Berlin + Chemnitz + München

bau1haus – Die Moderne in der Welt. Eine fotografische Reise von Jean Molitor

© Jean Molitor, Deutschland, Löbau, Haus Schminke („Nudeldampfer“), Hans Scharoun, 1932-33. Fotoquelle: Willy Brandt Haus, Berlin
Exportschlager Architektur: Binnen weniger Jahre eroberte modernes Bauen den Globus. Im Bauhaus-Jubiläumsjahr dokumentiert der Fotograf Jean Molitor anschaulich, wie universell verbreitet funktionale Ästhetik ist – eine erhellende Schau im Willy-Brandt-Haus, dem SMAC und der Aspekte Galerie.

Bitte genau hinsehen: Entscheidend im Titel ist die Ziffer „1“, die ihn zum Wortspiel macht – „Bau ein Haus“. Es geht also nicht nur, nicht einmal vorrangig, um das Bauhaus und sein Personal; obwohl im Jubeljahr zum 100. Geburtstag die Aufmerksamkeit für die legendäre Kunsthochschule auch von dieser Fotoschau gerne angezapft wird.

 

Info

 

bau1haus – Die Moderne in der Welt. Eine fotografische Reise von Jean Molitor

 

16.01.2019 - 14.03.2019

täglich außer montags

12 bis 18 Uhr

im Willy-Brandt-Haus, Wilhelmstraße 140, Berlin

 

Begleitband 46 €

 

Weitere Informationen

 

bau1haus – Die Moderne in Chemnitz und der Welt

 

06.03.2019 - 12.05.2019

täglich außer montags

12 bis 18 Uhr,

donnerstags bis 20 Uhr

im Staatlichen Museum für Archäologie (SMAC), Stefan-Heym-Platz, Chemnitz

 

Weitere Informationen

 

bauhaus – eine fotografische weltreise – von jean molitor

 

20.03.2019 - 02.06.2019

täglich 10 bis 22 Uhr

in der Aspekte Galerie im Gasteig, Rosenheimer Str. 5, München

 

Weitere Informationen

 

Doch ihr Horizont reicht wesentlich weiter. Sie schaut auf die architektonische „Moderne in der Welt“, wie der Untertitel lautet: Seit zehn Jahren dokumentiert der Berliner Fotograf Jean Molitor weltweit Gebäude, die in der Zwischenkriegszeit entstanden sind; entworfen von Baumeistern, die modernistischen Prinzipien verpflichtet waren.

 

Bis nach Südostasien gereist

 

Molitors Schwerpunkt liegt im deutschsprachigen Raum, aber er war gleichfalls in West- und Osteuropa unterwegs, bis hin zum Ural. Auch in Nahost, Mittelamerika, Ostafrika und Südostasien hat er solche Bauwerke aufgespürt. Rund 100 seiner großformatigen Schwarzweiß-Aufnahmen werden nun im Willy-Brandt-Haus (WBH) ausgestellt; eine halb so große und etwas veränderte Variante der Schau ist im Staatlichen Museum für Archäologie in Chemnitz (SMAC) zu sehen. Überdies wird die Ausstellung in der Münchener Aspekte Galerie im Gasteig gezeigt.

 

Weder chronologisch noch geographisch geordnet, sondern nach Bauaufgaben und Gebäudetypen; als kanonische Stilgeschichte taugt diese Zusammenstellung also nicht. Dafür hat sie den enormen Vorzug, über den nationalen Tellerrand und die geläufigen Bau-Großmeister hinaus zu blicken. So wird anschaulich, wie rasch sich die Architektur-Moderne rund um den Globus ausbreitete, und wie abwechslungsreich ihre Formen und Lösungen variiert wurden.

 

Erster Stahl-Glas-Kasten 1903

 

Ausgehend von den Anfängen: Die Steiff-Produktionshalle von 1903 im schwäbischen Giengen an der Brenz, einer der ersten Stahl-Glas-Kästen, ist ebenso zu sehen wie Walter Gropius‘ epochales Fagus-Werk in Skelettbauweise mit Vorhangfassade von 1911 in Alfeld an der Leine.

 

Breitenwirksam wurde moderne Architektur aber erst mit den öffentlichen Bauprogrammen der 1920er Jahre, um die Wohnungsnot zu lindern. Zurecht hebt die Schau hervor, dass Sozialdemokraten dabei federführend waren: Stadtbauräte wie Ernst May in Frankfurt und Martin Wagner in Berlin ließen ganze Stadtviertel neu anlegen. Allein in der Reichshauptstadt wurden von 1924 bis 1930 insgesamt 135.000 Wohnungen errichtet! Heutzutage wären die Berliner froh, wenn ihr Senat einen Bruchteil davon hinbekäme.

Impressionen der Ausstellung


 

Bauboom ohne Monotonie

 

Damals führte der kommunale Bauboom nicht zu öder Monotonie, im Gegenteil: Molitors Aufnahmen zeigen, dass Architekten wie Bruno Taut, Hans Scharoun und Otto Bartning schlichte geometrische Formen einfallsreich kombinierten, um so zweckmäßige wie ansprechende Wohnanlagen zu gestalten.

 

Mit den gleichen Mitteln gelangen auch eindrucksvolle Repräsentationsbauten: etwa Erich Mendelsohns IG-Metall-Haus (1929/30) samt dramatisch betontem Eckportal, nur einen Steinwurf vom Willy-Brandt-Haus entfernt. Oder das Shell-Bürogebäude (1930/2) von Emil Fahrenkamp, dank seiner wellig gestuften Fassade bis heute ein Schmuckstück des Stadtbilds.

 

Halbrunde Glastürme überall

 

Solche kurvigen Fassaden haben es dem Fotografen angetan. Seine Aufnahmen sind meist zentriert, menschenleer und wolkenlos, damit im strahlenden Sonnenschein das Spiel von Licht und Schatten optimal zur Geltung kommt. Das verdunkelt zwar, von wem und wie die Gebäude genutzt werden, lenkt aber die Aufmerksamkeit auf die Oberflächenreize ihrer Fassaden – und enthüllt überraschende Ähnlichkeiten.

 

Etwa halbrunde Glastürme: Damit hatten Walter Gropius und Adolf Meyer ihre Musterfabrik auf der Kölner Werkbundausstellung 1914 ausgestattet. Sie fanden etliche Nachahmer: Solche markanten Türme zierten etwa Wohnsiedlungen in Frankfurt und Hamburg, Jacob Koerfers Deutschlandhaus in Essen (1928/9) und viele weitere Fabrik- und Bürogebäude.

 

Von Magnitogorsk bis Ankara

 

Erich Mendelsohn machte daraus ein Markenzeichen seiner Entwürfe, wie für den Einsteinturm in Potsdam (1920/2), das Berliner Mosse-Verlagshaus (1921/3), das Kaufhaus Schocken in Chemnitz (1930) oder auch die Textilfabrik „Rotes Banner“ (1925/7) in Sankt Petersburg, heute praktisch eine Ruine. Mendelsohns Werke bilden einen Schwerpunkt der Fotoschau-Variante in Chemnitz – der Standort verpflichtet: Das SMAC ist im ehemaligen Kaufhaus Schocken untergebracht.

 

Hintergrund

 

Website aller Jubiläums-Aktivitäten zu 100 Jahre Bauhaus

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Vom Bauen der Zukunft – 100 Jahre Bauhaus" - anregende Doku von Niels Bolbrinker und Thomas Tielsch

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Baumeister der Revolution" über die sowjetische Avantgarde-Architektur 1915 – 1935 im Martin-Gropius-Bau, Berlin

 

und hier eine Kritik der Ausstellung "Bauhaus - Alles ist Design" über die Wirkungsgeschichte des Bauhauses in der Bundeskunsthalle Bonn

 

und hier eine Besprechung der Schau "Made in Germany – Politik mit Dingen. Der Deutsche Werkbund 1914" über dessen erste Großausstellung in Köln mit dem Glashaus von Bruno Taut im Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Berlin.

 

Dass sich modernes Bauen so schnell international ausbreitete, lag vor allem an der Mobilität der Architekten. Nicht nur durch NS-Verfolgung bedingt, sondern bereits wegen der Weltwirtschaftskrise: So kam 1930 Ernst May als Teamleiter von 37 Kollegen in die Sowjetunion – binnen zwei Jahren stampften sie an 20 Orten riesige Siedlungen aus dem Boden. Wie heruntergekommen diese mittlerweile sind, belegt Molitor mit Bildern aus Magnitogorsk im Uralgebiet.

 

Kölner Kirche inspiriert im Kongo

 

1933 emigrierte May nach Ostafrika und entwarf Häuser in Kenia, bevor er nach dem Zweiten Weltkrieg in die Bundesrepublik zurückkehrte. Ähnlich weit gespannt war das Wirken von Bruno Taut: Nach einem Kurzaufenthalt in Moskau 1932/3 hielt er sich drei Jahre in Japan auf. 1936 wurde er Dekan der Istanbuler Kunstakademie und entwarf u.a. die Universität von Ankara. Jüdische Bauhaus-Absolventen prägten in den 1930er Jahren den Ausbau von Tel Aviv zur „Weißen Stadt“.

 

Molitor führt weitere verblüffende Analogien vor: So scheinen Kirchenschiffe und -fassaden in Kongo und Kenia offenbar von Vorbildern in Köln und Kopenhagen inspiriert zu sein. Stromlinien-Formen im Art-Deco-Look zieren Wohn- und Geschäftshäuser von Burundi bis Guatemala. Wer hier wen beeinflusste, ist kaum auszumachen und letztlich gleichgültig: Mitte des 20. Jahrhunderts war die moderne Formensprache längst Allgemeingut geworden.

 

Besser als berüchtigte Bauhaus-Kisten

 

Zwar kommen manche Regionen, etwa Südeuropa oder die USA, etwas zu kurz. Und mit Fachbegriffen wie Funktionalismus, Rationalismus, Konstruktivismus oder International Style gehen die Begleittexte recht freihändig um.

 

Doch eines macht diese Fotoschau wunderbar deutlich: Die erste Generation moderner Architekten bewies einen Sinn fürs Zusammenspiel der Elemente und Proportionen, der ihre Bauten harmonisch und lebenswert machte. Weil es ihnen um mehr ging als Platzausnutzung und Rendite-Maximierung: Sie klotzten eben keine sprichwörtlichen „Bauhaus-Kisten“ in die Gegend.