Michael Moore

Fahrenheit 11/9

Donald Trump. Foto: © Midwestern Films LLC, All rights reserved. Fotoquelle: Weltkino Filmverleih GmbH
(Kinostart: 17.1.) Sollte die Linke ihre Anliegen populistischer vertreten? Der polemische Dokumentarfilmer Michael Moore sucht nach Gründen für den Wahlsieg des US-Präsidenten – und liefert neben Trump-Bashing und Hoffnungsschimmern ein paar anregende Einblicke.

Innerhalb der europäischen Linken wird derzeit rege über Populismus diskutiert. Wenn es den Neuen Rechten gelingt, mit affektgeladenen Methoden Wahlerfolge zu erzielen, warum macht sich das nicht auch die Linke zunutze? Wäre es nicht an der Zeit, dass sie emotionaler und offensiver für ihre Ziele wirbt ?

 

Info

 

Fahrenheit 11/9

 

Regie: Michael Moore

128 Min., USA 2018;

mit: Donald Trump, Barack Obama, Katie Perry

 

Weitere Informationen

 

Der kritische US-Filmemacher Michael Moore hat diese Frage von jeher mit „Ja“ beantwortet. In seinen aufklärerisch daher kommenden Filmen polarisiert er und knüpft Zusammenhänge, die mal erhellend, mal verblüffend, manchmal aber auch ziemlich suggestiv sind.

 

Verschwiegene Hintergründe

 

So entspricht die in seinem Film „Fahrenheit 9/11“ (2004) nahegelegte Verbindung zwischen dem jüngst verstorbenen George Bush Sr. (US-Präsident von 1989 bis 1993) und der saudischen Bin-Laden-Gruppe zwar der Faktenlage. Zugleich wird verschwiegen, dass diese Familie zu den größten Bauunternehmern des Wüstenstaats zählen – und kein ausländischer Investor an ihnen vorbeikommt.

Offizieller Filmtrailer


 

Schlechter Geschmack

 

Heute wäre man vielleicht sogar erleichtert, wenn der US-Präsident Handelsbeziehungen pflegen würde, anstatt sie mit Anti-Diplomatie auszuhebeln. Dass das mächtigste Staatsoberhaupt der Welt wie ein rassistisches, misogynes, ungehobeltes Pulverfass daherkommt, weiß inzwischen jedes Kind.

 

Moore will es zum Auftakt seines neuen Dokumentarfilms „Fahrenheit 11/9“ trotzdem in Erinnerung rufen. Den US-Präsidenten mit Hitler zu vergleichen oder anhand von TV-Ausschnitten, in denen Trump von der „tollen Figur“ seiner Tochter schwärmt, eine inzestuöse Beziehung zu insinuieren, ist wohl einfach Moores schlechtem Geschmack geschuldet. Schließlich sind derartige Unterstellungen fast überflüssig bei einem Mann, dem genug Belegbares anzulasten ist; etwa sein offener Rassismus.

 

Mehr als Trump-Bashing

 

Der führt, wie Moores gekonnt zusammengestellte Mitschnitte aus Fernsehshows zeigen, dazu, dass Trump auf Wahlveranstaltungen einzelne Schwarze beleidigt und des Saals verweist – was dann von Trump-Fans mit Schlägen und Spucken in die Tat umgesetzt wird.

 

Soweit, so Trump. Ist eine weitere Beweisführung gegen diesen Mann nicht überflüssig? Schließlich wurden seine Eskapaden in den letzten zwei Jahren medial ausführlich beleuchtet. Doch zum Glück geht Moores Analyse über reines Trump-Bashing hinaus.

 

Passive Kritiker

 

Der Filmemacher stellt die zentrale Frage: „Wie zum Teufel konnte das passieren?“ Die Gründe, die dann auf Spielfilmlänge ausgebreitet werden, sind komplex und lassen sich etwa so zusammenfassen: Trump weiß sich zu inszenieren, die Medien lieben ihn dafür und haben ihm den Teppich ausgerollt – auch, weil kaum jemand glaubte, er könne wirklich die Präsidentschaftswahl gewinnen.

 

Man kann Moore, der sein Land offenbar gut kennt, zugute halten, dass er einer der wenigen war, die Trumps Wahlsieg vorausgesagt hatten. Selbstzufrieden macht ihn das nicht. Denn wirklich etwas gegen Trump unternahmen selbst die kritischen Köpfe und Medien des Landes nicht. „Wir alle sind schuld“, stellt Moore an einer Stelle fest – eine etwas zaghafte, mit Pathos-Geigen unterlegte Demutsbekundung.

 

„Wahre“ Amerikaner

 

Solche Einsichten und die zweite Hälfte des Films sind es, die „Fahrenheit 11/9“ dann doch zu einem relevanten Zeitdokument machen. Moore zeigt ein Land, das tief gespalten ist, aber zugleich immer mehr Gegner der aktuellen Politik hervorbringt. In einer cleveren Volte präsentiert Moore alternative Meinungsbekundungen aus jenen „wahren USA“, als deren Repräsentant sich Trump gerne inszeniert.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die Verlegerin" - eindrucksvoller Politthriller über die "Pentagon Papers"-Presseaffäre 1971 von Steven Spielberg mit Meryl Streep

 

und hier eine Besprechung des Films "Der Moment der Wahrheit - Truth" - komplexer Polit- und Medienthriller über eine TV-Affäre von 2004 von James Vanderbilt mit Cate Blanchett + Robert Redford

 

und hier ein Beitrag über den Film “Ides of March – Tage des Verrats” - hervorragender Politthriller zum US-Wahlkampf von George Clooney mit Ryan Gosling

 

und hier einen Bericht über den Film "What is left?" - amüsant-verzweifelte Doku über den Niedergang der Linken in Italien von Gustav Hofer und Luca Ragazzi.

 

So behaupten eingeblendete Statistiken, dass 74 Prozent der Bevölkerung strengere Umweltgesetze wollen, 61 Prozent einen höheren Mindestlohn und 75 Prozent eine einwanderungsfreundliche Politik. Ebenfalls von „wahren“ Amerikanern initiiert sind die landesweiten Streiks der Lehrer, die bis heute stark unterbezahlt sind.

 

Demokratische Mobilisierung

 

Oder auch eine neue linke Gewerkschaftsbewegung, die hier in Gestalt eines sympathischen, wenn auch prügellustigen Aktivisten auftritt. Ebenso wie die landesweiten Schüler-Protestmärsche, 700 an der Zahl, die sich für eine Verschärfung der Waffengesetze einsetzen. Jener größte US-Demonstration aller Zeiten lag eine Initiative der Schüler der Parkland-Schule in Florida zugrunde, an der 2018 bei einem Amoklauf 17 Menschen getötet wurden.

 

Dass der überzeugte Waffengegner Moore zum Ende mit dieser Gruppe spricht, gewährt nach all der negativen Polemik einen positiven Ausblick: Mit dieser Generation, die mit demokratischen Mitteln Millionen Menschen mobilisieren kann, werden es Leute wie Trump schwieriger haben, scheint Moore zu sagen.

 

Kann Moore Massen erreichen?

 

Warum der trotz solcher Entwicklungen bei der nächsten Wahl mit einer Stimmenmehrheit rechnen könnte, liegt womöglich eher an seiner Person. Daran also, WIE er Politik vertritt – nicht an seinen Inhalten. Vielleicht ist vor diesem Hintergrund ein linker Populismus á la Moore, der auf Vereinfachung und Emotionen setzt, wichtiger denn je. Auch wenn die Gefahr besteht, dass die Verteufelung Trumps ihm letztendlich eine weitere Bühne bietet, ist Moore in der Lage, viele Menschen zu erreichen. Allein deshalb ist seine Stimme wichtig.