Liu Jian

Have A Nice Day

Der philosophierende Gangsterboss Onkel Liu hat einen interessanten Kunstgeschmack. Foto: © Grandfilm
(Kinostart: 7.2.) Wahnsinnige treffen auf Idioten: Mit einer Gangster-Groteske seziert der Künstler Liu Jian die chinesische Gegenwart. Sein abgründiger Animationsfilm kontert die offizielle Propaganda mit einer nihilistischen Jagd nach dem schnellen Geld.

Dass China die künftige Weltmacht wird, ist mittlerweile praktisch Konsens; davon zeugen schon die gigantischen Exportüberschüsse der Volksrepublik. Dennoch kommt von der chinesischen Filmkultur hierzulande wenig an. Am ehesten noch Blockbuster-Produktionen, in denen Kampfkunst-Darsteller der Schwerkraft trotzend durch die Luft wirbeln oder Mega-Monster bekämpfen; gern beides gleichzeitig.

 

Info

 

Have A Nice Day

 

Regie: Liu Jian,

77 Min., China 2017

 

Website zum Film

 

Unabhängiges Filmschaffen hat es schwer im Reich der Mitte, in dem Kunst und Kultur schnell als politisch verdächtig gelten, sofern sie nicht eindeutig patriotischer Erbauung oder reiner Unterhaltung dienen. Dabei gibt es vieles, was zu behandeln sich lohnte: etwa die wachsende soziale und ökonomische Ungleichheit in einem Land, in dem der Sozialismus immer noch Staatsdoktrin ist. Oder den Umstand, dass die Regierung mit dem „Social Credit Points“-System im Begriff ist, alle Überwachungs-Visionen aus „1984“ von George Orwell in den Schatten zu stellen.

 

2017 im Berlinale-Wettbewerb

 

Umso aufschlussreicher erscheint es, wenn ein Film wie „Have A Nice Day “ des chinesischen Künstlers und Filmemachers Liu Jian in die hiesigen Kinos kommt. 2017 war sein Gangster-Krimi in Form eines Animationsfilms für Erwachsene im Wettbewerb der Berlinale zu sehen.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Groteske als Systemkritik

 

Vom Vergleich mit Trash-Regisseur Quentin Tarantino, den der Verleih publikumswirksam auf dem Filmplakat untergebracht hat, sollte man sich nicht täuschen lassen. Weder benutzt Liu Jian Gewalt als comicartig überzeichnetes Stilmittel, noch hat sein Film den Tarantino-typischen drive. Vielmehr übt er Systemkritik im Gewand einer Gangster-Groteske.

 

Die Geschichte ist sehr einfach: Eines Nachts in einer namenlosen Stadt in Südchina wechselt eine Tasche mit einer Million Yuan (entspricht ungefähr 130.000 Euro) mehrmals den Besitzer. Der Ursprung des Geldes liegt im Dunklen; bestimmt ist es für den lokalen Gangsterboss Onkel Liu. Mit dem sollte man sich auf keinen Fall anlegen – selbst alte Jugendfreunde lässt er foltern, wenn sie es wagen, sich mit seiner Ehefrau einzulassen. Seine Rachegelüste garniert er obendrein mit philosophisch verbrämten Reden.

 

Tieftraurige Coolness

 

Das alles hält den jungen Xiao Zhang nicht davon ab, einem Kurier besagte Tasche abzunehmen. Er will mit dem Geld eine erneute Schönheitsoperation für seine Verlobte finanzieren; sie traut sich seit dem ersten verpfuschten Eingriff nicht mehr aus ihrem Zimmer. Doch lange bleibt der Koffer nicht in seinem Besitz: Bald schon sind ihm ein alternder Erfinder mit Röntgenbrille, ein stolzer Auftragskiller mit Metzgermesser und diverse andere Gestalten auf den Fersen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Feuerwerk am helllichten Tage – Black Coal, Thin Ice" - brillanter Neo-Noir-Krimi in Nordchina von Diao Yinan, Berlinale-Sieger 2014

 

und hier eine Besprechung des Films "A Touch of Sin" - kompromissloses Sozial-Drama über das heutige China von Jia Zhangke

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Die 8 der Wege: Kunst in Beijing" - exzellenter Überblick über Gegenwartskunst in China in den Uferhallen, Berlin.

 

und hier einen Bericht über den Film "Teheran Tabu" - facettenreicher Animationsfilm über iranischen Alltag von Ali Soozandeh.

 

Das Ensemble besteht aus etwa zehn Figuren, von denen keine zur Identifikation einlädt. Ihr Auftreten und erst recht ihr plötzliches Ableben nimmt man eher gleichgültig zur Kenntnis. Aller ausgestellten Coolness zum Trotz scheinen sie allesamt desillusioniert und tieftraurig. So bleibt einem bei aller Überspitztheit der skizzierten Situationen das Lachen im Halse stecken.

 

Keine Menschen = schönere Städte

 

Einen schönen Tag, wie es der Titel ankündigt, wünscht hier eigentlich keiner jemand anderem. Vielmehr sind die zwischenmenschlichen Umgangsformen roh, Sympathiebekundungen – oder gar Solidarität – selten. Der Mensch ist des Menschen Wolf, in der Stadt noch mehr als auf dem Land. Vor wenigen Jahren standen hier noch keine Hochhäuser, doch am Ende frisst der Raubtier-Kapitalismus die meisten: Willkommen in einem China, das sich in den letzten drei Jahrzehnten ökonomisch rasant entwickelt hat.

 

Dabei kamen viele unter die Räder; ein großer Teil der Bevölkerung lebt nach wie vor in bitterer Armut. Umso verständlicher wird die Jagd nach dem Geld, das für alle Charaktere die einzige Chance zum sozialen Aufstieg darstellt. Im Gegensatz zur menschlichen Misere vermitteln die immer wiederkehrenden, melancholischen Tableaus der nächtlichen Stadtlandschaft etwas Tröstliches. Durch die recht rudimentären Zeichnungen und die leicht ruckartige Animation entsteht insgesamt der Eindruck eines verfilmten graphic novel.

 

Mao lächelt milde

 

Am Ende bleiben vor allem die Worte Onkel Lius haften: „Die Welt gehört den Wahnsinnigen und den Idioten. Die Wahnsinnigen stürmen drauflos und ernten Geld und Ruhm. Die Idioten sind vergnügt und zufrieden mit dem, was sie haben.“ Dazu lächelt Mao von roten Geldscheinen milde herab auf das zwischenmenschliche Gemetzel.