Emily Blunt

Mary Poppins‘ Rückkehr

Mary Poppins (Emily Blunt) tanzt mit den Laternen-Anzündern. Foto Credit: Jay Maidment, © 2018 Disney Enterprises
(Kinostart: 20.12.) Märchen-Musical zum Brexit: Nach 54 Jahren bringt Regisseur Rob Marshall das magische Kindermädchen aus London wieder ins Kino. In geänderten Zeiten – seine optisch eindrucksvolle Fortsetzung spricht eher ergraute Nostalgiker an als Knirpse.

Einen Rekord hat „Mary Poppins‘ Rückkehr“ schon sicher: Nie zuvor hat die Fortsetzung eines Hollywood-Spielfilms so lange auf sich warten lassen wie beim Nachfolger des Disney-Klassikers von 1964 mit Julie Andrews in der Hauptrolle – es hat 54 Jahre gedauert. Nur der Zeichentrickfilm „Bambi II“ nahm sich noch mehr Zeit, bis er in die deutschen Kinos kam –  64 Jahre nach dem legendären Original von 1942.

 

Info

 

Mary Poppins‘ Rückkehr

 

Regie: Rob Marshall,

130 Min., USA/ Großbritannien 2018;

mit: Emily Blunt, Meryl Streep, Colin Firth

 

Website zum Film

 

Dabei versucht der Regisseur und Musical-Spezialist Rob Marshall sichtlich, möglichst passgenau an den ersten „Mary Poppins“-Film – und damit an dessen Welterfolg – anzuschließen. Was ihm nicht schwer gefallen sein dürfte: P.L. Travers, die Autorin der Vorlage, hat insgesamt acht Bände über das Kindermädchen mit den magischen Fähigkeiten geschrieben. Da standen für den zweiten Film genug Episoden zur Auswahl.

 

Von 1910 nach 1934 verlegt

 

So gleicht diese Rückkehr auf die Leinwand im Aufbau derjenigen des Erstlings: Am aufgespannten Regenschirm schwebt Mary Poppins (Emily Blunt) vom Himmel herab, erlebt mit den Kindern der Familie Banks allerlei bunt beschwingte Abenteuer und verschwindet nach vollbrachter Mission wieder. Nur der Zeitpunkt der Handlung wurde verlegt, von 1910 ins Jahr 1934; damals erschien das erste „Mary Poppins“-Buch.

Offizieller Filmtrailer


 

Familien-Traditionen über alles

 

Darin kümmert sich die Titelheldin um die Kinder Jane und Michael. Sie sind im Fortsetzungs-Film längst erwachsen, wohnen aber immer noch selben Londoner Haus im Kirschbaumweg Nummer 17. Der frisch verwitwete Michael (Ben Whishaw) ist Bankangestellter, wie einst sein Vater George; er hat drei Kinder – Annabel, John und der kleine Georgie – mit seiner Frau, die jüngst verstarb. Seine unverheiratete Schwester Jane (Emily Mortimer) engagiert sich, wie früher ihre Mutter – aber anders als diese nicht für das Frauenwahlrecht, sondern in einer Gewerkschaft.

 

Bei den Banks zählen Traditionen viel: Der McGuffin, dem alle hinterher jagen, ist der Anteilsschein, mit dem Michaels Vater George am Ende des ersten Films zum Bank-Teilhaber befördert wurde – ohne dieses Papier verlöre die Familie ihr Häuschen. Davor bewahrt sie Dick von Dyke als heimlicher Bank-Seniorchef; der US-Entertainer mimte im ersten Film Mary Poppins‘ Freund Bert. Ohne einen Sidekick, der sie anschwärmt, kommt Mary auch bei ihrer Rückkehr nicht aus; diesmal heißt er Jack (Lin-Manuel Miranda) und klappert Gaslaternen ab.

 

Diffuse Krisenstimmung

 

Von Parallelen wimmeln nicht nur Personal und Plot, sondern auch die Show-Einlagen und Spezialeffekte. Ließ Mary 1964 aus einem Blumenstrauß Blüten und Schmetterlinge aufwirbeln, macht sie es jetzt mit einer bemalten Schüssel. Aus dem berühmten Tanz der Schornsteinfeger ist nun einer der Laternen-Anzünder geworden – mit Leitern statt Besen als Requisiten. Und die Spargroschen, die Michael damals auf die Bank trug, hat Zinseszins so vermehrt, dass sie alle Probleme lösen: als langfristig unschlagbar rentable Geldanlage.

 

Die ist auch nötig, denn die unbeschwerten Fantasie-Launen der 1960er Jahre sind einer diffusen Krisenstimmung gewichen. Die britische Hauptstadt, die 1934 unter der Weltwirtschaftskrise leidet, könnte ebenso gut diejenige vor dem bevorstehenden Brexit sein: Das Verschwinden enger Verwandten, Teuerung und drohender Jobverlust machen den Banks zu schaffen.

 

Durchhalteparolen im Kinderzimmer

 

Hintergrund

 

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Was auch Mary Poppins‘ Auftreten prägt: Verkörperte Julie Andrews sie noch mit lässigem Charme, tritt Emily Blunt nun als zickig-kontrollwütige Powerfrau auf. Und die Songtexte, früher ein Mix aus Hausfrauen-Weisheiten und liebenswerten Blödeleien, strotzen nun von Appellen an Disziplin und Zweckoptimismus – Durchhalteparolen schon im Kinderzimmer. Weshalb sie Ohrwurm-Qualitäten durchgängig vermissen lassen.

 

Gegen diesen ernsten Grundton können auch manche hübschen Einfälle wenig ausrichten: etwa ein Bad in der Wanne, das zum Tauchgang durch die Weiten des Ozeans wird. Oder eine Stippvisite bei Meryl Streep als genial-skurriler Bastelkönigin Topsy. Oder das Finale, bei dem alle Protagonisten bonbonbunt gekleidet mit farbenfrohen Ballons am Himmel schweben. Auch wenn heutige Tricktechnik reale und animierte Figuren eindrucksvoller interagieren lässt, als es Disney-Zeichner vor einem halben Jahrhundert konnten: Der Mythos Mary Poppins bleibt auf der Strecke.

 

Drei statt 13 Oscar-Nominierungen

 

Warum diese Figur damals weltweit zum Knüller wurde, macht ihre „Rückkehr“ kaum deutlich. Sie scheint auf ein inzwischen ergrautes Publikum zu zielen, das nostalgisch seiner Heldin aus Kindertagen wieder begegnen und Analogien zählen möchte. Heutige Knirpse, die noch nie von Gouvernanten gehört haben, können damit wohl eher wenig anfangen. Einen Rekord wird dieser Film gewiss nicht brechen: Das Original-Kinomusical war 1965 für 13 Oscars nominiert und gewann fünf; die Fortsetzung ist nur für drei Oscars nominiert.