Matthew McConaughey

Beach Bum

Moondog (Matthew McConaughey) und Lingerie (Snoop Dogg) sind Freunde. Foto: © 2019 Constantin Film Verleih GmbH
(Kinostart: 28.3.) Bukowski gekreuzt mit Brian Wilson: Trash-Spezialist Harmony Korine konstruiert einen hedonistischen Pseudopoeten, den selbst der Unfalltod seiner Frau nicht schert, solange er genug Drogen und Sex hat – in einer knallbunt sinnfreien Groteske.

Der Drogenpoet Moondog als Hauptfigur von Harmony Korines neuem Film „Beach Bum“ ist ein Witz. Er zieht mit Bierdosen bewaffnet wie ein Penner durch die Florida Keys, ist mit einer Multimillionärin verheiratet und hat ansonsten weder eine Herkunft, noch macht er eine Entwicklung durch. Es gibt kein Gestern und kein Morgen. Moondog ist keine Figur, sondern ein Zustand – ein euphorisch benebelter Zustand.

 

Info

 

Beach Bum

 

Regie: Harmony Korine,

95 Min., USA/ Frankreich/ Großbritannien 2019;

mit: Matthew McConaughey, Isla Fisher, Snoop Dogg

 

Weitere Informationen

 

Mit dem blinden, 1999 in Münster gestorbenen US-Musiker Moondog, der bis Anfang der 1970er Jahre seine Kompositionen an einer Straßenkreuzung in Manhattan vortrug, hat Korines Protagonist nichts zu tun. Matthew McConaughey spielt ihn als lookalike des Wrestlers „Hulk Hogan“ in Hawaii-Hemden, dem die Sonne Floridas aus den Augen, den Nasenlöchern und sämtlichen weiteren Körperöffnungen scheint.

 

Simplicissimus in Strandbar

 

Moondog ist eine Figur wie aus einem Schelmenroman. Ein Simplicius Simplicissimus in Miami Beach. Ein Taugenichts, der von einer Luxusjacht zur nächsten Strandbar zieht, Land und Leute durch seine Klappsonnenbrille bestaunt, ab und zu zwei Sätze in seine Reiseschreibmaschine hackt und dem kein Ungemach etwas anhaben kann. Nur gibt es rund um diese Figur zwar eine Abfolge opulent komponierter, manchmal auch vielsagender Bilder, aber keine Geschichte.

Offizieller Filmtrailer


 

Gattin zu Steeldrum-Klängen beerdigen

 

Handlung, Figurenzeichnung oder Konflikte hält Korine offensichtlich für überbewertete Taschenspielertricks aus dem Drehbuch-Einmaleins. Das braucht er alles nicht. Er führt im Gegenteil vor, wie er jeden Anlass für Zäsuren und Wendepunkte im Film genüsslich auslässt, etwa beim Frontalunfall eines Sportwagens. Korine kündigt den Zusammenstoß deutlich an, aber er zeigt ihn nicht. Er spielt auch keinen Crash-Krach aus dem Off ein, sondern schneidet direkt zum EKG-Piepsen im Krankenwagen.

 

Moondogs Ehefrau Minnie (Isla Fisher) stirbt an den Folgen des Unfalls. Er schaut dabei zu, wie man nach der ersten Wasserpfeife auf eine fette Marihuanablüte starrt: Wow, krass! Schon schade drum, aber in der Logik dieses Films vor allem eine perfekte Gelegenheit, um bei der Beerdigung Steeldrums aufzufahren und sanft im Sonnenschein klöppeln zu lassen.

 

Sonnenuntergänge wie bei Instagram

 

Dass Moondog seinen 15-Millionen-Dollar-Anteil am Erbe erst bekommt, wenn er sein nächstes Meisterwerk von Lyrikband veröffentlicht hat, wird zwar als Umschlagpunkt hervorgehoben, ist aber für den weiteren Verlauf kaum relevant. Im Zentrum stehen weiterhin rauschhafte visuelle Eindrücke. Fantastische Farbverläufe in Gelb und Lila oder Sonnenuntergänge am Meereshorizont, wie sie sonst nur die besten Instagram-Accounts bieten.

 

Dieser Kult der Äußerlichkeiten hat natürlich Methode. Harmony Korine wurde mit nur 22 Jahren als Drehbuchautor des Films „Kids“ auf einen Schlag bekannt; Regisseur Larry Clark zeigte New Yorker Jugendkultur 1995 als wüste Mischung aus Partys, Drogen und ungeschütztem Sex mit HIV-Risiko.

 

Blowjob mit der eigenen Knarre

 

Danach profilierte sich Korine als unkonventioneller Beobachter des American Way of Life, vor allem der abgründigen Seiten schöner Oberflächen, die er in seinen Filmen meist perfekt inszenierte. In „Spring Breakers“ ließ er 2013 drei unbedarfte College-Girls, angeführt von Selena Gomez, auf hysterischen Hedonismus und Gewaltverherrlichung in der heutigen US-Kultur treffen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Spring Breakers" - trashige College-Komödien-Parodie von Harmony Korine

 

und hier eine Besprechung des Films "The Disaster Artist" - schräges Making-Of eines Kult-Trashfilms von + mit James Franco

 

und hier einen Beitrag über den Film "Rum Diary" über den Gonzo-Journalisten Hunter S. Thompson von Bruce Robinson mit Johnny Depp

 

und hier einen Bericht über die Doku "William S. Burroughs: A Man Within" über den Prototyp aller schriftstellernden Freaks von Yony Leyser.

 

Das blieb bestenfalls ambivalent, warf aber ein paar durchgeknallt absurde Szenen für die Ewigkeit ab; etwa wenn James Franco als Gangsterboss zum Blowjob an seiner eigenen Knarre gezwungen wurde. Auf Spielfilmlänge gestreckt, wirkten die knallbunten Strandorgien-Dauerexzesse jedoch existenziell trist.

 

Vernebelte Fundamentalkritik

 

Das Äquivalent dazu in „Beach Bum“ ist nun eine Cunnilingus-Pediküre beinahe am Anfang des Films. Bald darauf stellt sich die Erkenntnis ein, dass in dieser farbenfrohen Dauerdruffie-Welt fast nichts von Belang entsteht außer ein paar Kalendersprüchen von Moondog und dem nächsten Joint. Man könnte darüber spekulieren, ob Regisseur Korine mit seiner radikalen Verweigerung von Zusammenhängen oder gar Sinn auf einen Geburtsfehler der Vereinigten Staaten verweisen will – und darüber hinaus der westlichen Zivilisation insgesamt.

 

Wenn jedermanns Recht auf „pursuit of happiness“ („Streben nach Glück“) aus der US-Unabhängigkeitserklärung von 1776 zu einer Gesellschaft von Radikalindividualisten führt, für deren Glücksjagd es bedeutungslos ist, ob die Liebsten vor den eigenen Augen abkratzen.

 

Je mehr Korine sich darum bemüht, solche Interpretationen mit Gras-Rauch zu vernebeln, desto stärker ist man versucht, derartige Fundamentalkritik aus dem Film herauszulesen. Aber das muss nicht sein – und täte ihm wohl zuviel Ehre an. Besser folgt man Moondogs Beispiel: Sonnenuntergänge bestaunen und Dichter werden.