
Zwei Jahre nach seinem überraschenden Oscar für „Moonlight“ als besten Film thematisiert Barry Jenkins in „Beale Street“ erneut die afroamerikanische Gegenwart – auch wenn sein Film in den 1970er Jahren spielt. Nach dem Roman „If Beale Street Could Talk“ (1974) von James Baldwin erzählt Jenkins in farbsatten Bildern von einer zarten ersten Liebe und der Ungerechtigkeit des US-Justizsystems.
Info
Beale Street
(If Beale Street Could Talk)
Regie: Barry Jenkins,
119 Min., USA 2018;
mit: KiKi Layne, Stephan James, Colman Domingo
Schwangere Braut bringt Unglück
Doch dieses Alibi ist nichts wert; nur seine Freundin kann es bestätigen, die als befangen gilt. Daniel wiederum ist gerade erst selbst aus der Haft entlassen worden und befindet sich nur auf Bewährung in Freiheit; daher kann ihn ein weißer Staatsanwalt leicht unter Druck setzen. Zu allem Überfluss teilt Tish ihren Eltern Sharon (Regina King) und Joseph (Colman Domingo) auch noch mit, dass sie schwanger ist. Während ihre Eltern voller Vorfreude auf die Aussicht auf Familienzuwachs reagieren, ist Alonzos Mutter weniger begeistert: Sie habe schon immer gewusst, dass Tish für ihren Sohn nur Unglück bringen werde.
Offizieller Filmtrailer
Jeder US-Schwarze kennt Beale Street
In seiner Romanvorlage machte James Baldwin (1924-1987) eine fiktive Straße im New Yorker Stadtteil Harlem zum symbolischen Schauplatz von afroamerikanischer Geschichte und Gegenwart. Jeder in den USA geborene Schwarze, schrieb Baldwin, kenne Beale Street; eigentlich sei jeder Schwarze dort geboren: Weil jeder Schwarze seine Erfahrungen mit Rassismus und Polizeiwillkür gemacht habe, mit Vorurteilen und eigenen Versuchen, in einem von weißen Institutionen geprägten Land zu (über-)leben.
Wie das Buch ist auch der Film zwar Anfang der 1970er Jahre angesiedelt ist, was man an den markanten Straßenkreuzern, Schlaghosen und Synthetik-Pullovern erkennt; doch er könnte ebenso gut in der Jetztzeit spielen. Baldwins Romane und Essays sind immer noch von trauriger Aktualität. Wie wenig sich an der Lage der Farbigen in den Vereinigten Staaten im letzten halben Jahrhundert geändert hat, ist auch das Thema von Raoul Pecks Essayfilm „I am not your Negro“ von 2017, der gleichfalls auf einem Text von James Baldwin basiert.
Zeitlos schwarz-weiße Doku-Fotos
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Moonlight" - Coming-of-Age-Drama eines schwarzen Ghetto-Kid von Barry Jenkins, Oscar für den besten Film 2017
und hier einen Beitrag über den Film "Loving" – subtiles Dokudrama über ein schwarz-weißes Ehepaar während der Rassendiskriminierung der 1950/60er Jahre von Jeff Nichols
und hier einen Beitrag über den Film "Nächster Halt: Fruitvale Station“ – Doku-Drama über die Erschießung eines US-Schwarzen von Ryan Coogler
und hier eine Besprechung des Films "The Black Power Mixtape 1967 – 1975" - brillante Doku über die US-Bürgerrechtsbewegung von Göran Hugo Olsson.
Die massenhafte Inhaftierung von Schwarzen – sie stellen nur etwa 13 Prozent der US-Bevölkerung, aber etwa die Hälfte aller Gefängnisinsassen – die sich keinen professionellen Rechtsbeistand leisten können, ist weiterhin eines der größten sozialen Probleme Amerikas. Das hat Konsequenzen auch außerhalb der Knäste: Kinder, die ohne Vater aufwachsen, und Mütter, die oft mehrere schlecht bezahlte Jobs annehmen müssen, um ihren Nachwuchs durchzubringen. Ihre vernachlässigten Kinder geraten leicht auf die schiefe Bahn.
Kitsch-Märchen als nötige Illusion
Solcherart verfestigte Diskriminierung lässt sich kaum durchbrechen. Doch so harsch und düster will Jenkins die Realität nicht zeigen. Im Gegenteil: Er taucht seine Figuren in warmes Licht mit Weichzeichner und beschreibt in lyrischen Rückblenden die idealisierte Liebe zweier Heranwachsender, die alle Hindernisse überstehen wird.
Man mag das als kitschiges Märchen kritisieren; als Illusion, die die Realität aus Gefängnis, Rassismus und allein erziehenden Müttern ignoriert. Vielleicht ist aber eine derartige Illusion notwendig, um der ungerechten Wirklichkeit zumindest auf der Leinwand eine mögliche Alternative entgegen zu setzen und eine bessere Welt zu beschwören.