Die Toten Hosen

Weil du nur einmal lebst – Die Toten Hosen auf Tour

Campino on Stage. Foto: © avanti media fiction 2019. Fotoquelle: NFP marketing & distribution*
(Kinostart: 28.3.) Feelgood-Film für Funpunk-Veteranen: Die Toten Hosen sind Deutschlands unpeinlichste Pop-Weltstars; sie gelten als integer und engagiert. Diese Tournee-Doku kratzt nicht am Lack – sie präsentiert ein gut geführtes Unterhaltungs-Unternehmen.

Bis zum bitteren Ende: Wenn die Toten Hosen so weitermachen, werden sie noch wie die Rolling Stones als Rock-Greise rastlos durch die Welt tingeln, den eigenen Ruhm verwaltend. Bevor es soweit ist, empfiehlt sich eine Würdigung auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenskraft. Bei dieser eingefleischten Live-Band kann das nur eine Tournee-Doku sein. Für die große Leinwand – so breit wie die Stadion-Bühnen, auf denen sie auftritt. Ein Kinofilm fehlt dem Quintett noch im Sortiment, das ansonsten schon wirklich alles gemacht hat.

 

Info

 

Weil du nur einmal lebst - Die Toten Hosen auf Tour

 

Regie: Paul Dugdale und Cordula Kablitz-Post,

107 Min., Deutschland 2018;

mit: Campino, Andi, Breiti, Kuddel, Vom

 

Website zum Film

 

Und das als Punkband! Zudem als einzige deutsche Band, die mit Punkrock enormen Erfolg hat; die ebenfalls 1982 gegründeten und ähnlich populären „Die Ärzte“, die lange als ihre Rivalen galten, mutierten ja spätestens 1993 zum hintersinnigen Comedy-Pop-Duo oder -Trio. Dagegen sind seit 36 Jahren fast alle Hosen-Songs simpel aufgebaute und schnell herunter gedroschene Gassenhauer mit Refrain-Chören, „so dick aufgetragen, dass man sie mit dem Löffel essen kann“, wie es ein SPEX-Kritiker schon 1987 beschrieb. Funpunk eben.

 

Nie teutonische Klischees bedient

 

Damit wurden die Toten Hosen im Lauf der Jahre immer größer und beliebter. Sie hatten einen Hit nach dem anderen, verkauften ständig mehr Platten, spielten vor immer mehr Leuten; ihre Konzertreisen führten bis nach Kasachstan und Myanmar. Mittlerweile haben mehrere Millionen Menschen sie live erlebt. Die Band zählt zu den ganz wenigen deutschen Popmusikern mit Weltstar-Status; wobei sie – anders als die Cyborg-Frickler von „Kraftwerk“ oder die Pyro-Metal-Karnevalisten von „Rammstein“ – nie ausländische Klischees von teutonischem Tief- oder Schwachsinn bediente.

Offizieller Filmtrailer


 

Ohne Bono Vox‘ Doppelmoral

 

Allenfalls beim Engagement: Die Hosen sind bei zahlreichen politisch korrekten Initiativen dabei. Gegen Ausländerfeindlichkeit, für Umwelt-, Tierschutz und Entwicklungshilfe und vor allem den „Kampf gegen Rechts“, was immer genau das sein mag. Da ist Sänger Campino nie um markige Statements verlegen – mögen sie auch auf sinnfreie Antifa-Ausgrenzungsrituale hinauslaufen, wenn er 50.000 Stadionbesucher „Nazis raus“ skandieren lässt.

 

Doch Campino übertreibt linkes Laienpredigergehabe auch nicht. Anders als etwa Bono Vox, Sänger der Rockband „U2“: Er jettet als Privat-Außenminister um den Globus, lässt sich als möglicher Weltbank-Präsident ins Gespräch bringen – und flog durch die „Panama Papers“ als Spekulant auf, der hohe Börsengewinne kassiert, worauf er kaum Steuern zahlt. Solche Doppelmoral traut man den Hosen kaum zu. Sie gelten als integer: fünf Kumpels, die sich teilweise schon seit der Schulzeit kennen und alle Einnahmen fair unter sich aufteilen.

 

Zwei TV-Filme über Campino

 

Ein Mythos? Um ihm auf den Grund zu gehen, ist Regisseurin Cordula Kablitz-Post einerseits die richtige. Sie hat fürs Fernsehen etliche Künstler-Porträts gedreht, darunter gleich zwei Mal über Campino. Außerdem hat sie jahrelang mit Christoph Schlingensief zusammengearbeitet, dürfte sich also mit kreativem Irrsinn auskennen. Andererseits ist sie nicht die richtige: Solche TV-Porträts pflegen den schönen Schein.

 

Was sie nicht kann, zeigte Kablitz-Post 2016 in ihrem ersten Spielfilm: Ihr Biopic über die vielseitige Intellektuelle Lou Andreas-Salomé geriet zur Bildungskitsch-Schmonzette. Solchen Ehrgeiz hat ihr britischer Ko-Regisseur Paul Dugdale nicht: Der Konzertfilm-Spezialist steuert die – teils sehr spektakulären – Aufnahmen von Band und Publikum bei Live-Auftritten bei.

 

Klassischer Firmen-Report

 

Vorher und nachher verfolgt Kablitz-Post die Combo sieben Monate lang auf Schritt und Tritt. Über weite Strecken wird das zum klassischen Hintergrund-Report über den Arbeitsalltag im etablierten mittelständischen Unterhaltungs-Unternehmen „Die Toten Hosen“. In dieser Firma geht es kollegial zu, alle Beschäftigten sind hoch motiviert, und die Leitungsebene bemüht sich nachhaltig um ein lockeres Betriebsklima.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Bohemian Rhapsody" - harmlos biederes Biopic über die Rockband Queen + Freddie Mercury von Bryan Singer

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Geniale Dilletanten: Subkultur der 1980er Jahre in Deutschland" in München, Hamburg + Dresden

 

und hier einen Bericht über den Film "Mistaken for Strangers" - spannende Meta-Doku über eine Tournee der Indierock-Band "The National" von Tom Berninger

 

und hier einen Kritik des Films "Gimme Danger" - brav-solide Doku über Iggy Pop + The Stooges von Jim Jarmusch

 

und hier einen Beitrag über den Film “Blank City” - über die No-Wave-Szene im New York der Spät-70er von Céline Danhier.

 

Was man nicht sieht, ist das Verhältnis der Anteilseigner untereinander, also Einblicke in die Gruppendynamik. Klar: Leitwolf Campino ist ein Perfektionist, der ständig an der Setlist und am Sound herumtüftelt. Und die Anderen? Die Gitarristen Kuddel und Breiti sowie Bassist Andi sind schon viel zu lange im Geschäft, um Interna auszuplaudern.

 

Nächtlicher Exzess im Freibad

 

Sie bedienen versiert das Format „Backstage-Reportage“, geben freundlich Auskunft über Spieltechniken oder Tour-Erfahrungen , erzählen Dönekens – und halten sich ansonsten bedeckt. Nur der britische Schlagzeuger Vom, seit 1998 dabei, beklagt einmal die sehr deutsche Arbeitsdisziplin seiner Kollegen; er wünscht sich mehr probenfreie Tage.

 

Doch in ihrem Alter – alle sind etwa Mitte 50 – kann man sich in dieser kräftezehrenden Branche kaum gehen lassen. Trotz vieler Tattoos und faltiger Gesichter, die von wilder Vergangenheit zeugen: Kuddel lebt abstinent, die anderen genehmigen sich ein oder zwei Bier nach dem Auftritt. Ein Hörsturz zwingt Campino, wochenlang zu pausieren. Da darf es schon als Exzess gelten, wenn er nach einem Konzert nachts mit Groupies über den Zaun ins Schwimmbad klettert, prompt von der Polizei aufgegriffen wird – und anderntags alle Klatschseiten diese Meldung bringen.

 

Freundliche Kollektiv-Ekstase

 

Was Punkrock eigentlich bedeutet, wird am ehesten am Ende bei Szenen aus Argentinien deutlich. Dort gastieren die Hosen seit 1992 regelmäßig; so haben sie sich eine treue Fangemeinde erspielt. Die kommt nicht nur in den üblichen Stadien und Arenen zusammen, sondern auch in kleinen Clubs, wo dann die Luft brennt. Drei-Akkorde-Lärm und Pogo als Kollektiv-Ekstase: rabiat, schweißtreibend, auslaugend und zugleich so menschenfreundlich und liebenswürdig wie möglich. Funpunk eben.