Steve McQueen

Widows – Tödliche Witwen

Die beiden Witwen Veronica (Viola Davis) und Bella (Cynthia Erivo). Foto: © 2018 Twentieth Century Fox
(Kinostart: 6.12.) Sein "Twelve Years a Slave" gewann 2014 den Oscar als bester Film. Nun lässt Regisseur Steve McQueen vier Gangster-Witwen einen so raffinierten wie spektakulären Coup landen – weil die Machos in der Unterwelt sie als Rivalen völlig unterschätzen.

Steve McQueen ist ein Regisseur, der die Zuschauer fordert. Seit seinen Anfängen als Videokünstler in den 1990er Jahren interessiert er sich nicht für das Offensichtliche und Gefällige, sondern bohrt im besten Sinne nach. Das brachte ihm 1999 den renommierten „Turner Prize“ für einen Videofilm ein, der auf einem Stummfilm von Buster Keaton basierte.

 

Info

 

Widows –
Tödliche Witwen

 

Regie: Steve McQueen,

129 Min., Großbritannien/ USA 2018;

mit: Viola Davis, Michelle Rodriguez, Liam Neeson, Colin Farrell

 

Website zum Film

 

In seinem Spielfilm-Debüt „Hunger“ (2008) ging es um den Hungerstreik von IRA-Häftlingen in Nordirland 1981. In „Shame“ (2011) porträtierte er Michael Fassbender als Sexsüchtigen; drei Jahre später erhielt er für „Twelve Years a Slave“ – die Lebensgeschichte eines US-Schwarzen, der Anfang des 19. Jahrhunderts in die Südstaaten-Sklaverei entführt wurde – den Oscar für den besten Film.

 

Thriller zur Gesellschafts-Analyse

 

Dass McQueen sich nach diesem großen Erfolg für seinen nächsten Film ausgerechnet einen Thriller ausgesucht hat, mag auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen, ist aber durchaus folgerichtig. Dieses Genre eignet sich hervorragend zum so analytischen wie tiefgründigen Blick auf eine Gesellschaft.

Offizieller Filmtrailer


 

Alle Gangster verbrennen im Laster

 

Vorlage für „Widows – Tödliche Witwen“ war eine TV-Miniserie der BBC von 1983, die der Regisseur laut eigenen Worten als Teenager quasi verschlungen hat. Er überträgt aber die Handlung aus dem London der Thatcher-Ära ins Chicago der Gegenwart: Es beginnt mit einem missglückten Raubüberfall. Nach einem Schusswechsel mit der Polizei sterben alle Mitglieder einer stadtweit berüchtigten Diebesbande in ihrem brennenden Laster.

 

Ihre Ehefrauen stehen plötzlich allein und schutzlos da. Als Witwen müssen sie schnell wieder auf die Beine kommen; allen voran Veronica (Viola Davis), die Gattin des Anführers Henry (Liam Neeson). Sie wird in ihrer Trauer von dessen Ex-Konkurrenten Jamal (Brian Tyree Henry) aufgestört, der eine Politikerkarriere anstrebt. Die dafür nötigen zwei Millionen US-Dollar sind mit Henry in Flammen aufgegangen; nun soll Veronica ihm das Geld in einem Monat zurückzahlen.

 

Plan der toten Männer durchziehen

 

Nachdem sie Henrys detaillierte Notizen für seinen nächsten Coup entdeckt hat, schmiedet sie völlig verzweifelt einen Plan. Sie macht die Witwen der anderen Gang-Mitglieder ausfindig und überzeugt sie, gemeinsam den letzten Plan ihrer verstorbenen Männer selbst auszuführen, um finanziell unabhängig zu sein – wenigstens für eine Weile.

 

Zögernd gehen die Frauen darauf ein, denn sie haben keine andere Wahl: Veronica will ihren Lebensstil halten, den sie sich als Gewerkschafterin nicht leisten könnte. Linda (Michelle Rodriguez) will ihr Geschäft zurückkaufen, das ihr Mann ohne ihr Wissen verspielt hat. Belle (Cynthia Erivo) muss sich und ihren Sohn über die Runden bringen. Nur die schöne Alice (Elizabeth Debicki) erlebt den Tod ihres brutalen Gatten als echte Befreiung.

 

Weibliche Tugenden als Wettbewerbsvorteil

 

Doch keine der Frauen war zuvor in die krummen Geschäfte ihrer Männer involviert; ihnen fehlt das nötige Know-how. Allerdings haben sie einen Vorteil: In der patriarchalisch organisierten Unterwelt nimmt sie keiner ernst, weshalb sie quasi unter dem Radar fliegen können. Mit dieser Prämisse operierten zuletzt auch die Damen in „Oceans’s 8“ – obgleich wesentlich spielerischer als Variante einer männlichen Vorlage.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films “Twelve Years a Slave” – fesselnde Sklaverei-Saga von Steve McQueen, 2014 mit dem Oscar für den besten Film ausgezeichnet

 

und hier ein Interview mit Steve McQueen über seinen Oscar-prämierten Film "Twelve Years a Slave"

 

und hier einen Beitrag über den Film "Shame" über die Leiden von Michael Fassbender als Sex-Süchtigem von Steve McQueen

 

und hier eine Besprechung des Films "Ocean's 8" - Krimikomödie über eine rein weibliche Gangsterbande von Gary Ross mit Sandra Bullock, Cate Blanchett + Rihanna.

 

Die vier neukriminellen Witwen arbeiten gegen die Zeit; die physische Bedrohung durch Drogenboss Jamal und seinen sadistischen Schläger bleibt immer spürbar. Für Trauer ist kein Platz. Die Empathie des Zuschauers wecken blitzartige Rückblenden ins Leben vor dem Feuertod, in denen er von Gewalt, Missachtung oder konstanten Kränkungen erfährt, denen die Frauen ausgesetzt waren. Zur ebenso effizienten wie erfinderischen Gemeinschaft wird das Quartett durch vermeintlich weibliche Tugenden wie Kommunikations- und Kompromissbereitschaft – entscheidende Vorteile in dieser Männerdomäne.

 

Zwei Stränge in zwei Stunden

 

Damit verleiht der Regisseur seinen Figuren eine Tiefe und Wahrhaftigkeit, die nicht nur bei weiblichen Rollen im Hollywoodkino selten geworden ist. Man fühlt mit den Frauen und nimmt an ihnen Anteil; das entspricht McQueens künstlerischem Anspruch, ist aber auch das Verdienst der großartigen Schauspielerinnen.

 

Die Männer haben gegen die aus Verzweiflung gespeiste Durchschlagskraft der Witwen wenig Chancen; auch wenn der ihnen gewidmete, nicht minder spannende zweite Handlungsstrang vom korrupten Politiksumpf Chicagos erzählt. Beide Stränge werden lose miteinander verknüpft; dadurch wartet der Film in zwei atemlosen Stunden mit einigen überraschenden Wendungen auf, obwohl die Übergänge manchmal doch etwas zu sprunghaft erscheinen. Daher möchte man den Film noch ein zweites Mal sehen – allein schon, um die Struktur genauer zu verstehen, die diesen vielschichtigen und brillanten Thriller zusammenhält.