Berlin

London 1938 – Mit Kandinsky, Liebermann und Nolde gegen Hitler

Erich Heckel: Badende, 1914. © Kunstmuseum Bonn, Foto: Reni Hansen. Fotoquelle: Liebermann-Villa, Berlin
Von wegen "Entartete Kunst": Ein Jahr vor Kriegbeginn stellte eine Mammutschau den Briten die Vielfalt moderner Malerei in Deutschland vor. Daran erinnert die Liebermann-Villa – mit einem Zehntel der damaligen Exponate, ausführlich kommentiert.

Es war die größte Ausstellung moderner deutscher Kunst, die je in Großbritannien gezeigt wurde – und eine Antwort auf die ein Jahr zuvor in München eröffnete NS-Femeausstellung „Entartete Kunst“. Die Ausstellung „Twentieth Century German Art“ im Londoner West End präsentierte 1938 dem britischen Publikum rund 300 hochklassige Werke moderner Kunst aus Deutschland.

 

Info

 

London 1938 - Mit Kandinsky, Liebermann und Nolde gegen Hitler

 

07.10.2018 - 14.01.2019

täglich außer dienstags

11 bis 17 Uhr

in der Liebermann-Villa am Wannsee, Colomierstr. 3, Berlin

 

Weitere Informationen

 

Innerhalb weniger Monate war es einem internationalen Team gelungen, mehr als 90 Leihgeber aus ganz Europa für dieses beispiellose Großprojekt zu gewinnen. Zu den Schirmherren zählten berühmte Namen von Picasso bis Virginia Woolf. Etwa 30 Spitzenwerke dieser Londoner Schau hat nun die Liebermann-Villa am Wannsee noch einmal zusammengetragen. Sie lenkt den Blick auf eine Meilenstein-Ausstellung des 20. Jahrhunderts, die erstaunlicherweise in Deutschland wenig bekannt ist.

 

Einstein blieb beim Zoll hängen

 

Albert Einstein kam zu spät. Das lebensgroße Porträt des Nobelpreisträgers aus London, das Max Liebermann 1925 gemalt hatte, traf erst nach der Eröffnung in seiner Villa ein. An der Ausfuhrgenehmigung hakte es, so Museumsdirektor Martin Faass. Ausstellungen organisieren ist eben immer ein Riesenaufwand mit Zollformalitäten, Versicherungen und Leihverträgen. Wie heikel muss diese Logistik erst 1938 gewesen sein!

Feature über die Liebermann-Villa; © Liebermann-Villa


 

Moderne beginnt mit Liebermann

 

Seinerzeit ging das Einstein-Porträt den umgekehrten Weg: Liebermanns Witwe Martha schickte es als Leihgabe zur „Twentieth Century German Art“. Der von den Nazis aufgrund seiner jüdischen Herkunft geächtete Maler war auf dieser Schau sehr prominent mit 22 Bildern vertreten. Warum gerade er, ein arrivierter Meister der gemäßigten Moderne?

 

Offenbar wollten die Initiatoren dem konservativen britischen Publikum die radikaleren Spielarten moderner deutscher Kunst – taktisch klug – in chronologischer Entwicklung nahe bringen. Denn sie wussten: Nicht nur im Dritten Reich, auch in Großbritannien gab es lautstarke Feinde der modernen Kunst; ebenso in den USA, wo die Schau später abgespeckt tourte.

 

Prägnante Abfolge der Kunststile

 

Der damalige Liebermann-Schwerpunkt liefert den Anlass für die jetzige Neuauflage – in stark ausgedünnter Form. Sie ist keine Rekonstruktion. Doch die schmale, konzentrierte Werkauswahl vermittelt einen guten Eindruck, wie weit das Spektrum und wie hoch das Niveau der Schau von 1938 war. Deren spannende Vorgeschichte arbeitet Gastkuratorin Lucy Wasensteiner seit längerem wissenschaftlich auf.

 

Wie einst in London ist auch in der Liebermann-Villa die Abfolge der einzelnen Kunststile sehr schön an beispielhaften Gemälden zu verfolgen: von der saftigen peinture der deutschen Impressionisten Max Slevogt und Lovis Corinth über den Expressionismus der „Brücke“- und „Blauer Reiter“-Maler bis zur Abstraktion eines Paul Klee, Willi Baumeister oder Wassily Kandinsky.

 

Hitler wütete gegen London-Schau

 

Vor 80 Jahren sparte die britische Presse nicht mit teils heftiger und verständnisloser Kritik; aber es gab auch anerkennende Worte. Eines verstand die dortige Öffentlichkeit unmittelbar, obwohl die Organisatoren den unpolitischen Charakter betonten: Diese Ausstellung war ein offensives Statement für die Freiheit der Kunst und gegen die repressive, menschenverachtende NS-Kulturpolitik. Mehr als 60 der in der Schau vertretenen Künstler waren in München als „Entartete“ verunglimpft worden; viele lebten im Exil. Hitler selbst reagierte bei einer Rede mit einem wütenden Seitenhieb gegen die Londoner Schau.

 

Umso trotziger reckt Oskar Kokoschka sein markantes Kinn auf seinem überlebensgroßen „Selbstbildnis als entarteter Künstler“, das er 1937 in kraftgeladenen Farben malte. Er aktivierte von seinem Prager Exil aus seine Kontakte zu Sammlern, um die Londoner Schau mit Leihgaben zu unterstützen. Andere Emigranten erhofften sich neue Absatzmärkte und internationale Aufmerksamkeit für ihre Werke.

 

Viele Besucher, keine Käufer

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Max Liebermann und Paul Klee: Bilder von Gärten" in der Liebermann-Villa, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Klee & Kandinsky – Nachbarn, Freunde, Konkurrenten" im Lenbachhaus, München

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Emil Nolde - Retrospektive" im Städel Museum, Frankfurt am Main

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Helmut Kolle: Ein Deutscher in Paris" über den früh verstorbenen "deutschen Picasso" im Museum Gunzenhauser, Chemnitz

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "GegenKunst: »Entartete Kunst« – NS-Kunst – Sammeln nach '45" - verunglückter Vergleich beider Kunstrichtungen in der Pinakothek der Moderne, München.

 

Aufschlussreich ist, wie sich auch im Initiatoren-Team unterschiedliche Interessen verquickten. Von Zürich aus ließ die Galeristin Irmgard Burchard ihre Netzwerke spielen, in London agierte ebenso tatkräftig ihre Kollegin Noël Evelyn Norton, genannt „Peter“. Mit dem Dritten im Bunde, dem jüdisch-deutschen Kunstkritiker Paul Westheim im Pariser Exil, kam es immer wieder zu Konflikten über Künstlerauswahl und Profil der Ausstellung; sie sollte ursprünglich „Banned Art“ heißen.

 

Da verschränkten sich handfeste wirtschaftliche und politische Beweggründe. Jeder griff auf seine Kontakte zurück und fragte alle möglichen Leihgeber, Sammler, Museen und Exilkünstler an. Letztlich trafen sogar mehr Kunstwerke in London ein, als überhaupt gezeigt werden konnten. Das Interesse war so groß, dass bei der Eröffnung Schaulustige bis auf die Straße Schlange standen, so der Kritiker Alfred Kerr. Verkauft allerdings wurde fast nichts, ökonomisch erwies sich die Sache als Fehlschlag.

 

Nolde biederte sich Nazis an

 

Erzählt werden in der Liebermann-Villa auch die Schicksale der Sammler und Leihgeber, die hinter den Werken standen. Ihre Kurzbiographien begleiten die Enfilade der Gemälde an den Wänden buchstäblich als Subtext: auf Texttafeln unterhalb der Exponate. Man lernt einige der wichtigsten deutschen Sammler moderner Kunst kennen, etwa Erich und Senta Göritz aus Berlin; das jüdische Ehepaar emigrierte schon 1934 nach Großbritannien.

 

Die Kunstwerke selbst kommen ohne Erklärung aus: Sie sprechen mit ihrer Strahlkraft und Qualität für sich. Auf einem abstrakten Großformat von Wassiliy Kandinsky explodieren die Farben. Paula Modersohn-Becker brilliert mit einem kargen, wunderschönen Orangen-Stillleben. Emil Nolde lässt unvergleichlich blau ein Beet voller Iris wuchern. Ihm war allerdings gar nicht recht, dass seine Werke derart prominent in London gezeigt wurden: Im Vorfeld setzte er alle Hebel in Bewegung, um den NS-Kulturfunktionären seine Loyalität zu versichern – samt heftigen antisemitischen Ausfällen.