
Mr. Bale, wie viel wussten Sie schon vor dem Filmprojekt von Adam McKay über die Hintergründe von Dick Cheney?
Nicht mehr als andere auch. Sein ganzes Leben schien undurchsichtig, was die Gerüchteküche natürlich umso mehr zum Kochen brachte. In der TV-Show „Saturday Night Live“ machte man sich regelmäßig darüber lustig, dass er als US-Vizepräsident hinter dem Staatschef George W. Bush stehen und die Fäden ziehen würde. Mein eigenes Wissen über Cheney war jedoch sehr begrenzt, so dass ich mich nur überraschen lassen konnte.
Info
Vice - Der zweite Mann
Regie: Adam McKay
132 Min., USA 2018;
mit: Christian Bale, Amy Adams, Steve Carell
Es war ja nicht möglich, dieses Projekt so lange zu verschieben, bis ich auch altersmäßig auf Cheneys Stufe wäre; als er Vizepräsident wurde, war er 60 Jahre alt. Deshalb wurde es wichtig für mich, über die Körperlichkeit auch in die Psyche der Figur zu gelangen – anders hätte ich es nicht gekonnt. Sicherlich wollten wir mithilfe der Maske mich auch an sein Aussehen angleichen, aber es ging um das Gefühl und den Ausdruck darunter. Das war die große Schwierigkeit dabei.
Mal ehrlich: Haben Sie sich zuvor vorstellen können, Dick Cheney zu spielen?
Regisseur Adam McKay glaubte, ich könnte das. Ich wusste nur, dass er ein Drehbuch über Dick Cheney schrieb, und fragte mich, welche Rolle er dabei für mich vorsehen würde. Als ich ihn fragte, sagte er nur: „Na, du spielst natürlich Cheney.“
Offizieller Filmtrailer
Obsessiv dicker werden
Wie hat Ihre Frau Sibi Blažić darauf reagiert, dass Sie für diese Rolle immer dicker wurden?
Sie hat’s geliebt, denn dadurch wirkte sie neben mir immer schmaler (lacht).
Und wie erging es Ihnen damit?
Wir haben natürlich nach anderen Verwandlungsmöglichkeiten gesucht, aber ich konnte mich damit nicht anfreunden. Gut war, dass ich mehrere Monate Zeit hatte, um mich auf die Rolle vorzubereiten. Ich machte meine Hausaufgaben, nahm an Gewicht zu, und wir probierten Gesichtsprothesen aus. Wie gesagt: Mir ging es stets darum, ob ich mir diese Figur abnehme, und lange Zeit war es eben nicht so.
Was wäre passiert, wenn Sie mit ihrer Veränderung nicht zufrieden gewesen wären?
Dann hätten sich die Wege von Adam McKay und mir getrennt, und wir wären als Freunde auseinander gegangen. Aber ich blieb dran, es wurde fast zur Obsession. Auch wenn ich nicht ganz den Punkt erreicht habe, der mir vorschwebte, war ich irgendwann zufrieden und dachte: Vielleicht gelingt es jetzt, oder auch nicht.
Körperliche Anstrengung gehört dazu
Überkam Sie dabei nicht oft eine Gänsehaut, weil Sie sich in einen anderen verwandelten?
Es war ja nicht so, dass die Transformation mit einem Mal da war und ich sagen konnte: Jetzt bin ich Cheney! Das passierte Stück für Stück, oftmals mit zwei Schritten vorwärts und einem zurück, bis wir ein Ergebnis hatten, von dem wir alle sagen konnten: Jetzt haut es hin.
Wie haben Sie die 20 Kilo Gewicht im Anschluss wieder verloren?
Indem ich viel Wasser getrunken habe, hungrig zu Bett ging und schlecht gelaunt war.
Woher kommt diese Leidenschaft, sich für eine Rolle körperlich zu knechten?
Ich sehe das gar nicht so, sondern für mich ist es Glück, das tun zu dürfen. Ich habe schon immer Menschen bewundert, die an ihre Grenzen gegangen sind, um herauszufinden, was ihnen möglich ist. Als ich Schauspielerei studierte, sagte ich mir: Du musst dich jetzt auch anstrengen, sonst wirst Du in diesem Beruf nicht lange überleben. Insofern ist es für mich eine absolute Befriedigung.
Kein Treffen mit Dick Cheney
Viele Ihrer Kollegen halten solche körperlichen Veränderungen doch für Spinnerei?
Dem kann ich nicht zustimmen; ich war auch schon richtig dürr für eine Rolle. Jetzt habe ich zugenommen und kann nur sagen: Es verändert Dich, auch deine Denkweise. Man fühlt sich unbeweglicher als Cheney-Darsteller, wenn man seinen Nacken nicht mehr spürt, weil man so schwergewichtig ist. Da bekommt man ein Gespür dafür, wie es ist, ein massiges Objekt zu sein. Es lässt sich nicht mehr aus dem Weg räumen – das hatte er auch geistig verinnerlicht.
Sind Sie Cheney jemals persönlich begegnet?
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Vice - Der zweite Mann" von Adam McKay mit Christian Bale
und hier eine Besprechung des Films "The Big Short" – bestechende Analyse der Finanzkrise 2007/8 von Adam McKay mit Christian Bale und Steve Carell
und hier einen Bericht über den Film "Die Verlegerin" - packender Polit-Thriller über die Vietnamkrieg-Affäre 1971 von Steven Spielberg mit Meryl Streep
und hier einen Beitrag über den Film "Spotlight" - brillanter Polit- + Medien-Thriller von Tom McCarthy, prämiert mit dem Oscar: bester Film 2016
und hier eine Besprechung des Films "The Ides of March – Tage des Verrats" – brillanter Polit-Thriller über den US-Wahlkampf von + mit George Clooney.
Das Undurchschaubare beleuchten
Für viele Menschen ist Politik längst zum undurchschaubaren Geschäft geworden. Können Filme wie „Vice – Der zweite Mann“ oder „Der Spitzenkandidat“, der vor kurzem in deutsche Kinos kam, etwas Licht ins Dunkel bringen?
Solche Filme können durchaus helfen, Politik wieder zugänglicher zu machen. Denn es gibt Politiker, die alles lahm legen, weil sie es so kompliziert darstellen und den Leuten damit wohl auch das Gefühl geben wollen, sie könnten es gar nicht verstehen.
Wir Filmemacher versuchen, das etwas näher zu beleuchten. Seien wir mal ehrlich: Die meisten Menschen haben in ihrem normalen Alltag nicht die Zeit, sich intensiv damit zu beschäftigen. Und das machen sich Leute wie Cheney zunutze, um Macht zu gewinnen.
Wie ein Goldfisch in der Glaskugel
Für Ihre Rolle als Cheney sind Sie nun für den Oscar nominiert. Sind Sie schon nervös?
Das könnte an dem Abend der Oscar-Verleihung passieren; es ist ja keine normale Situation, an die man sich gewöhnen könnte. Du sitzt im Saal und weißt, dass die Kameras jederzeit dein Gesicht einfangen können. Du versuchst, dir nichts anmerken zu lassen, aber letztlich fühlst du dich doch wie ein Goldfisch in der Glaskugel.
Doch ich mag es nicht, die Oscar-Verleihung als Wettbewerb zu betrachten; alle, die dort sitzen, wollen gute Filme machen und treffen damit auf verschiedene Geschmäcker. Insofern bin ich einfach nur dankbar, dort zu sein und dafür Anerkennung zu bekommen. Für mich wird damit der Film selbst gefeiert, und das ist für mich das Schöne an der Sache.