Barry Jenkins

Beale Street

Fonny (Stephan James) und Tish (KiKi Layne) beim Tanzen. Foto: ©Tatum Mangus Annapurna Pictures DCM
(Kinostart: 7.3.) Unschuldig hinter Gittern: Ein junger US-Schwarzer wird inhaftiert, das Alibi seiner Freundin gilt nichts. Regisseur Barry Jenkins verfilmt James Baldwins Roman von 1974 mit farbsatten Bildern als Retro-Orgie gegen Diskriminierung – nur die Liebe zählt.

Zwei Jahre nach seinem überraschenden Oscar für „Moonlight“ als besten Film thematisiert Barry Jenkins in „Beale Street“ erneut die afroamerikanische Gegenwart – auch wenn sein Film in den 1970er Jahren spielt. Nach dem Roman „If Beale Street Could Talk“ (1974) von James Baldwin erzählt Jenkins in farbsatten Bildern von einer zarten ersten Liebe und der Ungerechtigkeit des US-Justizsystems.

 

Info

 

Beale Street
(If Beale Street Could Talk)

 

Regie: Barry Jenkins,

119 Min., USA 2018;

mit: KiKi Layne, Stephan James, Colman Domingo

 

Website zum Film

 

Tish (Kiki Layne) und Alonzo (Stephan James) sind ein Traumpaar: jung, ein wenig naiv, voller Hoffnung und Liebe. Doch sie können sich nur noch durch eine Glasscheibe ansehen, denn Alonzo sitzt im Gefängnis: Er ist angeklagt, eine Puerto Ricanerin vergewaltigt zu haben. Niemand, der ihn kennt, glaubt an seine Schuld, zumal er ein wasserfestes Alibi vorzuweisen hat. Am Abend der Tat war er mit Tish und seinem alten Kumpel zu Hause.

 

Schwangere Braut bringt Unglück

 

Doch dieses Alibi ist nichts wert; nur seine Freundin kann es bestätigen, die als befangen gilt. Daniel wiederum ist gerade erst selbst aus der Haft entlassen worden und befindet sich nur auf Bewährung in Freiheit; daher kann ihn ein weißer Staatsanwalt leicht unter Druck setzen. Zu allem Überfluss teilt Tish ihren Eltern Sharon (Regina King) und Joseph (Colman Domingo) auch noch mit, dass sie schwanger ist. Während ihre Eltern voller Vorfreude auf die Aussicht auf Familienzuwachs reagieren, ist Alonzos Mutter weniger begeistert: Sie habe schon immer gewusst, dass Tish für ihren Sohn nur Unglück bringen werde.

Offizieller Filmtrailer


 

Jeder US-Schwarze kennt Beale Street

 

In seiner Romanvorlage machte James Baldwin (1924-1987) eine fiktive Straße im New Yorker Stadtteil Harlem zum symbolischen Schauplatz von afroamerikanischer Geschichte und Gegenwart. Jeder in den USA geborene Schwarze, schrieb Baldwin, kenne Beale Street; eigentlich sei jeder Schwarze dort geboren: Weil jeder Schwarze seine Erfahrungen mit Rassismus und Polizeiwillkür gemacht habe, mit Vorurteilen und eigenen Versuchen, in einem von weißen Institutionen geprägten Land zu (über-)leben.

 

Wie das Buch ist auch der Film zwar Anfang der 1970er Jahre angesiedelt ist, was man an den markanten Straßenkreuzern, Schlaghosen und Synthetik-Pullovern erkennt; doch er könnte ebenso gut in der Jetztzeit spielen. Baldwins Romane und Essays sind immer noch von trauriger Aktualität. Wie wenig sich an der Lage der Farbigen in den Vereinigten Staaten im letzten halben Jahrhundert geändert hat, ist auch das Thema von Raoul Pecks Essayfilm „I am not your Negro“ von 2017, der gleichfalls auf einem Text von James Baldwin basiert.

 

Zeitlos schwarz-weiße Doku-Fotos

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Moonlight" - Coming-of-Age-Drama eines schwarzen Ghetto-Kid von Barry Jenkins, Oscar für den besten Film 2017

 

und hier einen Beitrag über den Film "Loving" – subtiles Dokudrama über ein schwarz-weißes Ehepaar während der Rassendiskriminierung der 1950/60er Jahre von Jeff Nichols

 

und hier einen Beitrag über den Film "Nächster Halt: Fruitvale Station“ – Doku-Drama über die Erschießung eines US-Schwarzen von Ryan Coogler

 

und hier eine Besprechung des Films "The Black Power Mixtape 1967 – 1975" - brillante Doku über die US-Bürgerrechtsbewegung von Göran Hugo Olsson.

 

Ähnlich geht auch Regisseur Jenkins vor: Farben und Kostüme verorten seinen Film in den 1970ern, doch gleichzeitig ist seine Inszenierung bewusst zeitlos gehalten. Immer wieder werden schwarzweiße Fotografien eingeblendet, die Polizeibarrikaden zeigen, Demonstrationen oder Verhaftungen. Solche dokumentarischen Aufnahmen sind keiner Ära genau zuzuordnen und schlagen dadurch einen Bogen vom Damals zum Heute.

 

Die massenhafte Inhaftierung von Schwarzen – sie stellen nur etwa 13 Prozent der US-Bevölkerung, aber etwa die Hälfte aller Gefängnisinsassen – die sich keinen professionellen Rechtsbeistand leisten können, ist weiterhin eines der größten sozialen Probleme Amerikas. Das hat Konsequenzen auch außerhalb der Knäste: Kinder, die ohne Vater aufwachsen, und Mütter, die oft mehrere schlecht bezahlte Jobs annehmen müssen, um ihren Nachwuchs durchzubringen. Ihre vernachlässigten Kinder geraten leicht auf die schiefe Bahn.

 

Kitsch-Märchen als nötige Illusion

 

Solcherart verfestigte Diskriminierung lässt sich kaum durchbrechen. Doch so harsch und düster will Jenkins die Realität nicht zeigen. Im Gegenteil: Er taucht seine Figuren in warmes Licht mit Weichzeichner und beschreibt in lyrischen Rückblenden die idealisierte Liebe zweier Heranwachsender, die alle Hindernisse überstehen wird.

 

Man mag das als kitschiges Märchen kritisieren; als Illusion, die die Realität aus Gefängnis, Rassismus und allein erziehenden Müttern ignoriert. Vielleicht ist aber eine derartige Illusion notwendig, um der ungerechten Wirklichkeit zumindest auf der Leinwand eine mögliche Alternative entgegen zu setzen und eine bessere Welt zu beschwören.