Einer seiner Lieblingsfilme, so erklärt Regisseur Luca Guadagnino, sei Dario Argentos „Suspiria“. Diesen Horror-Klassiker von 1977 hat er nun neu verfilmt. Ein typisches Remake ist diese Neufassung von „Suspiria“ nicht; eher eine freie Interpretation, ein postmodernes Spiel mit Motiven und Verweisen.
Info
Suspiria
Regie: Luca Guadagnino,
152 Min., Italien/ USA 2018;
mit: Dakota Johnson, Tilda Swinton, Chloe Grace Moretz
Neuer Körper für die Anführerin
Gerade dass Susie so unerfahren ist, weckt Blancs Begierde. Ihr Interesse, so stellt sich rasch heraus, hat einen übernatürlichen Hintergrund. Die Chef-Hexen der Tanzschule suchen verzweifelt einen neuen Körper für ihre dahinsiechende Anführerin Helena Markos. Susie wird für diese Rolle auserkoren.
Offizieller Filmtrailer
Deutscher Herbst als Hintergrundrauschen
Ihre Vorgängerin Patricia (Chloë Grace Moretz) war vor diesem Plan überstürzt geflohen und beim Psychiater Dr. Jozef Klemperer untergeschlüpft. Der wird angeblich von einem „Dr. Lutz Ebersdorf“ gespielt, doch unter dickem Make-Up ist immer wieder Tilda Swinton zu erahnen. Dieser Psychiater ist von den Lehren Carl Gustav Jungs beeinflusst, dem Begründer der analytischen Psychologie, und interessiert sich nun für die mysteriösen Vorgänge in der Tanzschule.
In Guadagninos vorletztem Film „A Bigger Splash“ (2016) war die Flüchtlingskrise Hintergrund, sie sorgte bei der vordergründigen Krimihandlung für leise Irritationen. Im Vorgängerfilm „Call me by Your Name“ (2017) spielte die faschistische Vergangenheit Italiens kaum eine Rolle. Dagegen erscheinen in „Suspiria“ die Verweise auf die deutsche Gegenwart des Jahres 1977, in dem der Film spielt, vor allem aber auf die NS-Vergangenheit, zunächst als deutliches, wenn auch für die Geschehnisse in der Tanzschule nicht wirklich relevantes Hintergrundrauschen.
Victor Klemperer spielt mit
Bald jedoch macht Guadagnino den Hintergrund zur Hauptsache. Durch Fernsehberichte wird die Filmhandlung im Deutschen Herbst verankert: von Gefangenen in Stammheim ist die Rede, von der Entführung des Arbeitgeber-Präsidenten Hanns Martin Schleyer durch die RAF, später vom Drama um die von Terroristen gekidnappte Lufthansa-Maschine Landshut.
Die historischen Bezüge reichen noch weiter in die deutsche Vergangenheit, etwa durch die Figur des Psychiaters Jozef Klemperer – unverkennbar ein Wiedergänger von Victor Klemperer (1881-1960). Dieser jüdische Romanist und Politiker verlor im Dritten Reich seiner Professur, überlebte im Untergrund und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Studie „L. T. I. – Lingua Tertii Imperii“ über die Sprache des Dritten Reichs bekannt. Seine posthum ab 1995 veröffentlichten Tagebücher waren Bestseller.
Genre- vs. Arthouse-Publikum
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Call me by your Name" - betörend stimmungsvolles Coming-Out-Drama von Luca Guadagnino
und hier einen Beitrag über den Film "A Bigger Splash" – luxuriöser Lebemann-Krimi am Urlaubs-Pool von Luca Guadagnino mit Tilda Swinton
und hier ein Interview mit Tilda Swinton über ihren Film "I am Love" von Luca Guadagnino und die Superreichen in Italien
und hier einen Bericht über den Film "The Strange Colour of Your Body’s Tears" – labyrinthischer Erotik-Thriller in der Tradition von Giallo-Regisseur Dario Argento von Hélène Cattet + Bruno Forzani.
Spätestens hier befriedigt Guadagnino die Erwartungen an das Genre: Er inszeniert einen atemberaubenden Hexentanz, der in seiner blutigen Drastik das Arthouse-Publikum wohl eher verstören dürfte. Wie ausführlich er zugleich die Psyche der deutschen Nachkriegs-Seele auslotet, könnte wiederum das Genre-Publikum überfordern – zumal diese neue „Suspiria“-Version mit zweieinhalb Stunden eine gute Stunde länger ist als das Original.
Überbordende Stilübung
Es bleibt der Eindruck, dass der Autorenfilmer, der sich diesmal vorgeblich an einem Genrefilm versucht, tatsächlich kein großes Interesse an Genre-Mechanik mitbringt. Dennoch hat Guadagnino viele großartige Elemente zusammengefügt. Neben der stets spektakulären Tilda Swinton beeindrucken auch Dakota Johnson; ebenso die Choreographien, die an Werke von Pina Bausch erinnern, der Soundtrack von Radiohead-Sänger Thom Yorke und manches mehr.
Dass diese Teile oft nebeneinander stehen, anstatt ein rundes Ganzes zu ergeben, lässt „Suspiria“ bisweilen wie eine verkopfte Stilübung wirken. So hängt das Ergebnis zwischen allen Stühlen und droht immer wieder auseinander zu brechen. Zwischendrin brodelt es allerdings regelrecht vor Ideen, Verweisen und Bezügen.