
Jacek (Mateusz Kosciukiewicz) will eigentlich dringend weg aus der provinziellen polnischen Kleinstadt, in der er aufgewachsen ist. Schließlich gerät man hier schon unter Satanismus-Verdacht, wenn man Heavy Metal hört, wie er das tut. Leider fehlt ihm genug Geld für ein neues Leben; deswegen gestattet er sich kleine Fluchten und träumt davon, irgendwann nach London auszuwandern.
Info
Die Maske (Twarz)
Regie: Małgorzata Szumowska,
91 Min., Polen 2018;
mit: Mateusz Kościukiewicz, Agnieszka Podsiadlik, Małgorzata Gorol
36 Meter hoher Erlöser
Obwohl Jacek mit dem allgegenwärtigen Katholizismus in Polen nichts am Hut hat, arbeitet er mit an einem megalomanen Projekt, mit dem seine Heimatstadt Świebodzin international punkten will: einer 36 Meter hohen Christus-König-Statue. Sie wurde 2010 tatsächlich errichtet und übertrifft die Cristo-Redentor-Statue in Rio de Janeiro um sechs Meter; damit ist sie die höchste der Welt.
Offizieller Filmtrailer
Erste Gesichtstransplantation in Polen
Auf der Baustelle kommt es zu einem folgenschweren Unfall. Jacek fällt vom Gerüst in das Innere der Statue und verletzt sich so dabei schwer, dass er als erster Patient in Polen eine Gesichtstransplantation erhält. Die ist zumindest so erfolgreich, dass er trotz seiner fürchterlichen Verletzungen weiterlebt – und zur Mediensensation wird. Allerdings ist vom alten Jacek zumindest äußerlich wenig übrig; außerdem kann er sich nicht mehr richtig artikulieren.
Seine bigotten Mitmenschen freuen sich jedoch über die landesweite Aufmerksamkeit, die dank des berühmten Patienten auch ihrer Gemeinde und dem monströses Monument zuteil wird. Zugleich zementieren die Unfallfolgen seinen Status eines Freaks – den Jacek aber eigentlich schon immer hatte.
Oberflächlichkeit in allen Facetten
Auch seine Familie bietet wenig Rückhalt. Seine Mutter bestellt für Jacek einen Exorzismus-Ritus beim Dorfpfarrer, der schön schräg in Szene gesetzt wird. Freundin Dagmara wendet sich ab und sucht sich einen anderen Mann fürs Leben. Und leider interessiert sich auch Regisseurin Małgorzata Szumowska nicht mehr wirklich für ihre Hauptfigur.
Das ist für den Film ein herber Verlust. Von Jaceks Innenleben nach dem Unfall erfährt man wenig – abgesehen von seinen hilflosen Versuchen, seine Freundin zurückzubekommen. Die Regisseurin benutzt ihn fortan vor allem als Vehikel, um die Abgründe der polnischen Gesellschaft auszuleuchten: ihre heuchlerische Religiosität, aber auch ihre Konsumgier. Kurzum: Sie arbeitet sich an Oberflächlichkeit in allen Facetten ab.
Schnäppchenjagd in Unterwäsche
Das deutet bereits die Anfangsszene an – obwohl sie mit der übrigen Handlung nichts zu tun hat. Man blickt durch eine Scheibe auf morgendlich verquollene Gesichter. Was zunächst aussieht wie eine überfüllte Straßenbahn, entpuppt sich als Rangelei um die besten Plätze bei einer Schnäppchenjagd.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Im Namen des ..." - beeindruckendes Drama über schwule polnische Priester von Małgorzata Szumowska
und hier einen Beitrag über den Film "Das bessere Leben – Elles" - oberflächlicher Report über Studentinnen-Prostitution von Małgorzata Szumowska
und hier einen Bericht über den Film "Die Spur (Pokot)" - originell-kühner Tierschutz-Thriller aus Polen von Agnieszka Holland, Silberner Bär 2017.
Wie in Modelleisenbahn-Landschaft
Eindrucksvoll ist auch die Kameraarbeit: Oft erscheint nur ein Bereich des Bildes scharf, der Rest dagegen verschwommen. Diese Verfremdung erinnert an den so genannten Tilt-Shift-Effekt in der Fotografie; sie nimmt den Figuren ihre Dreidimensionalität, im konkreten wie im übertragenen Sinn. Dadurch wirkt die Szenerie häufig wie eine ferngesteuerte Modelleisenbahn-Landschaft.
Mit dem Bau der Christus-Statue und der ersten Gesichtstransplantation in einer Klinik in Gliwice verbindet die Regisseurin zwei reale, aber voneinander völlig unabhängige Ereignisse zu einer beißenden Satire im Gewand eines Dramas: über Außenseitertum unter Hinterwäldlern in der polnischen Provinz. Subtil ist das selten, und zuweilen etwas diffus. Doch manche mit anarchischem Humor inszenierte Szenen treffen derart auf den Punkt, dass man sie nicht so schnell vergisst. Dafür erhielt der Film auf der Berlinale 2018 den Großen Preis der Jury.