„Grenze“ heißt der zweite Film von Ali Abbasi. Dieser Titel ist so unkonkret wie wörtlich zu nehmen. Zwar arbeitet die Hauptfigur Tina an der Grenze zwischen Schweden und Finnland. Doch viel mehr als um physische Grenzen geht es hier um metaphorische: zwischen Männern und Frauen, zwischen Mensch und Tier, zwischen Realismus und dem Phantastischen.
Info
Border
Regie: Ali Abbasi,
110 Min., Schweden/ Dänemark 2018;
mit: Eva Melander, Eero Milonoff, Jörgen Thorsson
Erst nach Kinobesuch weiterlesen!
Mehr sollte man an dieser Stelle jedoch nicht verraten. „Border“ ist einer jener Filme, über den man beim ersten Sehen am besten möglichst wenig weiß. Wer auf eines der ungewöhnlichsten Leinwand-Erlebnisse des Jahres neugierig ist, sollte jetzt aufhören zu lesen und die Lektüre nach dem Kinobesuch fortsetzen.
Offizieller Filmtrailer
Schnauze erschnüffelt Schuld
Die Geschichte beginnt geradezu bodenständig: Tina (Eva Melander) ist Zollbeamtin an einem Hafen in Schweden und hat die Aufgabe, Schmuggler zu erschnüffeln. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn Tina hat die Fähigkeit, Angst, Scham und Schuld zu riechen. Dass diese Fähigkeit mit ihrem speziellen Äußeren zu tun hat, ahnt man bald.
Entstellt würde man Tina nicht gerade nennen. Doch sie sieht merkwürdig aus: die Nase wulstig, der Mund erinnert ein wenig an eine Schnauze. Zudem hängen ihre Haare in Strähnen herab, die Haut wirkt dick und unrein. Außerdem hat sie eine Narbe am Steiß, ein Überbleibsel ihrer Herkunft, die sie allerdings selbst nur erahnt. Ihre vagen Erinnerungen verdrängt sie lieber.
Verschmelzen mit der Natur
Mit ihrem lieblosen Freund lebt Tina in einem Haus im Wald – nicht unbedingt unglücklich, aber doch freudlos. Eines Tages begegnet ihr bei der Arbeit ihr Spiegelbild: Vore (Eero Milonoff) sieht fast genauso aus wie Tina, geht im Gegensatz zu ihr aber offensiv mit seiner Andersartigkeit um.
Während Tina sich um Unauffälligkeit bemüht und sich in ihren Kokon zurückzieht, lebt Vore seine animalische Seite offen aus. Er kratzt Maden vom Baum, ist ungehobelt und wild. Bald zieht er in Tinas Gästehaus. Fortan streift das Duo gemeinsam durch den Wald, geht barfüßig über den morastigen Boden und badet nackt im Bergsee. Zunehmend werden sie eins mit der Natur.
Krimiebene als Füllwerk
Nordische Mythologie und Geschichten von Fabelwesen, die mit der Welt der Menschen in Kontakt kommen, verknüpft Regisseur Abbasi mit einer verstörenden Kriminalhandlung. Die enthält etliche Anleihen bei den aktuell so beliebten, düsteren Krimis aus Skandinavien. Diese Ebene wirkt jedoch fast wie Füllwerk. Das Faszinierende an „Border“ ist tatsächlich vor allem Tinas langsames Erwachen.
Hintergrund
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Nuancen unter dickem Make-Up
Doch letztendlich erzählt Abbasi ganz allgemein vom Fremdsein, einer Erfahrung, die er selbst gemacht hat. Er wurde im Iran geboren und ging mit 20 Jahren nach Schweden. Später studierte er in Dänemark. Für diesen Film adaptierte er nun eine Kurzgeschichte, die gleichermaßen speziell wie universell erscheint.
Fast schon überfrachtet scheint „Border“ bisweilen; alle zehn, fünfzehn Minuten nimmt der Film eine überraschende Wendung. Zusammengehalten wird das durch die außergewöhnliche Performance von Hauptdarstellerin Eva Melander, die unter dickem Make-Up kaum wiederzuerkennen ist. Dennoch gelingt ihr eine nuancierte Darstellung, in der ihre Figur sich langsam erkennt.
Magie im Wald
Nicht zuletzt sind die phantastischen Bilder von Kameramann Nadim Carlsen erwähnenswert: Er taucht selbst karge schwedische Amtsstuben in satte Farben. Wenn es Tina und Vore in die Weiten der Natur zieht, zeigt sich die ganze Brillanz der Bilder. Das vielfältige Grün der Wälder erwacht zu Leben; geradezu magische Welten entstehen, in denen sich diese ungewöhnliche Geschichte zuträgt.