch in Europa, steifen Hut im Genick, kein schlapper Hund!“ trällerte der Künstler als Dadaist zur Klampfe. „Verbrämte Kloaken, überpinselte Fäulnis, parfümierten Gestank“ witterte Grosz im urbanen Dschungel, seinem Jagdrevier.

 

Wie aus TV-Serie „Babylon Berlin“

 

Was er da aufspießte an Motiven, breiten die großen Mappenwerke aus. Ihre politische Wut und ihr Aggressionspotenzial wirken bis heute ungebremst. Grosz‘ Figuren-Tableaus aus dem Verbrecher-, Proletarier- oder Großbürgermilieu sehen aus wie storyboards zur TV-Serie „Babylon Berlin“. Der „Brillantenschieber“ kneift die Lippen zusammen. Die Kommunisten holen mit Boxerfäusten zum entscheidenden Hieb aus. Der Kapitalist baumelt untot am Galgen.

 

Erotik ist immer ein Machtspiel, das den Frauen die Kleider vom Leib reißt. Und Christus am Kreuz trägt Gasmaske und Soldatenstiefel. Solche respektlosen Grenzüberschreitungen trugen dem Künstler mehrfach Prozesse wegen Blasphemie und Pornographie ein. Auch Schillers „Räuber“ unterzog der belesene Grosz einer bitterbösen Aktualisierung in der zeitgenössischen Großstadtwelt.

 

Drei Jahre lang KP-Mitglied

 

Diese Litho-Mappe erschien, wie alle wichtigen Grafikwerke, im Malik-Verlag seines Freundes Wieland Herzfelde; ihm lieferte Grosz auch Buchumschläge für Titel wie „Steh auf, Prolet“. Der neu gegründeten KPD war der Künstler gleich 1919 beigetreten; schon drei Jahre später verließ er sie flugs wieder, nach einer UdSSR-Reise desillusioniert.

 

Betrachtet man wichtige Grafikfolgen, wie die „Erste Grosz-Mappe“ (1917) mit ihren rasanten Straßenszenen oder die bitterböse Politsatire-Rundumschlag „Gott mit uns“ (1920), vollzählig Blatt für Blatt, wird deren geradezu filmische Dynamik deutlich. Als Grosz 1915 seine „Erinnerungen an New York“ als schwankende Hochhauskulisse zeichnete, war er noch nie dort gewesen. Erst 1932 betrat der Künstler die USA, als Dozent auf Einladung der „Art Students League“. Nach Hitlers Machtergreifung blieb er klüglich gleich da.

 

Hitler als armer Sünder

 

Die scheußliche Altherrenerotik seines Spätwerks erspart die Ausstellung dem Besucher. Die pastose Apokalyptik von Grosz‘ späten Gemälden ist auch so arg dick aufgetragen, maltechnisch wie inhaltlich. Da hockt etwa, peinlich genug, ein rotwangiger Hitler als biblischer Brudermörder Kain wie ein armer Sünder inmitten eines glutroten Schlachtfelds und wischt sich die Stirn: eine allzu harmlose, menschelnde Sicht der Weltlage 1944. Hier hat sich Grosz mit guten Absichten verhoben.

 

Dass der in Berlin-Mitte als Gastwirtssohn geborene Künstler seine Laufbahn mit elegant-harmonischen Jugendstilszenen begann, ist weniger bekannt; diese Arbeiten stellen aber eine feine Verbindung her zur Dauerausstellung im Bröhan-Museum, dem Landesmuseum für Jugendstil.

 

Grosz-Freundeskreis in 2019

 

Als Hauptleihgeber jedoch tritt der „George Grosz Estate“ auf. Er verfügt über 30 Gemälde, überwiegend aus dem Spätwerk, sowie 2000 Arbeiten auf Papier. Das wäre also der Grundstock für ein Grosz-Museum. Zwar gibt es derzeit weder eine Immobilie noch einen Finanzier, aber im nächsten Jahr will sich immerhin ein Freundeskreis gründen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Glanz und Elend in der Weimarer Republik" mit Werken von George Grosz in der Kunsthalle Schirn, Frankfurt am Main

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Menschliches - Allzumenschliches" - Neue Sachlichkeit im Lenbachhaus, München mit Werken von George Grosz

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Otto Dix: Der böse Blick" - spektakuläre Gedenkschau in den Kunstsammlungen K20, Düsseldorf

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung “Wien – Berlin: Kunst zweier Metropolen von Schiele bis Grosz” mit Werken von George Grosz in Berlin + Wien.

 

Mehrere Berliner Privatsammler und Galeristen signalisieren schon jetzt mit Leihgaben ihre Unterstützung. Aus dem wichtigsten und größten Berliner Grosz-Bestand, dem Nachlass in der Akademie der Künste, sind dagegen nur wenige Blätter vertreten. Die malerischen Hauptwerke aus der Nationalgalerie und Berlinischen Galerie fehlen ganz.

 

Bühnenbilder + Marionetten

 

Trotzdem wird die ambivalente, schillernde Vielfalt von Grosz‘ Schaffen deutlich. Er hat für die Theaterbühnen von Erwin Piscator bewegliche Projektionen geschaffen und bitterböse Marionetten für eine Orestie-Parodie von Walter Mehring entworfen. Er hat auf der Überfahrt in die USA mit einer Fotokamera in spontanen Schrägsichten das Bordleben und später die Straßen New Yorks abgelichtet. Seinen kleinen Söhnen machte er die abenteuerliche Schiffspassage mit einem witzigen, bunten Bilderbrief schmackhaft.

 

Nicht alles ist revolutionär und emanzipatorisch beim streitbaren Avantgardisten Grosz. Aber ohne ihn und seinen spitzen Stift sähe unser Bild der 1920er Jahre anders aus: langweiliger, weniger aggressiv, schillernd und bunt – auch wenn seine Werke oft ganz ohne Farbe auskommen.

 

Besser im Netzwerk der Zeitgenossen

 

Ob der Künstler deshalb unbedingt eine dauerhafte one man show in Form eines eigenen Museums braucht? Nur weil Käthe Kollwitz, Max Liebermann, Georg Kolbe und die „Brücke“-Maler in je eigenen Häusern Hof halten, muss nicht auch noch Grosz sein eigenes Süppchen kochen. In der Berlinischen Galerie und in der Nationalgalerie hat er seinen Auftritt: da, wo er hingehört, mitten im Netzwerk seiner Zeitgenossen.