Andreas Goldstein

Adam und Evelyn

Adam (Florian Teichtmeister) verzweifelt an einer Autopanne, Evelyn (Anne Kanis) an Adam. Foto: Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart: 10.1.) Das Private ist weltgeschichtlich: Im Sommer 1989 gelangt ein DDR-Paar unverhofft über Ungarn in den Westen. Ingo Schulzes Paradies-Wende-Roman von 2008 verfilmt Andreas Goldstein als lakonisches, nostalgisch verklärendes Sommer-Roadmovie.

So sieht ein kleiner Garten Eden irgendwo in der ostdeutschen Provinz aus: In der verwilderten Sommeridylle sprießt Grün harmonisch durcheinander, Vogelgezwitscher füllt die Luft, im Hintergrund grüßt heimelig ein Backstein-Häuschen. Dort leben der selbstständige Damenschneider Adam (Florian Teichtmeister) und seine Freundin, die Kellnerin Evelyn (Anne Kanis), ruhig und beschaulich dahin.

 

Info

 

Adam und Evelyn

 

Regie: Andreas Goldstein

95 Min., Deutschland 2018;

mit: Florian Teichtmeister, Anne Kanis, Lena Lauzemis

 

Weitere Informationen

 

Aus dem Radio quellen beiläufig Nachrichten von DDR-Flüchtlingen, die sich im Sommer 1989 vor der bundesdeutschen Botschaft in Budapest versammeln; sie hoffen auf eine Gelegenheit, um in den Westen auszureisen. Auch Adam und Evelyn wollen nach Ungarn – aber nur, um gemeinsam Urlaub am Plattensee zu machen. 

 

Mit Schildkröte im Wartburg

 

Aber dann schaut der stille Adam einer Kundin bei der Anprobe etwas zu tief in die Augen. Daraufhin macht die verletzte Evelyn sich gemeinsam mit ihrer Kollegin Simone (Christin Alexandrow) und deren Westbekanntschaft Michael (Milian Zerzawy) auf den Weg zum Balaton. Düpiert zuckelt Adam samt seiner Hausschildkröte im „Wartburg“-Oldtimer hinterher. Dabei gabelt er Katrin (Lena Lauzemis) auf; sie ist ohne Ausweispapiere unterwegs, will aber unbedingt in die Bundesrepublik.

Offizieller Filmtrailer


 

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

 

Am Plattensee entspinnt sich zwischenzeitlich ein Paartausch-Reigen – der abrupt aufhört, als Ungarn seine Grenze zu Österreich öffnet. Wer weiß schon, ob so eine Gelegenheit noch einmal kommen wird? Unversehens finden sich Adam und Evelyn in ihrem Wartburg in der Bundesrepublik wieder. Letztlich sei ihre „Flucht“ das Resultat einer „Männer- und Frauengeschichte“, erklärt Evelyn später einem verdutzten westdeutschen Einbürgerungs-Beamten. 

 

Der gleichnamige Roman (2008) von Ingo Schulze endet, wo andere Geschichten erst anfangen: In einer eigenwilligen Mischung aus Melancholie und Lakonie erzählt er von jenem kurzen Moment im Sommer 1989, als alles in der Schwebe war. Das Alte war bereits unmerklich vergangen, aber das Kommende hatte noch keine konkrete Gestalt angenommen.

 

Kapitalismus ist längst komplett

 

Durch die Öffnung der Grenze werden die Protagonisten unverhofft mit Möglichkeiten konfrontiert sind, von denen sie immer geträumt hatten – zumindest glaubten sie das. Doch jeder Neubeginn birgt auch Verluste. Das ist vor allem dem schweigsamen Adam klar, dem sein kleines Gartenparadies im Grunde immer ausgereicht hat.

 

Was soll er anfangen mit der großen Freiheit? Im Kapitalismus gibt es bereits alle nur erdenklichen Kleider. Im Sozialismus hingegen war er gewissermaßen konkurrenzlos, Zeit und Geld spielten nur eine untergeordnete Rolle. Diese sorgsam abgesteckte Lebensnische, die Adam in der DDR bewohnte, wird im wiedervereinigten Deutschland unwiederbringlich verloren gehen.

 

Leben heißt, im Westen leben

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Gundermann" - differenziertes Biopic über den DDR-Liedermacher von Andreas Dresen

 

und hier einen Beitrag über den Film "In Zeiten des abnehmenden Lichts" - vielschichtige DDR-Tragikomödie von Matti Gschonneck

 

und hier einen Bericht über den Film "Als wir träumten" - mitreißendes Porträt der Jugend im Nachwende-Leipzig von Andreas Dresen nach einem Drehbuch von Wolfgang Kohlhaase

 

und hier eine Besprechung des Films "Westwind" - zartbittersüßes Melodram über DDR-Flucht 1988 aus Liebe von Robert Thalheim.

 

„Was willst du eigentlich im Westen?“, fragt er in einer Szene seine Reisegefährtin Katja. „Einfach leben, überhaupt leben“, entgegnet sie. „Hast du bisher nicht gelebt?“, hakt Adam nach. Solche knappen Dialoge – überhaupt wird im ganzen Film nur sehr wenig gesprochen – geben den statischen, mitunter zu langen Einstellungen umso mehr Raum.

 

Sie zeigen die DDR und das damalige Ungarn in geradezu verklärenden Sommerbildern. Menschenleere Landschaften sind voller wildromantischer Orte; selbst bröckelnde Straßenzüge wirken im warmen Sonnenlicht noch pittoresk. Das schrammt hart an der Grenze zur Ostalgie entlang – illustriert aber auch sehr anschaulich den Verlust, den viele frühere DDR-Bürger empfinden, wenn sie an ihre frühere Republik denken.

 

Paradiesische Nischenrepublik

 

Viele von ihnen haben die hereinbrechenden Reise- und Konsumfreiheiten mit Arbeitslosigkeit und der Entwertung ihrer Biografien bezahlt; solche Erfahrungen speisen bis heute hartnäckige Ressentiments gegenüber den „Wessis“. Insofern passt die Paradies-Metapher des Filmtitels durchaus; allerdings war die DDR ein Arbeiter-und-Bauern-„Paradies“ mit sehr eng gesteckten Grenzen.

 

Als Adam und Evelyn schließlich in der Bundesrepublik ankommen, stellt sich jäh der Herbst ein. Nun fällt fahles Licht auf sterile Inneneinrichtungen; derweil werden Zukunftspläne geschmiedet und Realitätszwänge abgewogen. Evelyn erwartet ein Kind, das in der besten aller Welten aufwachsen soll, denn sie erhofft sich das Ende von Geschichte überhaupt. Ihr Optimismus erscheint aus heutiger Sicht geradezu rührend.