Lars von Trier

The House That Jack Built – Pro

Jack (Matt Dillon) jagt seiner Freundin "Simple" (Riley Keough) Angst ein. Foto: © 2018 Concorde Filmverleih GmbH / photo by Zentropa: Christian Geisnaes
(Kinostart: 29.11.) Eigenheimbau ist aller Gräuel Anfang: Das Genre des Serienkiller-Thrillers nutzt Lars von Trier listig für einen fulminanten Essayfilm über lauter letzte Fragen – als Nachfolger von Pasolini und Ingmar Bergman auf Dantes Spuren in der Hölle.

Ein Genre-Film von Lars von Trier? Das hat doch schon bei „Nymphomaniac“ nicht funktioniert! Zwar soll die fünfeinhalbstündige Langfassung ausgedehnte Sex-Szenen enthalten, doch kaum einer hat sie gesehen. Die in zwei Teile aufgeteilte Version, die 2014 ins Kino kam, war hingegen so verkopft und unsinnlich, als habe ihr Schöpfer noch nie Spaß im Bett gehabt.

 

Info

 

The House That Jack Built

 

Regie: Lars von Trier,

155 Min., Dänemark/ Deutschland/ Frankreich/ Schweden 2018;

mit: Matt Dillon, Bruno Ganz, Uma Thurman

 

Website zum Film

 

Mit Gewalt kennt sich der dänische Regisseur offenbar besser aus: Blut ist eben dicker als andere Körpersäfte. In „The House That Jack Built“ zitiert er die üblichen Elemente des Serienkiller-Genres und verknüpft sie virtuos zu einer Kette von Episoden, die immer spektakulärer und haarsträubender werden – wie es die Fans abstoßender Horror-Metzeleien lieben. Aber nur als Kassiber für einen ganz anderen Film.

 

Sattsam bekannter Komplexe-Kauz

 

Matt Dillon als Jack mimt einen intelligenten Einzelgänger mit allerhand Komplexen – ein sattsam bekanntes Klischee. Er ist Ingenieur, wäre lieber Architekt und hat diverse Neurosen wie Waschzwang und Ordnungsfimmel. Seine unschuldigen Opfer geraten durch menschliche Schwächen in seine Fänge; auch das ein geläufiges Schema. Die erste Frau, Uma Thurman als Anhalterin nach einer Wagenpanne, erschlägt Jack quasi in einer Affekthandlung, weil sie ihn mit ihrem Geschwätz nervt.

Offizieller Filmtrailer


 

Mehr Misogynie geht kaum

 

Die zweite Frau, eine frisch verwitwete Rentnerin, öffnet ihm aus Geldgier die Tür. Eine Mutter muss mit ihren zwei kleinen Söhnen daran glauben, weil sie auf seine Maskerade als tierliebender Gutmensch hereinfällt. Die attraktive Jacqueline lässt ihn an sich heran, obwohl Jack sie als dumme Kuh verspottet und offen mit seiner Serienmord-Bilanz prahlt. Alle Opfer sind Frauen, und alle so harm- wie wehrlos: Mehr Misogynie geht kaum.

 

Man kann auch kaum mehr Zugeständnisse an Genre-Konventionen machen: Jacks Morde werden immer blutiger, die Tatwaffen und -Inszenierungen immer ausgefallener. Und die Straflosigkeit seiner Massaker immer absurder: Schleift er eine Leiche im Sack durch die Gegend, wäscht der Regen sofort ihre Blutspur weg. Sucht Jacqueline bei einer Polizeistreife Zuflucht, mit dem geständigen Jack im Schlepptau, rät der Cop beiden nur, weniger zu trinken. Der monströse Böse darf weiter wüten.

 

Mit Bruno Ganz durch Höllenkreise

 

Bis ihm sein eigener Kunst- und Überbietungs-Anspruch zum Verhängnis wird. Wie der Filmtitel sagt, will Jack eigentlich ein Haus bauen; als eine Art Tempel oder Museum für seine Taten. Doch damit kommt er nicht zu Rande; ebenso wenig mit dem abstrusen Bravourstück, mit einer einzigen Patrone fünf Gefangene zugleich zu erschießen. Ausgerechnet beim Munitionskauf fliegt er auf. Doch da, wo jeder gewöhnliche Thriller enden würde, weil die soziale Ordnung wieder hergestellt ist, fängt Lars von Trier erst richtig an: Er öffnet das Totenreich.

 

Genauer: Er lässt es von Bruno Ganz als Verge öffnen. Mit ihm hat Jack bereits zuvor auf der Tonspur ausgiebig ästhetische und ethische Fragen erörtert. Nun steigen beide in die Unterwelt hinab, wie Vergil in der „Göttlichen Komödie“ vor 700 Jahren mit Dante durch die neun Höllenkreise wanderte  – wofür der Regisseur beeindruckende Bilder und Arrangements findet.

 

Nähe von Künstlern + Killern

 

Dabei vertritt Jack eine amoralische Position, die jede Tat allein nach dem Ausmaß ihrer Wirkung beurteilt: Letztlich sei Massenmord die größte Kunst. Die strukturelle Verwandtschaft von kreativer und zerstörerischer Hybris wird selten so deutlich auf der Leinwand ausgebreitet. Hitler wollte ja eigentlich Maler werden; wäre er von der Wiener Kunstakademie angenommen worden, hätte er kaum die Welt in Brand stecken können. Dagegen beharrt Verge auf dem humanistischen Standpunkt, nur Menschenliebe verleihe allem Handeln seinen Wert.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Negativ-Kritik des Films "The House That Jack Built - Contra" von Lars von Trier

 

und hier eine Rezension des Films "Nymphomaniac - Teil 1" mit Charlotte Gainsbourg von Lars von Trier

 

und hier eine Besprechung des Films “Nymphomaniac – Teil 2″ von Lars von Trier mit Charlotte Gainsbourg

 

und hier ein Interview mit Charlotte Gainsbourg: “Ich war für anstößigen Sex zuständig” über den Film "Nymphomaniac"

 

und hier einen Beitrag über das Weltuntergangs-Epos "Melancholia" von Lars von Trier mit Kirsten Dunst

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Pasolini Roma" – exzellente Retrospektive über Leben + Werk von Pier Paolo Pasolini im Martin-Gropius-Bau, Berlin

 

und hier einen Artikel über die Ausstellung "Ingmar Bergman – Von Lüge und Wahrheit" zum Gesamtwerk des schwedischen Regisseurs im Museum für Film und Fernsehen, Berlin.

 

Derlei Dialoge als verschmockte Bildungshuberei abzutun, wäre typisch deutsch. In Italien bezieht man sich häufig auf das Nationaldichter-Epos; jeder kennt es, und die von ihm behandelten Existenzprobleme haben sich kaum verändert. Ebenso halten es Briten mit Shakespeare und Franzosen mit Molière. Auf ähnliche Weise gingen viele Autoren der Weltliteratur vor; ob De Sade, Goethe, Dostojewski oder Thomas Mann – alle bauten in ihre Werke ausführliche Passagen der Reflexion ein.

 

Patchwork wie bei Peter Greenaway

 

Im auf Handlung fixierten Film ist diese Form selten. Jean-Luc Godard hat es versucht, verrannte sich aber rasch in verstiegenen Theoriegebäuden. Am ehesten gelang es wohl Pier Paolo Pasolini und Ingmar Bergman: Beide waren sinnenfreudig genug und zugleich – der eine als katholischer Kommunist, der andere als protestantischer Moralist – sehr an letzten Fragen rund um Schuld, Sühne und Erlösung interessiert.

 

Nun nimmt Lars von Trier diesen Faden wieder auf. Alle Klagen, das aktuelle Kino wiederhole kraftlos nur die immergleichen Formeln, kontert er mit postmoderner Patchwork-Ästhetik. Er holt das Genre-Publikum bei seinen Sehgewohnheiten – Trash, Splatter, Gore – ab und katapultiert es dann unversehens in anregend bizarre Allegorie-Szenarien. In den besten Momenten erinnert das an Meisterwerke seines Regie-Kollegen Peter Greenaway in den 1980/90er Jahren, bevor dieser sich in sterilen technischen Spielereien verlor.

 

Produktiv depressiver Bußprediger

 

Während Greenaway in der Bildgestaltung auf hochpolierte Eleganz setzte, bleibt jedoch Lars von Trier eher bodenständig, fast räudig. Seine Handkamera wackelt wie bei Amateur-Videoclips; seine Schnittbilder und Filmschnipsel sehen aus, als hätte er sie aus 30 Jahre alten VHS-Kassetten abkopiert. Diese wilde Mischung geriet bei „Nymphomaniac“ noch zum konfusen Bewegtbild-Zettelkasten; diesmal rundet es sich zum in sich schlüssigen Ganzen.

 

Wie ein Bußprediger breitet der Regisseur giftig schillernde Facetten brutaler Gewalt aus, um die von ihnen ausgehende Faszination umso entschiedener zu verdammen; nur schlichte Gemüter können das als obszöne Elendspornographie missverstehen. Wir sind gespannt, welches Menschheitsthema sich der produktiv depressive Däne als nächstes vornimmt.