Halle/ Saale

Gustav Klimt

Gustav Klimt: Eugenia Primavesi, 1913/1914, Öl auf Leinwand, Japan, Toyota Municipal Museum of Art, Foto: ©2017. Photo Austrian Archives/Scala Florence. Fotoquelle: Kunstmuseum Moritzburg
Kaum ein Künstler verkauft sich besser: Manche von Klimts Jugendstil-Ikonen auf Goldgrund werden millionenfach kopiert. Zum 100. Todestag fächert die Moritzburg die gesamte Bandbreite seines Werks auf – voller Überraschungen, doch zuweilen fehlt der Kontext.

Ein unbekannter Großkünstler: Diese Ausstellung zum 100. Todestag von Gustav Klimt (1862-1918) ist nicht nur die einzige in Europa außerhalb von Wien, sondern laut Veranstalter auch die bislang umfangreichste in Deutschland. Und das bei Klimt, einem der populärsten Maler des Planeten! Manche seiner goldstrotzenden Prunkgemälde, etwa „Judith“ (1901) oder „Der Kuss“ von 1909/9, zählen zu den berühmtesten Kunstwerken überhaupt.

 

Info

 

Gustav Klimt

 

14.10.2018 - 06.01.2019

täglich außer mittwochs

10 bis 18 Uhr

im Kunstmuseum Moritzburg, Friedemann-Bach-Platz 5, Halle/ Saale

 

Katalog 24,90 €

 

Website zur Ausstellung

 

Mehr noch: Mit seinen Motiven in unzähligen Bildbänden, Kalendern, auf Postkarten, Kaffeebechern und tausenderlei Tinnef kann man komplette Souvenirläden füllen. Die lange umstrittene Restitution seines ersten Porträts von „Adele Bloch-Bauer“ (1907) an die rechtmäßige Erbin wurde sogar schon im Hollywood-Spielfilm „Die Frau in Gold“ mit Helen Mirren und Daniel Brühl aufbereitet. Noch mehr multimediale Präsenz eines Künstlers scheint kaum möglich.

 

Ausleihe ist Ausnahme

 

Doch gerade wegen ihrer enormen Beliebtheit sind Klimts Bilder nicht leicht zugänglich. Alle Hauptwerke werden auf dreistellige Millionenbeträge taxiert – wenn sie je auf den Markt kämen. Also bleiben sie, wo sie sind: die meisten in Wiener Museen, die übrigen in anderen europäischen Hauptstädten, ein paar in Nordamerika und Japan, nicht wenige in Privatbesitz. Ausgeliehen werden sie nur in Ausnahmefällen.

Impressionen der Ausstellung


 

Ein Gemälde pro Werk-Aspekt

 

Umso beeindruckender ist, was die Moritzburg durch jahrelange Vorbereitung nach Halle geholt hat: 63 Zeichnungen und zehn Gemälde von Klimt. Eines davon, das Porträt der „Maria Henneberg“ (1901/2) ist seit den 1960er Jahren im Besitz des Kunstmuseums – als eines von nur vier in der Bundesrepublik. Mit diesem Pfund lässt sich bei Leihverkehr-Verhandlungen trefflich wuchern: Gibst Du mir, geb‘ ich Dir. So wird das Henneberg-Bildnis nach Ende dieser Schau zu einer Ausstellung in Japan reisen.

 

Unter den neun übrigen Gemälden ist kein goldglänzendes Schmuckkästlein – aber jedes repräsentiert einen anderen Aspekt in Klimts Œuvre, der in etlichen Zeichnungen weiter ausgebreitet wird. Mit überraschendem Effekt: Die einzelnen Abteilungen fallen so unterschiedlich aus, dass man kaum glauben mag, dass alle versammelten Arbeiten von der Hand ein und desselben Malers stammen.

 

Goldenes Verdienstkreuz vom Kaiser

 

Klimt war der Sohn eines Goldgraveurs; vom Vater lernte er den Umgang mit edlen Materialien und Kunsthandwerks-Techniken. Ab 1876 studierte er an der Wiener Kunstgewerbeschule. Sein überragendes Talent zeigt schon eine Zeichnung des 17-Jährigen: Der „Kopf eines bärtigen Mannes im Dreiviertelprofil“ ist von altmeisterlicher Präzision.

 

Mit seinem Bruder Ernst und dem Freund Franz Matsch bildete Klimt in den 1880er Jahren die Ateliergemeinschaft „Künstler-Compagnie“; sie erhielt rasch große öffentliche Aufträge. Für ihre Deckenfresken in den Treppenhäusern des Burgtheater-Neubaus (1886/8) verlieh Kaiser Franz Joseph der Compagnie ein „Goldenes Verdienstkreuz“. 1890/1 lieferte das Trio die so genannten Zwickel- und Interkolumnienbilder – für die Flächen zwischen zwei Säulen  – im Treppenhaus des Kunsthistorischen Museums: Es wirkte also an der Ausschmückung des wichtigsten Kunsttempels der K.u.k-Monarchie mit.

 

Bei Zeichnungen fehlen Gemälde-Kopien

 

Solche frühe Anerkennung gewann Klimt mit dramatischer Historienmalerei, die sich an der schwül-überladenen Salonkunst etwa von Hans Makart orientierte. Die Schau zeigt aus dieser Werkphase die Ölstudie „Der Altar des Dionysos“ (1886); ein Entwurf für das Giebelfeld über einer Eingangstür im Burgtheater. Tatsächlich realisiert wurde hingegen das Deckengemälde „Shakespeares Globe Theater“ mit der Schlussszene aus „Romeo und Julia“ – hierzu bietet die Ausstellung Klimts Zeichnung des Kopfes eines „Liegenden Mädchens“ (1886/7) auf, die als Vorlage diente.

 

Allerdings ohne Kontext: Dass sich dieses Antlitz unverändert im später umgesetzten Deckengemälde wieder findet, erfährt man nur aus dem Katalog. Ein Manko der Ausstellung: Allein Klimt-Kennern dürfte klar sein, welch eminente Bedeutung viele dieser Grafiken für sein malerisches Schaffen hatten. Da böte sich an, durch kleine Bilder-Reproduktionen zu verdeutlichen, für welche Gemälde die gezeigten Bleistift- oder Kohle-Zeichnungen als Vorbereitung gedient haben.

 

Porträts kostbarer Kostümpuppen

 

Etwa bei den „Damenbildnissen“: Nur „Maria Henneberg“ und „Eugenia Primavesi“ (1912/3) sind als farbensprühenden Ganzkörper-Porträts anwesend und lassen sich mit Zeichnungen vergleichen, auf denen Klimt verschiedene Posen ausprobierte. Von anderen der rund 20 Großbürger-Gattinnen, die der Künstler auf Leinwänden verewigt hat, darunter „Adele Bloch-Bauer“, sind nur – teils recht blasse – Skizzen vorhanden.

 

Flüchtige Bleistift-Striche veranschaulichen allenfalls die Körperhaltung, aber nicht, was Klimts monumentale Frauen-Bilder einzigartig macht: der Kontrast zwischen naturgetreu gemalten Hautpartien und wild wuchernder Fantasie-Ornamentik. Dieses üppige Dekor lässt die Damen wie kostbare Kostümpuppen aussehen; man kann kaum erkennen, ob sie stehen oder sitzen – prächtig herausgeputzte Gemahlinnen als wertvollster Besitz ihrer reichen Männer.

 

Skandal um Fakultätsbilder

 

Solche Zusammenhänge vermisst man auch bei den „symbolistischen Arbeiten“: Durch drei davon kam Klimt in die Schlagzeilen. 1894 beauftragte man ihn, für die Universität Deckengemälde mit Allegorien zu Philosophie, Medizin und Jurisprudenz anzufertigen. Anstatt deren Erfolge zu feiern, schuf der Maler komplexe allegorische Kompositionen aus nackten, verschlungenen Menschenleibern im grenzenlosen Kosmos. Der öffentliche Streit darüber zog sich bis 1905 hin; dann kapitulierte der Künstler und zahlte entnervt sein Honorar zurück.

 

Zwar sind diese „Fakultätsbilder“ 1945 bei Kriegsende verbrannt, doch einige Fotografien blieben erhalten. Und Zeichnungen: Die Schau präsentiert einen „Schwebenden Akt“ (1897/8) aus dem Medizin-Bild und einen „Gebeugten nackten Mann“ (1903), den gefesselten Verbrecher im Jurisprudenz-Bild – abermals ohne jede Erläuterung, und damit wie im leeren Raum. Darin können nur die giftig schillernden Geistwesen im Gemälde „Irrlichter“ (1903) für sich stehen.

 

Jugendstil im Henneberg-Kabinett

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Dekadenz – Positionen des österreichischen Symbolismus" mit Werken von Gustav Klimt im Unteren Belvedere, Wien

 

und hier einen Beitrag über den Film "Die Frau in Gold" – Drama um die Restitution eines Gemäldes von Gustav Klimt von Simon Curtis mit Helen Mirren + Daniel Brühl

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Kunst für Alle – Der Farbholzschnitt in Wien um 1900" mit Werken von Hugo Henneberg in Frankfurt/ Main + Wien

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "KunstFotografie - Emanzipation eines Mediums" über den Piktorialismus mit Werken von Hugo Henneberg im Kupferstich-Kabinett, Dresden.

 

Ähnlich die „Landschaften“: drei eindrucksvolle Gemälde ohne graphisches Beiwerk. Ab 1900 verbrachte Klimt die Hochsommer am Attersee, wo er Natur-Ausschnitte auf quadratischen Leinwänden festhielt. Diese Ansichten eines Buchenwalds, Seeufers mit Birken oder einer Schlossfassade, radikal flächig mit subtillen Wasserspiegelungen in gedämpfter Farbpalette, sind von zeitloser Qualität.

 

So umgeht die Schau geschickt die viel zu enge Klassifizierung von Klimt als „Jugendstil-Künstler“. Dieses Etikett taucht erst in einem Ausstellungs-Kabinett auf, das Hugo Henneberg (1863-1918) gewidmet ist. Der Klimt-Freund und Ehemann der Frau auf dem Gemälde der Moritzburg war vermögender Unternehmer, Mäzen und ebenfalls Künstler, vor allem Kunstfotograf. Gemeinsam mit Heinrich Kühn und Hans Watzek zählte er zu den führenden Vertretern des so genannten Piktorialismus.

 

Kultur-Kontext zum Schluss

 

Sie wollten mit aufwändigen Verfahren – etwa Gummidrucken, bei denen ein Blatt mehrfach belichtet wird – „malerische“ Abzüge herstellen, damit Fotografie als eigenständige Kunstform anerkannt werde; zu sehen ist eine kleine Auswahl solcher Arbeiten. Ebenso „normale“ Fotos der Villa Henneberg: Das Paar bewohnte ab 1902 ein von Josef Hoffmann entworfenes Haus in der Wiener Künstlerkolonie auf der Hohen Warte – hier war alles so avantgardistisch gestaltet, dass es dem Jugendstil-Traum vom Gesamtkunstwerk entsprach.

 

Damit ordnet sich die Schau zum Schluss doch noch in den kulturellen Kontext der Epoche ein. Mehr Klimt geht hierzulande nicht: Wer seine edelsteinbesetzten Jugendstil-Ikonen auf Goldgrund sehen will, muss nach Wien fahren.