Veit Helmer

Vom Lokführer, der die Liebe suchte

Während der Fahrt durch das Wohnviertel bleibt immer allerhand an der Lok hängen, was Nurlan (Miki Manojlović) einsammelt. Foto: © Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart: 7.3.) Altherrenfantasie in Aserbaidschan: Regisseur Veit Helmer schickt einen Lokführer auf die Suche nach der passenden Frau zum verlorenen BH. Quer durch exotische Landschaften – doch der Reiz seiner wortlosen Sittenkomödie läuft sich rasch tot.

puAserÜberlange und skurrile Titel haben seit einiger Zeit im deutschen Kino Konjunktur. Ob „Der Hundertjährige, der aus einem Fenster stieg und verschwand“ (2013) oder „Die unglaubliche Reise des Fakirs, der in einem Kleiderschrank feststeckte“ (2018): Meist suggerieren sie märchenhaft angehauchte Unterhaltung mit überraschenden Wendungen.

 

Info

 

Vom Lokführer, der die Liebe suchte

 

Regie: Veit Helmer,

90 Min., Deutschland 2018;

mit: Miki Manojlović, Denis Lavant, Chulpan Khamatova

 

Weitere Informationen

 

Da reiht sich „Vom Lokführer, der die Liebe suchte“ – der auf dem internationalen Markt schlicht „The Bra“ heißt, also „Der BH“ – von Veit Helmer gut ein. Der deutsche Regisseur ist Mittelasien seit vielen Jahren eng verbunden; er hat dort an verschiedenen Filmhochschulen gelehrt und mehrere Filme gedreht, zuletzt in Kasachstan die liebevoll versponnene Kosmonauten-Romcom „Baikonur“ (2011).

 

Sprachloses overacting

 

War dieser Film noch recht dialoglastig, verzichtet Veit Helmer beim Nachfolger komplett auf Sprache – vielleicht aus praktischen Gründen, um Verständigungsproblemen bei seiner Besetzung aus aller Herren Länder vorzubeugen. Doch diese Sprachlosigkeit wirkt im Film arg aufgesetzt. Manche Darsteller treibt sie zum hemmunglosen overacting; etwa Denis Lavant, der sich als Lokführer-Gehilfe durch seine Szenen grimassiert.

Offizieller Filmtrailer


 

Junge warnt mit Trillerpfeife vor Zug

 

Held des Films ist jedoch der alternde Lokführer Nurlan (Serbiens Star-Schauspieler Miki Manojlović); er lenkt seit Jahrzehnten lange Güterzüge mit altertümlich sowjetischen Lokomotiven von den Bergen ans Meer und zurück. Dafür bietet Aserbaidschans karge Berglandschaft einen schlicht atemberaubenden Hintergrund; sie macht zweifellos den größten Reiz des Films aus.

 

Auf seinen Fahrten kommt Nurlan stets durch ein Arme-Leute-Wohnviertel der Hauptstadt Baku, in dem Bretterbuden-Häuser dicht an die Gleise gebaut sind; dieses so genannte „Quartier Schanghai“ wurde kurz nach den Dreharbeiten abgerissen. Seine Bewohner leben ganz selbstverständlich mit dem Schienenverkehr: Sobald ein Zug heranrollt, warnt der kleine Aziz mit einer Trillerpfeife vor dem Stahlkoloss.

 

Symbol verlockender Weiblichkeit

 

Doch oft bleiben Dinge an der Lokomotive hängen; meist Wäschestücke, wenn es die Frauen des Viertels nicht geschafft haben, ihre über die Gleise gespannten Leinen rechtzeitig abzunehmen. Auf diese Weise gerät dem Lokführer am letzten Arbeitstag vor seiner Pensionierung ein zarter, blau-weißer Spitzen-BH in die Hände. Der erinnert ihn daran, wie er einst bei einer Nachtfahrt einen kurzen Blick auf dieses Symbol verlockender Weiblichkeit und seine Besitzerin erhaschte.

 

Dem einsamen Mann wird so die Leerstelle in seinem Leben bewusst. Seine schüchternen Werbeversuche um eine junge, Gänse hütende Schönheit in Nurlans Heimatdorf scheitern an deren resoluter Mutter. Also nimmt er sich nach seiner Pensionierung ein schäbiges Zimmer im Schanghai-Viertel und widmet sich fortan der Suche nach der unbekannten Schönen mit den verlorenen Dessous.

 

Mammografie mit Fake-Frauenarzt

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Baikonur" - märchenhafte Tragikomödie aus Kasachstan von Veit Helmer

 

und hier einen Beitrag über den Film "Welcome to Karastan" - gelungene Culture-Clash-Komödie im fiktiven Mittelasien von Ben Hopkins

 

und hier eine Besprechung des Films "Waiting for the Sea"Öko-Tragikomödie am Aralsee von Bakhtiar Khudoijnazarov mit Detlev Buck

 

und hier einen Bericht über den Film "Cirkus Columbia" - vielschichtige Tragikomödie über den Beginn des Bosnien-Kriegs von Danis Tanović mit Miki Manojlović.

 

Die verläuft ganz nach dem Aschenputtel-Prinzip; nur wird hier anstelle eines Schuhs eben ein Büstenhalter anprobiert. Immer auf der Hut vor ihren eifersüchtigen Ehemännern, bringt der treuherzig dreinblickende Eisenbahner allerhand Damen dazu, das Wäschestück anzuprobieren. Um ein Techtelmechtel geht es ihm dabei nicht, schlägt er doch Avancen der eindeutigen Art aus.

 

Spätestens nach dem Besuch der fünften Madame wird das redundant, und der exotische Reiz des Filmes verflüchtigt sich. Stattdessen entsteht der unangenehme Eindruck, man werde Zeuge einer erotischen Altherrenfantasie. Der Gipfel des Absurden ist erreicht, wenn sich Nurlan als Frauenarzt tarnt, um unter dem Vorwand eines Mammografie-Screenings seine Suche fortzusetzen: Brüste allerorten.

 

Terra incognita als reine Kulisse

 

Die Kamera übernimmt dabei einen männlich-sezierenden Blick auf Frauenkörper. Nebenbei bemerkt: Warum, bitteschön, sollen sich diese jungen Frauen für einen alten Mann interessieren? Das alles ist ausgesprochen gestrig und wird durch Nurlans Dackelblick und das durchaus selbstbewusste Auftreten seiner Versuchspersonen kaum besser.

 

Insgesamt findet Regisseur Helmer nicht die richtige Balance zwischen Komik und Tragik, Skurrilität und Exotik. Schade, weil Aserbaidschan hierzulande cineastische terra incognita ist, die zu erkunden sich lohnen würde – doch in diesem Film dient sie nur als Kulisse. Erst die unerwartete Wendung am Ende stimmt etwas versöhnlich; schließlich gibt es mehr als nur die Liebe zwischen Männern und Frauen.