Dresden

Ostdeutsche Malerei und Skulptur 1949 – 1990

Harald Hakenbeck: Peter im Tierpark, (Detail) 1960. Öl auf Leinwand, 66 x 46 cm. Fotoquelle: Albertinum Dresden
Sozialistische Helden und Landschaften, die experimentelle Spielräume boten: Die Zeit scheint reif für einen differenzierten Umgang mit DDR-Kunst. Das Albertinum zeigt, wie sich die Kunstproduktion wandelte, und liefert Hintergründe zur Sammlung.

„Wir müssen reden!“ findet das Albertinum Dresden. 150 Werke der ostdeutschen Malerei und Plastik hat Chefin Hilke Wagner aus dem Depot wieder ans Licht geholt. Dass viele kapitale Stücke aus DDR-Zeiten in den letzten Jahren stillschweigend beiseite geräumt worden waren, hatte zuletzt heftigen Protest entfacht. Jetzt steht die heiße Ware erneut zur Debatte. Ist die Zeit endlich reif für eine entkrampfte, differenzierte Begegnung mit der Kunst des verschwundenen Landes DDR?

 

Info

 

Ostdeutsche Malerei und Skulptur 1949 – 1990

 

15.06.2018 - 07.01.2019

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr

im Albertinum,  Dresden

 

Weitere Informationen

 

Für viele Besucher sind Werke wie der pausbäckige „Peter im Tierpark“ mit seiner blauen Jacke von Harald Hakenbeck nicht einfach ein Stück Malerei, sei sie gut oder schlecht, und auch nicht bloß Dokumente sozialistischer Kunstpolitik. Es sind persönliche Erinnerungsspeicher, mit Identifikation aufgeladen. Der Junge mit den Kulleraugen gehörte, seit das Bild 1962 erstmals ausgestellt wurde, zu den absoluten Publikumslieblingen. Das Blau leuchtet optimistisch wie einst.

 

DDR-Institutionen wirkten zusammen

 

Und sonst? Das Gespräch ist eröffnet. Seit 1952 sitzt das „Hausfriedenskomitee“ von Rudolf Bergander unbeirrbar ins Denken und Diskutieren vertieft. Wie auf einer Bühne hat der langjährige Dresdener Akademiedirektor seine Akteure gruppiert: Das wirkt glaubwürdig, aber trotzdem gespielt.

 

Als Programmbild für die Abteilung „Sozialistische Gegenwartskunst“ wurde das Gemälde 1960 mithilfe des DDR-Kulturfonds erworben. Wie die verschiedenen Institutionen im Staat beim Aufbau der Albertinums-Sammlung zusammenwirkten, zeigt die chronologisch nach Ankaufsjahren gehängte Schau ebenfalls auf.  

 

Grau-rot-gold

 

Es beginnt Grau in Grau und blutig Rot: Bevor 1949 der „Sozialistische Realismus“ ausgerufen wurden, verarbeiteten die Maler den Kriegsschrecken in expressiver Symbolik. Hans Lachnit setzt eine verzweifelte Mutter in eine halbabstrakte Trümmerlandschaft. Als formalistisch beargwöhnt, gelangte das Bild erst mit Verspätung 1957 in die Sammlung.

 

Ähnlich erging es Hans Grundig. Mit echtem Blattgold überzog er den kahlen Boden eines KZ-Lagers, auf dem starr und kantig verkrampft die „Opfer des Faschismus“ liegen: tot. Dieses Meisterwerk hat zeitlose Gültigkeit.

 

Ideologiekonforme Helden

 

Aber gilt das auch für Willi Sittes monumentales Soldatentriptychon „Die Überlebenden“ von 1963, das vis-á-vis hängt? Der spätere Chef des mächtigen DDR-Künstlerverbands ließ sich von Picassos Monumentalbild „Guernica“ von 1937 und George Grosz beeinflussen, formt aber ideologiekonforme Helden aus dem Schlamm der Geschichte.

 

Werner Tübkes winziges „Requiem“ dagegen bemüht die manieristische Feinpinselei Alter Meister, um die Zeit stillzustellen und der Gegenwart zu entschlüpfen. Eine Zimmerbrigade malt er wie eine Sacra Conversazione der Renaissance. Dass Tübkes detailverliebte Gemälde nie eindeutig zu enträtseln waren, machte sie anfangs umstritten. Eine ideologisch wasserfeste Botschaft lieferten auch die anderen Stars der Leipziger Malerschule nicht.

 

Seltene Politikerporträts

 

Johlend und stampfend rollt Wolfgang Mattheuers übermütiger „Sisyphos“ 1972 seinen Stein bergab in den Abgrund, statt ihn brav auftragsgemäß bergan zu wuchten. Frei von subversiven Doppelbödigkeiten hingegen blicken einem „sozialistische Persönlichkeiten“ entgegen: der Schach spielende Arbeiter, die sportlich radelnde Familie, die selbstbewusste Traktoristin. Auf leisen Sohlen geht der Dichter Brecht in Bronze vorüber und lächelt fein, das alte Schlitzohr.

 

Der marmorne Lenin kam bei einem Kunst-Tausch aus der UdSSR. Insgesamt aber blieben Politikerporträts in der Sammlung die Ausnahme. Viel Dresdener Malerei ist zu sehen, angefangen von den Altmeistern Rosenhauer und Hegenbarth, auch viel unverfängliche Landschaft. Sie bot den Malern experimentellen Spielraum.

 

Öffnung in der Ära Honecker

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Hinter der Maske - Künstler in der DDR" - umfassende Überblicks-Schau im Museum Barberini, Potsdam

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Wolfgang Mattheuer - Bilder als Botschaft" – Retrospektive eines der bekanntesten DDR-Künstler in der Kunsthalle Rostock

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Das große Welttheater" mit Werken des DDR-Künstlers Bernhard Heisig im Kunst-Raum des Bundestags, Berlin.

 

und hier einen Beitrag zur Ausstellung "geteilt | ungeteilt: Kunst in Deutschland 1945 bis 2010" - große Vergleichs-Schau in der Galerie Neue Meister im Albertinum, Dresden.

 

Gerda Lepke etwa tupft einen Braunkohlen-Tagebau als flirrendes Farbfleckengewirr bis an die Grenze zur abstrakten Gestik. Die klare, reine Abstraktion aber drängt sich, im Osten marginalisiert, in einem einzigen Kabinett um den großen Geometriker Hermann Glöckner (1887-1987).

 

Der Dresdener erlangte seinen verdienten Platz in der Sammlung erst 1990, sprich postum. Da war auch der Staat, in dem er seine klaren, schönen Faltungen schuf, schon Geschichte. Am Ende der Ära Honecker wurden selbst die wilden Farbmaterialschlachten von Angela Hampel und Hubertus Giebe toleriert, sogar angekauft. Längst schlugen sich die Kulturfunktionäre nun mit anderen aufmüpfigen Phänomenen wie Aktionskunst und Performance herum.

 

Propaganda-Wimmelbild

 

Peng! Atompilze schießen in den grellorangenen Himmel. „Die freie Welt des Imperialismus“ türmt sich auf einer Riesenleinwand im Comicstil wie ein moderner Turmbau zu Babel auf, gespickt mit der Kapitalkraft von Konzernen wie Shell, Ford und AEG. Das kuriose Propaganda-Wimmelbild, 1958 datiert, stammt von Oscar Nerlinger, den man eher als Avantgardisten der 1920er Jahre kennt.

 

Still und laut, penibel gepinselt oder wuchtig hingestrichen, vom „Bitterfelder Weg“ 1959 bis zu den kulturpolitischen Lockerungen der Spätphase: Die Ostkunst des Albertinums lohnt einen zweiten Blick, bevor sie womöglich wieder ins Depot entschwindet.