David Robert Mitchell

Under the Silver Lake

Sam (Andrew Garfield) befragt einige Mädchen nach Sarah. Foto: ©A24
(Kinostart: 6.12.) Wie David Lynch im Slacker-Milieu: Ein junger Tagedieb, der seine verschwundene Affäre sucht, stolpert durch allerlei Seltsames. Der schräge Pseudo-Krimi von Regisseur David Robert Mitchell unterhält nett, doch Spannung kommt kaum auf.

Sam (Andrew Garfield) ist ein schluffiger Mittdreißiger, der in einem recht vergammelten Apartmentkomplex in Los Angeles lebt. Er ist pleite; wegen Mietschulden steht er kurz davor, aus seiner Wohnung zu fliegen. Ernsthafte Sorgen scheint ihm das nicht zu bereiten – auch wenn er es wohl schade fände, dass er dann nicht mehr seiner Nachbarin mit dem Fernglas nachsteigen könnte. Denn die erledigt ihren Haushalt bevorzugt oben ohne.

 

Info

 

Under the Silver Lake

 

Regie: David Robert Mitchell,

139 Min., USA 2018;

mit: Andrew Garfield, Riley Keough, Topher Grace

 

Website zum Film

 

Was ihn sonst umtreibt, bleibt offen; außer dass er mit ausgedehnter Comic-Lektüre obskures Popkultur-Wissen anhäuft. Ebenso wie die Frage, womit er Geld verdient. Weder ist er freischaffender Kreativer, der auf Aufträge wartet, noch versucht er, in der Filmindustrie zu landen – anders als eine Freundin, die ihn auf dem Weg zu ihren Vorsprech-Terminen gerne besucht. Und mit der er dann schläft, wenn sich schon die Gelegenheit bietet.

 

Abstürzendes Eichhörnchen

 

Dass ihm vermehrt Verstörendes widerfährt – wie ein Eichhörnchen, das direkt vor ihm blutig auf den Asphalt landet, oder ein Hundemörder, der in seiner Nachbarschaft sein Unwesen treibt –, nimmt er halb paranoid, halb schulterzuckend zur Kenntnis. Ebenso wie gelegentliche Halluzinationen und den Umstand, dass er offenbar einen seltsamen Geruch mit sich herumschleppt.

Offizieller Filmtrailer


 

Hitchcock-Blondine verdreht Held den Kopf

 

So wie Sam ambitionsfrei seine Zeit totschlägt, wirkt er wie die Karikatur eines Slackers; ein häufiger Phänotyp in der Popkultur der 1990er Jahre. Ohnehin enthält der Film reichlich Bezüge zu dieser Epoche. Der Film von David Robert Mitchell wirkt wie ein Ausflug aufs Terrain von „The Big Lebowski“: Mit diesem inzwischen fast legendären Kultfilm von 1998 zollten die Brüder Ethan und Joel Coen dem Film Noir der 1940er Jahre auf verschmitzte Weise Tribut. Darin wurde ein Späthippie-Bowlingfan mit einem Millionär verwechselt, was in einen schrägen Kidnapping-Krimi mündete.

 

Eine Neo-Noir-Geschichte will auch Mitchell erzählen; zumindest wird sein Film so beworben. Zuerst verdreht das Glamour-Girl Sarah (Riley Keough) – eine zeitgenössische Wiedergängerin der typischen Blondine in Hitchcock-Thrillern – bei einer flüchtigen Begegnung Sam den Kopf. Als sie dann über Nacht verschwindet, hat der Tagedieb endlich eine Mission: Er muss herausfinden, was ihr widerfahren ist.

 

Alles steckt voller Zeichen

 

Dabei lässt er sich nicht davon abhalten, dass scheinbar ihre Leiche gefunden wird – schließlich weiß er als latenter Paranoiker, dass mehr hinter der Geschichte steckt. Dem Rätsel geht er jedoch so vertrödelt nach, wie es seinem Naturell entspricht. Kein Wunder, dass sich der Film mit 140 Minuten Laufzeit arg lang anfühlt.

 

Hintergrund

 

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Auf seiner Suche stößt Sam allerhand Seltsames zu: Hinweise auf Sarahs Verbleib findet er auf Cornflakes-Packungen oder in einem makaberen Fanzine, das den gleichen Titel trägt wie der Film. Oder auch in den Texten einer Gothic-Rock-Band. Manche der Situationen, in die er auf seiner Odyssee gerät, haben durchaus Unterhaltungswert: etwa etliche nett inszenierte Details und der schön zusammengestellte Soundtrack.

 

Alle Popsongs aus einer Hand

 

Angereicht wird diese Mixtur mit Momenten, die offenkundig vom surreal-abgründigen Werk des Regisseurs David Lynch inspiriert sind – wobei „Under The Silver Lake“ nie an dessen Albtraum-Ästhetik herankommt. Bei aller demonstrativen weirdness wirkt Mitchells Film meist harmlos und eher humorig. Daran dürften sich die Geister scheiden: Manche Zuschauer werden von der bisweilen irrlichternden Dramaturgie genervt sein, andere sich darüber amüsieren.

 

Derweil erscheint unklar, ob der Regisseur seinen mäandernden Film überhaupt mit Kritik an Verschwörungstheoretikern anreichern will. Das legen allenfalls Szenen wie die Begegnung von Sam mit einem alten Komponisten nahe: Der behauptet ernsthaft, er habe so ziemlich jeden relevanten Popsong der letzten 50 Jahre erfunden. Etwa den rebellischen Welthit „Smells Like Teen Spirit“ (1991) der Grunge-Band „Nirvana“ – eine Auftragsarbeit eines verbitterten alten Mannes am Klavier? Das wäre ein Sakrileg für jeden Rock-Fan!

 

Wie aus 1990er-Schublade

 

Da liegt der Verdacht nahe, Mitchell habe schlicht ein Lieblingsprojekt realisieren wollen, für das ihm zuvor lange die Finanzierung fehlte. Denn das Drehbuch wirkt, als läge es schon seit den 1990er Jahren in der Schublade: wie eine etwas alberne, aus der Zeit gefallene Kifferphantasie samt passender Paranoia. Zeitweise hat das durchaus Charme, auf Spielfilmlänge trägt es aber nicht. Jedenfalls kommt bei Sams verschlungener Irrfahrt kaum Thriller-Spannung auf.