Ali Abbasi

Border

Die Grenzbeamtin Tina (Eva Melander). Foto: Copyright: © Wild Bunch Germany
(Kinostart: 11.4.) Nordische Mythologie trifft Krimiplot: Der iranisch-schwedische Regisseur Ali Abbasi erzählt auf erfrischend originelle Weise vom Fremdsein. Aus der Geschichte zweier Außenseiter macht er einen vergnüglichen, gelegentlich überfrachteten Genre-Mix.

„Grenze“ heißt der zweite Film von Ali Abbasi. Dieser Titel ist so unkonkret wie wörtlich zu nehmen. Zwar arbeitet die Hauptfigur Tina an der Grenze zwischen Schweden und Finnland. Doch viel mehr als um physische Grenzen geht es hier um metaphorische: zwischen Männern und Frauen, zwischen Mensch und Tier, zwischen Realismus und dem Phantastischen.

 

Info

 

Border

 

Regie: Ali Abbasi,

110 Min., Schweden/ Dänemark 2018;

mit: Eva Melander, Eero Milonoff, Jörgen Thorsson

 

Weitere Informationen

 

Der erste Drehbuchentwurf zu „Border“ stammte aus der Feder des schwedischen Horror-Schriftstellers John Ajvide Lindqvist. Er dürfte Genrekennern durch „So finster die Nacht“ (2004) bekannt sein, einer merkwürdigen Mischung aus Vampirgeschichte und Coming-of–Age-Drama. Um Vampire geht es in diesem Fantasy-Drama zwar nicht, aber um andere Wesen, die so menschlich wie phantastisch wirken.

 

Erst nach Kinobesuch weiterlesen!

 

Mehr sollte man an dieser Stelle jedoch nicht verraten. „Border“ ist einer jener Filme, über den man beim ersten Sehen am besten möglichst wenig weiß. Wer auf eines der ungewöhnlichsten Leinwand-Erlebnisse des Jahres neugierig ist, sollte jetzt aufhören zu lesen und die Lektüre nach dem Kinobesuch fortsetzen.

Offizieller Filmtrailer


 

Schnauze erschnüffelt Schuld

 

Die Geschichte beginnt geradezu bodenständig: Tina (Eva Melander) ist Zollbeamtin an einem Hafen in Schweden und hat die Aufgabe, Schmuggler zu erschnüffeln. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn Tina hat die Fähigkeit, Angst, Scham und Schuld zu riechen. Dass diese Fähigkeit mit ihrem speziellen Äußeren zu tun hat, ahnt man bald.

 

Entstellt würde man Tina nicht gerade nennen. Doch sie sieht merkwürdig aus: die Nase wulstig, der Mund erinnert ein wenig an eine Schnauze. Zudem hängen ihre Haare in Strähnen herab, die Haut wirkt dick und unrein. Außerdem hat sie eine Narbe am Steiß, ein Überbleibsel ihrer Herkunft, die sie allerdings selbst nur erahnt. Ihre vagen Erinnerungen verdrängt sie lieber.

 

Verschmelzen mit der Natur

 

Mit ihrem lieblosen Freund lebt Tina in einem Haus im Wald – nicht unbedingt unglücklich, aber doch freudlos. Eines Tages begegnet ihr bei der Arbeit ihr Spiegelbild: Vore (Eero Milonoff) sieht fast genauso aus wie Tina, geht im Gegensatz zu ihr aber offensiv mit seiner Andersartigkeit um.

 

Während Tina sich um Unauffälligkeit bemüht und sich in ihren Kokon zurückzieht, lebt Vore seine animalische Seite offen aus. Er kratzt Maden vom Baum, ist ungehobelt und wild. Bald zieht er in Tinas Gästehaus. Fortan streift das Duo gemeinsam durch den Wald, geht barfüßig über den morastigen Boden und badet nackt im Bergsee. Zunehmend werden sie eins mit der Natur.

 

Krimiebene als Füllwerk

 

Nordische Mythologie und Geschichten von Fabelwesen, die mit der Welt der Menschen in Kontakt kommen, verknüpft Regisseur Abbasi mit einer verstörenden Kriminalhandlung. Die enthält etliche Anleihen bei den aktuell so beliebten, düsteren Krimis aus Skandinavien. Diese Ebene wirkt jedoch fast wie Füllwerk. Das Faszinierende an „Border“ ist tatsächlich vor allem Tinas langsames Erwachen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Mother!" - alptraumhaft allegorischer Horrortrip von Darren Aronofsky

 

und hier eine Besprechung des Films "A Cure for Wellness" - glänzend gruseliger Mystery-Horror-Thriller von Gore Verbinski

 

und hier einen Bericht über den Film "Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach" - minimalistisch-groteske Tragikomödie aus Schweden von Roy Andersson, prämiert mit Goldenem Löwen 2014

 

und hier einen Beitrag über den Film  "Sieben Minuten nach Mitternacht" - bewegendes Melodram über Freundschaft zwischen einem Jungen und einem Monster von  Juan Antonio Bayona.

 

Langsam beginnt sie zu akzeptieren, was sie ihr ganzes Leben gespürt hat: Dass sie anders ist. Man mag angesichts dieser Metaphorik natürlich auch in Schweden an Migranten denken, die aus der einst so homogenen Gesellschaft oft ausgegrenzt werden. Auch Bezüge zu Transsexualität deutet Abbasi an, denn die Wesen, die Tina und Vore sind, lassen sich nicht klar als männlich oder weiblich definieren.

 

Nuancen unter dickem Make-Up

 

Doch letztendlich erzählt Abbasi ganz allgemein vom Fremdsein, einer Erfahrung, die er selbst gemacht hat. Er wurde im Iran geboren und ging mit 20 Jahren nach Schweden. Später studierte er in Dänemark. Für diesen Film adaptierte er nun eine Kurzgeschichte, die gleichermaßen speziell wie universell erscheint.

 

Fast schon überfrachtet scheint „Border“ bisweilen; alle zehn, fünfzehn Minuten nimmt der Film eine überraschende Wendung. Zusammengehalten wird das durch die außergewöhnliche Performance von Hauptdarstellerin Eva Melander, die unter dickem Make-Up kaum wiederzuerkennen ist. Dennoch gelingt ihr eine nuancierte Darstellung, in der ihre Figur sich langsam erkennt.

 

Magie im Wald

 

Nicht zuletzt sind die phantastischen Bilder von Kameramann Nadim Carlsen erwähnenswert: Er taucht selbst karge schwedische Amtsstuben in satte Farben. Wenn es Tina und Vore in die Weiten der Natur zieht, zeigt sich die ganze Brillanz der Bilder. Das vielfältige Grün der Wälder erwacht zu Leben; geradezu magische Welten entstehen, in denen sich diese ungewöhnliche Geschichte zuträgt.