Bitte genau hinsehen: Entscheidend im Titel ist die Ziffer „1“, die ihn zum Wortspiel macht – „Bau ein Haus“. Es geht also nicht nur, nicht einmal vorrangig, um das Bauhaus und sein Personal; obwohl im Jubeljahr zum 100. Geburtstag die Aufmerksamkeit für die legendäre Kunsthochschule auch von dieser Fotoschau gerne angezapft wird.
Info
bau1haus – Die Moderne in der Welt. Eine fotografische Reise von Jean Molitor
16.01.2019 - 14.03.2019
täglich außer montags
12 bis 18 Uhr
im Willy-Brandt-Haus, Wilhelmstraße 140, Berlin
Begleitband 46 €
bau1haus – Die Moderne in Chemnitz und der Welt
06.03.2019 - 12.05.2019
täglich außer montags
12 bis 18 Uhr,
donnerstags bis 20 Uhr
im Staatlichen Museum für Archäologie (SMAC), Stefan-Heym-Platz, Chemnitz
bauhaus – eine fotografische weltreise – von jean molitor
20.03.2019 - 02.06.2019
täglich 10 bis 22 Uhr
in der Aspekte Galerie im Gasteig, Rosenheimer Str. 5, München
Bis nach Südostasien gereist
Molitors Schwerpunkt liegt im deutschsprachigen Raum, aber er war gleichfalls in West- und Osteuropa unterwegs, bis hin zum Ural. Auch in Nahost, Mittelamerika, Ostafrika und Südostasien hat er solche Bauwerke aufgespürt. Rund 100 seiner großformatigen Schwarzweiß-Aufnahmen werden nun im Willy-Brandt-Haus (WBH) ausgestellt; eine halb so große und etwas veränderte Variante der Schau ist im Staatlichen Museum für Archäologie in Chemnitz (SMAC) zu sehen. Überdies wird die Ausstellung in der Münchener Aspekte Galerie im Gasteig gezeigt.
Weder chronologisch noch geographisch geordnet, sondern nach Bauaufgaben und Gebäudetypen; als kanonische Stilgeschichte taugt diese Zusammenstellung also nicht. Dafür hat sie den enormen Vorzug, über den nationalen Tellerrand und die geläufigen Bau-Großmeister hinaus zu blicken. So wird anschaulich, wie rasch sich die Architektur-Moderne rund um den Globus ausbreitete, und wie abwechslungsreich ihre Formen und Lösungen variiert wurden.
Erster Stahl-Glas-Kasten 1903
Ausgehend von den Anfängen: Die Steiff-Produktionshalle von 1903 im schwäbischen Giengen an der Brenz, einer der ersten Stahl-Glas-Kästen, ist ebenso zu sehen wie Walter Gropius‘ epochales Fagus-Werk in Skelettbauweise mit Vorhangfassade von 1911 in Alfeld an der Leine.
Breitenwirksam wurde moderne Architektur aber erst mit den öffentlichen Bauprogrammen der 1920er Jahre, um die Wohnungsnot zu lindern. Zurecht hebt die Schau hervor, dass Sozialdemokraten dabei federführend waren: Stadtbauräte wie Ernst May in Frankfurt und Martin Wagner in Berlin ließen ganze Stadtviertel neu anlegen. Allein in der Reichshauptstadt wurden von 1924 bis 1930 insgesamt 135.000 Wohnungen errichtet! Heutzutage wären die Berliner froh, wenn ihr Senat einen Bruchteil davon hinbekäme.
Impressionen der Ausstellung
Bauboom ohne Monotonie
Damals führte der kommunale Bauboom nicht zu öder Monotonie, im Gegenteil: Molitors Aufnahmen zeigen, dass Architekten wie Bruno Taut, Hans Scharoun und Otto Bartning schlichte geometrische Formen einfallsreich kombinierten, um so zweckmäßige wie ansprechende Wohnanlagen zu gestalten.
Mit den gleichen Mitteln gelangen auch eindrucksvolle Repräsentationsbauten: etwa Erich Mendelsohns IG-Metall-Haus (1929/30) samt dramatisch betontem Eckportal, nur einen Steinwurf vom Willy-Brandt-Haus entfernt. Oder das Shell-Bürogebäude (1930/2) von Emil Fahrenkamp, dank seiner wellig gestuften Fassade bis heute ein Schmuckstück des Stadtbilds.
Halbrunde Glastürme überall
Solche kurvigen Fassaden haben es dem Fotografen angetan. Seine Aufnahmen sind meist zentriert, menschenleer und wolkenlos, damit im strahlenden Sonnenschein das Spiel von Licht und Schatten optimal zur Geltung kommt. Das verdunkelt zwar, von wem und wie die Gebäude genutzt werden, lenkt aber die Aufmerksamkeit auf die Oberflächenreize ihrer Fassaden – und enthüllt überraschende Ähnlichkeiten.
Etwa halbrunde Glastürme: Damit hatten Walter Gropius und Adolf Meyer ihre Musterfabrik auf der Kölner Werkbundausstellung 1914 ausgestattet. Sie fanden etliche Nachahmer: Solche markanten Türme zierten etwa Wohnsiedlungen in Frankfurt und Hamburg, Jacob Koerfers Deutschlandhaus in Essen (1928/9) und viele weitere Fabrik- und Bürogebäude.
Von Magnitogorsk bis Ankara
Erich Mendelsohn machte daraus ein Markenzeichen seiner Entwürfe, wie für den Einsteinturm in Potsdam (1920/2), das Berliner Mosse-Verlagshaus (1921/3), das Kaufhaus Schocken in Chemnitz (1930) oder auch die Textilfabrik „Rotes Banner“ (1925/7) in Sankt Petersburg, heute praktisch eine Ruine. Mendelsohns Werke bilden einen Schwerpunkt der Fotoschau-Variante in Chemnitz – der Standort verpflichtet: Das SMAC ist im ehemaligen Kaufhaus Schocken untergebracht.
Hintergrund
Website aller Jubiläums-Aktivitäten zu 100 Jahre Bauhaus
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Vom Bauen der Zukunft – 100 Jahre Bauhaus" - anregende Doku von Niels Bolbrinker und Thomas Tielsch
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Baumeister der Revolution" über die sowjetische Avantgarde-Architektur 1915 – 1935 im Martin-Gropius-Bau, Berlin
und hier eine Kritik der Ausstellung "Bauhaus - Alles ist Design" über die Wirkungsgeschichte des Bauhauses in der Bundeskunsthalle Bonn
und hier eine Besprechung der Schau "Made in Germany – Politik mit Dingen. Der Deutsche Werkbund 1914" über dessen erste Großausstellung in Köln mit dem Glashaus von Bruno Taut im Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Berlin.
Kölner Kirche inspiriert im Kongo
1933 emigrierte May nach Ostafrika und entwarf Häuser in Kenia, bevor er nach dem Zweiten Weltkrieg in die Bundesrepublik zurückkehrte. Ähnlich weit gespannt war das Wirken von Bruno Taut: Nach einem Kurzaufenthalt in Moskau 1932/3 hielt er sich drei Jahre in Japan auf. 1936 wurde er Dekan der Istanbuler Kunstakademie und entwarf u.a. die Universität von Ankara. Jüdische Bauhaus-Absolventen prägten in den 1930er Jahren den Ausbau von Tel Aviv zur „Weißen Stadt“.
Molitor führt weitere verblüffende Analogien vor: So scheinen Kirchenschiffe und -fassaden in Kongo und Kenia offenbar von Vorbildern in Köln und Kopenhagen inspiriert zu sein. Stromlinien-Formen im Art-Deco-Look zieren Wohn- und Geschäftshäuser von Burundi bis Guatemala. Wer hier wen beeinflusste, ist kaum auszumachen und letztlich gleichgültig: Mitte des 20. Jahrhunderts war die moderne Formensprache längst Allgemeingut geworden.
Besser als berüchtigte Bauhaus-Kisten
Zwar kommen manche Regionen, etwa Südeuropa oder die USA, etwas zu kurz. Und mit Fachbegriffen wie Funktionalismus, Rationalismus, Konstruktivismus oder International Style gehen die Begleittexte recht freihändig um.
Doch eines macht diese Fotoschau wunderbar deutlich: Die erste Generation moderner Architekten bewies einen Sinn fürs Zusammenspiel der Elemente und Proportionen, der ihre Bauten harmonisch und lebenswert machte. Weil es ihnen um mehr ging als Platzausnutzung und Rendite-Maximierung: Sie klotzten eben keine sprichwörtlichen „Bauhaus-Kisten“ in die Gegend.