Berlin

Beatriz González: Retrospective 1965 – 2017

Beatriz González: El poliptico de Lucho II., Lucho y Maripaz (Detail), 1988. Foto: ohe
Düsternis, die bunt daherkommt: Das KW Institute for Contemporary Art zeigt die erste deutsche Werkschau der Kolumbianerin Beatrix González. Sie gilt als Vertreterin der Pop Art – ihre Themen beziehen sich jedoch auf politische Abgründe, nicht auf Konsumkultur.

Sie malt in leuchtenden Farben, aber darin steckt auch der Tod. Aus schattenlosem Orange, Violett, Blau und Türkis formt Beatrix González Figuren und Szenen, die stillgestellt in der Zeit erscheinen. Die 1938 in Kolumbien geborene Malerin gilt als Grande Dame der südamerikanische Pop Art, was sie selbst dementiert – dieser Kunstströmung will sie nicht zugerechnet werden.

 

Info

 

Beatriz Gonzalez: Retrospective 1965 – 2017

 

13.10.2018 - 06.01.2019

täglich 12 bis 18 Uhr

im KW Institute for Contemporary Art, Auguststr. 69, Berlin

 

Katalog 35 €

 

Weitere Informationen

 

Düsternis, Gewalt und Trauer grundieren ihre Bilder, deren Rohstoff Pressefotos und billige Kitschkunst liefern. Im Laufe ihres Lebens ist der Malerin ihr Humor beim Blick auf die Realitäten ihres Heimatlandes abhanden gekommen. Ihre Gesellschaftskritik ist düsterer geworden. Aber immer kennzeichnet ihre Kompositionen Wucht und Schönheit, stilsichere Kraft.

 

Im Kunstbetrieb lange marginalisiert

 

Jetzt gastiert die Künstlerin in den Berliner Kunst-Werken mit einer fulminanten Werkauswahl aus sechs Jahrzehnten, die zuvor in Madrid und Bordeaux zu sehen war. Beatrix González gehört zu den wichtigen Entdeckungen der westlichen Kunstwelt, seit sich deren Blick für die zu lange marginalisierten Regionen der Zweiten und Dritten Welt weitet. 2017 war sie auf der documenta 14 vertreten.

Impressionen der Ausstellung


 

Selbstmord aus religiösem Wahn

 

In Kolumbien ist González längst als eine der wichtigsten Kunstschaffenden des Landes anerkannt. 1965 schnitt die junge Malerin ihr erstes Pressefoto aus einer Lokalzeitung. Sie war Ende Zwanzig, hatte von Pop Art noch nie etwas gehört und verwandelte das verwaschene Schwarzweißbild in farbenkräftige Malerei. Ein junges Paar reicht sich da lächelnd wie fürs Familienalbum die Hände, umrahmt von Flächen in Pfirsichrosa und Orange.

 

Aber das kleine, banale Glück eines Gärtners und einer Hausangestellten aus Bogotá täuscht. Die Liebenden ertränkten sich aus religiösem Wahn in einem Fluss, um ihre Reinheit zu wahren. Zuvor gingen sie zum Fotografen. Der angegilbte Zeitungsschnipsel zu Beatrix González` Gemälde „Los suicidas del Sisga“ liegt in einer Vitrine: Keimzelle für ein ganzes Werk.

 

Gelernt von den europäischen Meistern

 

Das dies keine Pop Art im Sinne von Warhol oder Lichtenstein ist, spürt man sofort. Zwar schöpft auch die in Bogotá arbeitende Malerin die Bilderflut populärer Massenmedien ab. Aber in Lateinamerika gab es in den 1960er Jahren gar keine Konsumkultur wie in den USA als Nährboden des Pop. Erst mit Verspätung nahm die junge kolumbianische Kunstszene das internationale Phänomen Pop Art überhaupt wahr.

 

An der Kunstakademie von Bogotá orientierte man sich unbeirrt an den großen Meistern der europäischen Kunstgeschichte. Auch González hat Jean-Auguste-Dominique Ingres und Diego Velázquez gründlich studiert: Ihre perfekten Kompositionen verraten es. Ihre knalligen Farben aber fand sie in den Kirchen Bogotás, in der kolumbianischen Volkskunst und in verkitschen Reproduktionen von Leonardo und Co. Diese grellbunten Imitate in den Straßenläden ihrer Heimatstadt faszinierten sie.

 

Metallmöbel und Kunstikonen

 

Jetzt hängt eine absichtlich lässig dahingepinselte Adaption von Edouard Manets berühmten Skandalbild „Das Frühstück im Grünen“ von 1863 im großen Saal der KW (Kunst-Werke): schlapp wie ein Bühnenvorhang – respektlose Hommage und Abgesang. Das Monumentalwerk wurde im vergangenen Jahr auf der „documenta 14“ in Kassel gezeigt.

 

In vielen kolumbianischen Häusern, so erzählt González, hängt eine Reproduktion von Leonardos Abendmahl über der Eingangstür; ein abergläubischer Trick um Bettler fernzuhalten. In ihrer umfangreichen Serie von Möbel-Arbeiten kombinierte die Künstlerin solche importierten Kunstikonen mit populären Metallmöbeln aus einheimischer Produktion. Deren Lackierung imitiert Holzmaserung, über glattem Eisen.

 

Kunst oder Kitsch?

 

Da packt sie die Bildtafel eines Toten Christus passgenau ins Metallbett. Pierre-Augustes Renoirs sich waschender Akt findet sich im Rund einer echten Badeschüssel wieder, und ein früherer kolumbianischer Staatschef erscheint als Dauerstandbild in einem Fernseher. Mit ihren Möbel-Objekten verblüffte González 1972 auf der Biennale in Sao Paolo das Publikum.

 

Jetzt in den KW gruppieren sich die farbenfrohen Arbeiten wie ein skurriles Dingtheater, das alle Grenzen zwischen Hoch- und Populärkultur, Kunst und Kitsch ignoriert. Aber in González‘ Werk steckt auch viel bittere Realität. Die Malerin wuchs in einer blutigen Bürgerkriegsphase auf, die als „La Violencia“ (die Gewalt) in die kolumbianische Geschichte einging.

 

Chronistin der ewigen Gewalt

 

Auch später fand das Land, das 1886 als erste Nation Südamerikas formal eine Demokratie wurde, keinen Ausweg aus der Spirale der Gewalt. Paramilitärische Rebellengruppen, Drogenmafia und Regierungstruppen verbissen sich ineinander, auf Kosten der Zivilbevölkerung. González wurde zur Chronistin der allgegenwärtigen Brutalität. Mit respektloser Ironie entlarvt sie seit Jahrzehnten die Phrasen der offiziellen Politik.

 

Als bunter Vorhang einfach zur Seite schieben lässt sich der kolumbianische Präsident Julio César Turbay Ayala, der von 1978 bis 1982 amtierte. González hat ihn mitsamt seinen singenden Partygästen nach einem Zeitungsfoto schablonenhaft auf Stoff gedruckt; als Textilmuster, das sich endlos wiederholt. Auch unter Turbay Ayala ging die Gewalt und Korruption der regierenden Klasse weiter.

 

Mordopfer ohne Namen

 

„Los Papagayos“ (Die Papageien) nennt die Künstlerin eine Werkgruppe von 1987, in der sich dschungelgrün und mangorot die Köpfe blasierter Uniform- und Würdenträger aufreihen: eine austauschbare Riege von Eitelkeiten. Die Leidtragenden des korrupten Systems imaginiert die Künstlerin dagegen in samtig dunklen Szenen, wie aus Träumen und Alträumen gewonnen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension  der Ausstellung "A Tale of Two Worlds" - umfassender Vergleich von Nachkriegskunst aus Lateinamerika und Europa mit Werken von Beatriz González im MMK 1, Frankfurt am Main

 

und hier einen Beitrag "Rundgang durch die Neue Neue Galerie + Nordstadt" mit Werken von Beatriz González als Teil der documenta 14 in Kassel

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "8. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst" 2014 mit Werken von Beatriz González an drei Orten in Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Eduardo Paolozzi: Lots of Pictures - Lots of Fun" über den britischen Pop-Art-Pionier in der Berlinischen Galerie, Berlin.

 

Sehr einfach und schlicht sind diese Motive: Ein Ruderin im Boot übernimmt auf nachtschwarzem Wasser die Rolle des mythischen Charon und gleitet zu jenseitigen Ufern. Ertrunkene Körper liegen in grünlich-unheimlichem Fluidum. Sie bleiben anonym, wie die tausende Mordopfer und Verschwundenen, die in González‘ Heimat Jahr für Jahr zu beklagen sind.

 

Kunstprojekt auf Massenfriedhof

 

Auch den diskriminierten indigenen Gruppen und der von rücksichtsloser Landnahme verdrängten Provinzbevölkerung setzt González in ihren Werken ein Denkmal. Immer wieder malt sie Trauernde, die sich verzweifelt die Hände vors Gesicht schlagen. Auch sich selbst reiht die Künstlerin in diese düstere Figurenschar ein. In einem Selbstbildnis zeigt sie ihren gealterten Körper nackt und ungeschützt, im Violett der Melancholie.

 

Ihr jüngstes Großprojekt verwandelte einen verwahrlosten Massenfriedhof in Bogotá zu einem konzeptionsstrengen Gedenkort. Auf jeder der Hunderten von Urnen-Nischen, die sich in meterhohen Wandriegeln übereinander staffeln, prangt jetzt das gleiche Motiv in serieller Variation: Zwei Menschen tragen einen Leichnam wie ein Bündel.

 

Memento gegen das Vergessen

 

Nüchtern und unerbittlich zeigt González die Realität: Es wird gemordet, Leichen verschwinden. Daran will sie erinnern, auch hier und jetzt: Im KW-Eingangsbereich hat die 80-jährige Künstlerin dieses Motiv unter der bogenförmigen Hofdurchfahrt plakatiert. Ein strenges Memento gegen das Vergessen: schwarz auf weiß.