Adam McKay

Vice – Der zweite Mann

Stellvertreter Dick Cheney (Christian Bale) bespricht sich im Oval Office mit US-Präsident George W. Bush (Sam Rockwell). Foto: Universum Film
(Kinostart: 21.2.) Wie die USA wurden, was sie sind: Sein Biopic über Dick Cheney, Vizepräsident von George W. Bush, erweitert Regisseur Adam McKay zur epischen Zeitgeschichts-Tragikomödie – voller Widersprüche, Überraschungen und messerscharfer Pointen.

„Vice“ bedeutet auf Englisch „Vize“, also Stellvertreter, aber auch „Laster“. So ausgetüftelt wie dieses Titel-Wortspiel ist der gesamte Film von Regisseur Adam McKay über Richard Bruce „Dick“ Cheney. Er war von 2001 bis 2009 US-Vizepräsident unter Staatschef George W. Bush. Eigentlich über ihm: Der Film lässt keinen Zweifel daran, dass Cheney das unbedarfte Leichtgewicht Bush in die Tasche steckte.

 

Info

 

Vice - Der zweite Mann

 

Regie: Adam McKay

132 Min., USA 2018;

mit: Christian Bale, Amy Adams, Steve Carell

 

Website zum Film

 

Wie wird der wohl mächtigste US-Vizepräsident porträtiert, den es je gab? Ganz konventionell: mit einer linearen Filmbiographie vom aufstrebenden Talent bis zum Gipfel seiner Laufbahn. Und zugleich mit einem aberwitzigen Konglomerat aus zahllosen Einsprengseln, Abschweifungen und Kurzkommentaren, die gegen alle üblichen Drehbuchregeln verstoßen.

 

Film-Geniestreich über Finanzkrise

 

Auf diese Weise gelang es McKay schon vor vier Jahren, die verästelten Ursachen der Weltfinanzkrise von 2007/8 in einen einzigen Film zu packen: Für seinen Geniestreich „The Big Short“ erhielt er den Drehbuch-Oscar. Dasselbe Patchwork-Verfahren wendet der Regisseur nun auf ein Politikerleben an – und gleichzeitig auf die Geschichte der Vereinigten Staaten seit den 1970er Jahren.

Offizieller Filmtrailer


 

Polit-Profi im zweiten Anlauf

 

Der 1941 geborene Cheney (Christian Bale) wächst als Sohn eines Regierungs-Angestellten in Wyoming auf, dem nach Alaska am dünnsten besiedelten US-Bundesstaat. Sein erstes Politikstudium bricht er ab; wegen Trunkenheit am Steuer wird er kurzzeitig inhaftiert. Erst im zweiten Anlauf gelingen ihm Studium und der Sprung nach Washington: Er wird 1969 Assistent des Kongressabgeordneten Donald Rumsfeld (Steve Carrell), der bald darauf in die Administration von US-Präsident Richard Nixon einsteigt.

 

Nixons Nachfolger Gerald Ford befördert Rumsfeld 1975 zum Verteidigungsminister. In seinem Schlepptau kommt auch Cheney voran: Er arbeitet als jüngster Stabschef aller Zeiten im Weißen Haus. Nachdem Ford 1976 von Jimmy Carter abgelöst wird, bewirbt sich Cheney erfolgreich um einen Sitz im Repräsentantenhaus, den er bis 1989 behält. US-Präsident George Bush sr. ernennt ihn zum Verteidigungsminister. 1995 wechselt Cheney an die Spitze des Halliburton-Konzerns. Diesem Dienstleister der Erdölindustrie hat er zuvor milliardenschwere Regierungsaufträge zugeschanzt; daran knüpft er ab 2001 als Vizepräsident bedenkenlos an.

 

Unfassbar überzeugender Christian Bale

 

Die glänzende, aber auch stromlinienförmige Karriere eines Top-Bürokraten, der sich seine Insider-Kontakte in der Wirtschaft vergolden lässt: Während der Film diese Stationen abklappert, beobachtet er, wie sie den Aufsteiger verändern – und derweil ganz Amerika. Zu Beginn ist Cheney ein beflissen rustikaler Provinzler; bei seinem Hobby Fliegenfischen übt er sich in geduldigem Abwarten. Im Lauf der Jahre legt er stetig an Gewicht zu, wird dabei selbstbewusster und einsilbiger: Nun reichen ihm wenige Worte mit schiefem Lächeln, um die Dinge in seinem Sinn zu deichseln.

 

In dieser Rolle mutiert Christian Bale geradezu; der drahtig-expressive Hollywood-Star verkörpert unfassbar überzeugend diesen maulfaul massigen Hünen. Kongenial auch Amy Adams als seine Ehefrau Lynne; die Lebensweisheit, hinter jedem erfolgreichen Mann stehe eine starke Frau, spielt sie in allen Varianten aus. Stammelt er bei Wahlkampfauftritten, hilft sie ihm ebenso aus der Patsche wie auf dem glatten Parkett von Hauptstadt-Empfängen.

 

Schlüsselereignisse ändern Meinungsklima

 

Dagegen gibt Steve Carrell seinen Donald Rumsfeld als nahezu tragische Figur: Zuerst flegelt der schicke Exzentriker zynisch herum, flucht, provoziert jeden – und kommt damit blendend durch. Später wird ihn sein Zögling Cheney überflügeln und aus dem Amt befördern, was Sam Rockwell als George W. so begriffsstutzig geschehen lässt wie alles andere auch.

 

Wie konnte diese zweifelhafte Führungsriege ihre Nation nach 2001 für zwei wenig aussichtsreiche Kriege mobilisieren? Dazu erinnert der Film an Schlüsselereignisse, die das Meinungsklima dauerhaft änderten: etwa die Gründung konservativer Denkfabriken, die ab den 1970er Jahren finanz- und personalstark die Politik beeinflussten. Oder neue Mediengesetze; sie erlaubten dem TV-Sender „Fox News“, ab 1996 hemmungslos einseitig und polemisch über politische Gegner herzuziehen.

 

Die Banalität des Epochalen

 

Mit allen Mitteln: Regisseur McKay hat als Gag-Schreiber der TV-Show „Saturday Night Live“ angefangen. Dort trainierte er zwölf Jahre lang, jedes Thema überraschend zuzuspitzen. Genauso knöpft er sich Zeitgeschichte vor: Er lässt einen Mann von der Straße als Zwischenrufer launische Sprüche klopfen. Oder die Strippenzieher im Weißen Haus durch Brettspiel-Figuren veranschaulichen, wie sie mit ihren Netzwerken Widersacher einkreisen und ausschalten.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier ein Interview mit Christian Bale über "Vice - Der zweite Mann"

 

und hier eine Besprechung des Films "The Big Short" – bestechende Analyse der Finanzkrise 2007/8 von Adam McKay mit Christian Bale und Steve Carell

 

und hier einen Bericht über den Film "Die Verlegerin" - packender Polit-Thriller über die Vietnamkrieg-Affäre 1971 von Steven Spielberg mit Meryl Streep

 

und hier einen Beitrag über den Film "Spotlight" - exzellenter Polit- + Medien-Thriller von Tom McCarthy, prämiert mit dem Oscar als bester Film 2016

 

und hier eine Besprechung des Films "The Ides of March – Tage des Verrats" – brillanter Polit-Thriller über den US-Präsidentschafts-Wahlkampf von + mit George Clooney.

 

Er lässt die Irakkrieg-Verantwortlichen in einem Restaurant tafeln, das mit Gemälden des französischen Klassizisten Nicolas Poussin über Folter und Hinrichtung dekoriert ist. Oder Dick und Lynne Cheney im Ehebett plötzlich Shakespeare-Dialoge rezitieren. McKay zeigt auch die Banalität des Epochalen: Seine Entscheidung für den Vizepräsidenten-Job trifft Cheney beim Zähneputzen – samt Gurgeln mit Mundspülung in Echtzeit.

 

Herz der Macht als Blutbündel

 

Womit diese Film-Collage geschmeidig Politik und Privates miteinander verbindet – und seine Hauptfigur nicht als Monster denunziert. Cheney ist nicht nur ein skrupelloser Machtmensch, der in endlosen Bürositzungen so lange manipuliert, bis er seine Gegner ausmanövriert hat. Sondern auch verantwortungsvoller Familienvater mit toleranten Zügen; etwa gegenüber seiner lesbischen Tochter Mary, die 2012 ihre langjährige Partnerin heiratete.

 

An solchen Gegensätzen trug sein Herz schwer; nach mehreren Infarkten unterzog sich Cheney 2010 einer Transplantation. Selbst das präsentiert der Regisseur schonungslos naturalistisch: der Ex-Vizepräsident als lebloser Fleischberg im OP-Saal, daneben das Herz der Macht als aufgedunsenes Blutbündel. Wirklichkeit in all ihren unappetitlichen Widersprüchen.

 

Lieber Autorennen gucken

 

Doch die galligste Pointe hebt sich McKay als Comedy-Profi für den Schluss auf. In einer Art Testzuschauer-Gruppe – die einer Therapiesitzung ähnelt – geraten sich ein Anhänger der Republikaner und einer der Demokraten in die Haare; der Trump-Wähler schlägt zu. Ungerührt dreht sich eine junge Frau zur Kamera und sagt: „Ich möchte so gern den neuen ‚Fast & Furious‘-Actionfilm sehen; der soll klasse sein!“ Das ist das Problem.