Berlin

Mantegna und Bellini – Meister der Renaissance

Andrea Mantegna: Der Heiliger Sebastian (Detail), ca. 1459-60, Pappelholz, 68 x 30 cm, © Kunsthistorisches Museum Wien. Fotoquelle: SMB
Reine Familiensache: Die berühmten Renaissance-Künstler Andrea Mantegna und Giovanni Bellini waren Schwäger, wurde aber noch nie gemeinsam ausgestellt. Nun lädt die Gemäldegalerie zum Vergleich – zwischen überscharfer Präzision und elegischem Schmelz.

Zwei Rivalen greifen zum Pinsel – dass sie miteinander verschwägert sind, mindert nicht ihren Ehrgeiz, sich zu messen. Mit Madonnenbildern, Porträts oder den vertrackten, neuen Sujets aus der antiken Mythologie? Mal hat Andrea Mantegna (1431-1506) die Nase vorn, mal Giovanni Bellini (1435-1516). Wem der Siegerkranz zusteht, darüber lässt sich trefflich debattieren.

 

Info

 

Mantegna und Bellini - Meister der Renaissance

 

01.03.2019 - 30.06.2019

tägich außer montags

10 bis 18 Uhr,

donnerstags bis 20 Uhr

in der Gemäldegalerie, Kulturforum, Matthäikirchplatz, Berlin

 

Katalog 39,90 €

 

Weitere Informationen

 

Das Gipfeltreffen der beiden Renaissance-Meister in der Berliner Gemäldegalerie ist ein Fest für alle Altmeister-Fans und solche, die es werden wollen. Mit kostbaren Leihgaben kitzelt die zuvor in der Londoner National Gallery gezeigte Schau die Lust zum vergleichenden Sehen hervor. Das schult den Blick und ist zugleich purer Genuss.

 

Glanzvolle Halbdunkel-Inszenierung

 

Am besten geht man zu zweit in diese Ausstellung von zwei Malern, die ihre Exponate glanzvoll auf farbigen Wänden in schimmerndem Halbdunkel inszeniert. Das atmosphärisch Weiche, Elegische des Venezianers Bellini sagt vielleicht nicht jedem zu. Aber wirkt die kristalline Härte und intellektuelle Spannkraft des fast gleichaltrigen Mantegna nicht oft übermotiviert? Das Streitgespräch ist eröffnet.

Interview mit SMB-Generaldirektor Michael Eissenhauer + Impressionen der Ausstellung


 

Konkurrenz + wechselseitige Inspiration

 

Seit mehr als 170 Jahren hat das „Bildnis des Dogen Leonardo Loredan“ von 1501/2 seinen angestammten Platz in der National Gallery nicht mehr verlassen. Jetzt gastiert Bellinis Meisterstück, eines der Renaissance-Porträts mit der stärksten Aura, in der Gemäldegalerie. Seite an Seite mit Mantegnas knallhartem Machtmenschen-Antlitz des „Kardinal Ludovico Trevisan“ (1459/60), der hier seit langem zu Hause ist.

 

Für die empfindlichen Originale sind solche Reisen heikel; doch der Direktvergleich fasziniert. Bellini überzeugt mit subtilem Fotorealismus, während sein Schwager den Kleriker wie aus Stein meißelte. Was für Charaktere die beiden Maler selbst waren, verraten die überlieferten Quellen nicht. Aber ihre Werke erzählen von künstlerischem Austausch, Konkurrenz und Können, von Eigensinn und wechselseitiger Inspiration.

 

Mantegna heiratet Bellini-Schwester

 

Der Künstler-Clan der Bellinis war in Venedig bereits seit einer Generation fest etabliert, als der 17-jährige Tischlersohn Andrea Mantegna im 40 Kilometer entfernten Padua seinen Lehrer Francesco Squarcione mit Erfindungsgeist und Maltalent überflügelte. Eine frühreife Talentprobe von 1448 in Eitempera auf Leinwand zeigt den „Heiligen Markus“ als wachen, visionären Geist. An der Perspektivdarstellung hapert es zwar noch, aber der Innovationswille ist unverkennbar. Da kann nebenan die altbackene Madonna im Profil seines Lehrmeister nicht mithalten.

 

Mantegna und Bellini begegnen sich von Anfang auf Augenhöhe. Bei der „Darbringung Christi im Tempel“ legte Mantegna 1453 vor: Im engen Ausschnitt rückt er die Madonna mit ihrem straff gewickelten Jesussäugling und den Heiligen nah heran, was auch emotional berührt. Als Randfiguren schieben sich im Hintergrund Mantegna und seine frisch angetraute Frau Nicolosia auf beiden Seiten mit ins Bild.

 

Altar von Jacopo, Giovanni + Gentile

 

Die Heirat mit Bellinis Schwester sicherte dem Newcomer die Verbindung zur erfolgreichen Maler-Dynastie. 20 Jahre später pauste Schwager Giovanni genau diese Madonnenfigur konturscharf eins zu eins ab. Aber er war kein Kopist, sondern suchte den Wettstreit: In seinem Gemälde geht das Licht an, die Farben leuchten satter. Rechts außen späht nun ein dunkel gelockter Kerl aus den Augenwinkeln den Betrachter an. Das muss Bellini selbst sein, oder?

 

Kunsthistoriker sind vorsichtig. Zu wenig weiß man über den Künstler, der vielleicht unehelich geboren, aber von seinem Vater Jacopo (1400-1470) voll akzeptiert worden war. Jedenfalls teilte sich Giovanni mit seinem ebenfalls hochbegabten Bruder Gentile (1429-1507) die Leitung der Bellini-Werkstatt. Alle drei signierten gemeinsam ein Altarwerk in Padua, von dem Predella-Tafeln voller kleiner Figuren ausgestellt sind.

 

Zwei Mal Heiliger Hieronymus

 

Oft aber schrieben die Künstler des 15. Jahrhunderts ihren Namen gar nicht ins Bild. So debattieren daher Fachleute seit Generationen über Zuschreibungen, wer was schuf – die so genannte Händescheidung. Wer etwa zeichnete den Einsiedler Hieronymus mit seinem handzahmen Löwen?

 

Daneben hängen zwei gemalte Fassungen; eine ist von Bellini, eine von Mantegna, beide um 1480 entstanden. Schon daran zeigt sich ihr unterschiedlicher Charakter: Bellini gibt der atmosphärischen Landschaft freien Atem. Dagegen präzisiert Mantegna die Gewandfalten und Gesteinsstruktur so stark, als habe er den Schärferegler überdreht.

 

Wegbereiter der Landschaftsmalerei

 

Er ist expressiver, liebt die Detailfülle und brilliert mit Erfindungsreichtum. Der ruhigere Bellini hält indes gern an vertrauten Bildtypen fest. Damit wird er zum Wegbereiter der Landschaftsmalerei, die sich erst ein Jahrhundert später vom Religiösen lösen und als eigenständige Kunstgattung etablieren. In Bellinis zauberhafter „Madonna auf der Wiese“ (1500/5) ist sie bereits als Stimmungsträger und Resonanzraum vorhanden.

 

Klug und erhellend ordnet das deutsch-britische Kuratorenteam die rund 100 Werke nach verschiedenen Themen an; dabei mischen sich die Möglichkeiten der Renaissance. Ob Leinwand oder Holztafel, Eitempera oder Öl, Monumentalbild oder Mini-Skizze, Marmorrelief oder Kupferstich: der Kundschaft stand ein breites Spektrum zur Wahl. Auch in dieser Schau ist alles im Angebot. Nur punktuell treten Zeitgenossen hinzu, wie der Bildhauer Donatello (1386-1466) oder Mantegnas Mitschüler Marco Zoppo (1433-1478).

 

Schöner Süd- + tragischer Nord-Christus

 

Der Ausstellung tut gut, dass sie sich nicht im Allzuviel verheddert, sondern sich aufs Wesentliche beschränkt. So bleibt genug Energie, jedes Meisterwerk mit voller Konzentration wahrzunehmen. Die stilistische Bandbreite ist dabei weit gespannt, als habe ein ganzes Dutzend Künstler mitgewirkt. Zwischen 1450 und 1500 vollzog sich eben in der italienischen Renaissance eine enorme Entwicklung; das spiegelt sich auch bei Bellini und Mantegna wider.

 

Noch erledigten Künstler vor allem kirchliche Aufträge: Madonnen, Heiligentafeln, Andachtsbilder für den Hausgebrauch oder mehrteilige Altarwerke. Dabei bot jedes der kanonischen Motive viel Spielraum für Variationen und Ausdrucksnuancen; das lässt sich allein am Beispiel des toten Christus vom Entwurf bis zur lebensgroßen Leinwand verfolgen. Was für ein schöner Mann, trotz blutiger Wunden! In dieser Auffassung waren sich Italiens Maler, geschult am antiken Menschenbild, einig. Ihre Kollegen nördlich der Alpen betonten eher den tragisch-grusligen Aspekt, wenn sie Christus als Folteropfer abbildeten.

 

Als Hofmaler auf der sicheren Seite

 

Einer der faszinierendsten Abschnitte in der Ausstellung präsentiert ein eher ungewöhnliches Motiv: Christus steigt in die Vorhölle hinab, um Adam und Eva zu befreien. Seine Rückenfigur wird von einem Gegenwind umwirbelt, der augenscheinlich aus der düsteren Unterwelthöhle herausweht. Diese markante Gestalt taucht auf einem Kupferstich Mantegnas auf, aber auch in diversen Versionen bei Bellini und anderen Zeitgenossen. Das gefragte Sujet wurde bedenkenlos kopiert und abgewandelt.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Florenz und seine Maler - Von Giotto bis Leonardo da Vinci" - großartige Überblicksschau über die italienische Renaissance in der Alten Pinakothek, München

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "The Botticelli Renaissance" - zwiespältige Retrospektive des Renaissance-Meisters in der Gemäldegalerie, Berlin

 

und hier ein Beitrag über die Ausstellung "Maniera. Pontormo, Bronzino und das Florenz der Medici" - beeindruckende Manierismus-Schau im Städel-Museum, Frankfurt am Main

 

und hier ein Bericht über die Ausstellung "Das Jahrhundert Vasaris" - informative Grafik-Schau über "Florentiner Zeichner des Cinquecento" in der Gemäldegalerie, Berlin.

 

Wer betuchte Mäzene für sich gewinnen konnte, war auf der sicheren Seite. Mit 25 Jahren ging Mantegna 1456 nach Mantua und verdingte sich fortan als Hofmaler bei den Gonzaga-Markgrafen. Doch Adelsherrschaften konnten kapriziös sein; daher arbeiteten die Bellinis lieber für den freien Kunstmarkt in der Lagunenstadt.

 

Tizian ergänzt „Fest der Götter“

 

Im letzten Raum läuft die Ausstellung zur Hochform auf. Da zieht mit Fanfaren und Elefanten ein mehrteiliger „Triumphzug Cäsars“ aus dem Besitz der britischen Queen vorbei. Mantegnas Monumentalwerk, das zwischen Mitte der 1480er Jahre und 1506 entstand, wirkt mittlerweile reichlich ramponiert, entfaltete aber enormen Einfluss auf spätere Künstler-Generationen.

 

Gegenüber lädt Bellinis zauberhaftes „Fest der Götter“ (1514/29) aus der „National Gallery of Art“ in Washington zum poetischen Picknick im Hain der Unsterblichen ein. Dem bewunderten Gruppengemälde gab Tizian mit späteren Ergänzungen zusätzlichen Farblicht-Schmelz. Hier kann die Betrachtung verweilen; die Zeit steht still. Das Kontrastprogramm dazu bietet Mantegnas Gemälde „Minerva vertreibt die Laster aus dem Garten der Tugend“ (1500/2) direkt daneben.

 

Mantegna schätzte Sammelsurium

 

Seine wütend ins Bild stürmende Kriegsgöttin scheucht diverse aufgeschreckte Allegorien in die Flucht. Schreiend stieben tumbe und debile Verkörperungen von Faulheit, Völlerei, Geiz und Wollust davon, mitsamt ihrem bizarren halbnackten Gefolge. Bellini hätte sich wohl geweigert, solch ein Sammelsurium scheußlicher und schamloser Gestalten zu malen – Mantegna fühlte sich von derartigen Gegensätzen erst recht herausgefordert.