Ulrich Köhler

Bungalow (WA)

Paul (Lennie Burmeister, li.), sein Bruder Max (Devid Striesow, re.) und dessen Freundin Lene (Trine Dyrholm) beobachten eine Explosion im Ort. Foto: déjà-vu film
(Kinostart: 2.5.) "Fänger im Roggen" in der deutschen Provinz: Ulrich Köhler erzählt in seinem frisch digitalisierten Debütfilm von einem Rekruten auf Heimatbesuch. Seine beiläufige Alltagsskizze von 2002 wirkt wie aus einer längst vergangenen Epoche.

Der US-Schriftsteller J.D. Salinger schuf 1951 in seinem einzigen Roman „Der Fänger im Roggen“ einen Helden, der sich als Identifikationsfigur für ganze Generationen jugendlicher Melancholiker erweisen sollte. Holden Caulfield, ein 16-Jähriger aus gutem Hause, kreist darin in endlosen Betrachtungen um die Unzulänglichkeiten seiner Mitmenschen und der Welt an sich. Während seiner dreitägigen Odyssee durch New York festigt sich bei ihm das beklemmende Gefühl, dass die Suche nach einer eigenen Identität ein aussichtsloses Unterfangen ist.

 

Info

 

Bungalow (WA)

 

Regie: Ulrich Köhler

84 Min., Deutschland 2002;

mit: Lennie Burmeister, Devid Striesow, Trine Dyrholm

 

Weitere Informationen

 

Diese Stimmungslage hielt Salinger präzise fest. Paul (Lennie Burmeister), die Hauptfigur aus Ulrich Köhlers Film „Bungalow“, ist rund 50 Jahre später ein Bruder im Geiste von Holden Caulfield – auch wenn er in der hessischen Provinz im Bungalow seiner Eltern herumsitzt, anstatt durch New York zu irren. Das Lebensgefühl, das er vermittelt, ist dennoch sehr ähnlich. Auch Paul eckt überall an und irritiert mit kantigem Benehmen. Seinen Mitmenschen bleibt er ein Rätsel.

 

Elternhaus statt Kaserne

 

Nachdem der junge Rekrut auf einem Rastplatz von seiner Bundeswehrtruppe quasi vergessen wird – wogegen er gar nichts einzuwenden hat – fährt er zum elterlichen Bungalow. Praktischerweise sind Mutter und Vater gerade verreist. Seine Ruhe hat er dort trotzdem nicht; unerwartet taucht sein älterer Bruder Max (Dewid Striesow) mit seiner attraktiven Freundin Lene (Trine Dyrholm) auf.

Offizieller Filmtrailer


 

Piefige Wohlstandstristesse

 

Die schwelenden Spannungen zwischen den Brüdern verstärken sich, als Paul beginnt, Lene Avancen zu machen. Die Aufforderung des Älteren, sich endlich bei der Truppe zu melden, ignoriert Paul. Viel mehr passiert im Verlauf von vier trägen Sommertagen nicht. Paul macht eine Spritztour mit seiner Ex-Freundin, Max repariert das Dach des Hauses. Irgendwo in der Stadt kommt es zu einer großen Explosion, die jedoch nicht weiter thematisiert wird.

 

Das alles geschieht ganz beiläufig; zudem kommunizieren die Protagonisten mit einsilbigen Dialogen zumeist aneinander vorbei. Mit seiner handlungsarmen, mit vielen Auslassungen arbeitenden Erzählweise fordert „Bungalow“ Konzentration und Offenheit vom Zuschauer. Zugerechnet wird der Filmemacher übrigens der so genannten „Berliner Schule“, die für eher sperrige Regiearbeiten bekannt ist. Doch das genaue Hinsehen lohnt sich, denn Köhlers Stärke liegt in der Genauigkeit, mit der er die Atmosphäre dieser piefigen Wohlstandstristesse einfängt.

 

Laiendarsteller schaffen Authentizität

 

Denn wogegen soll man auch rebellieren, wenn alles wie in Watte gepackt ist? Wenn alles möglich, zugleich aber egal ist. Zwar redet Paul davon, nach Afrika zu reisen. Doch die Energie, den Plan in die Tat umzusetzen, bringt er nicht auf. Köhlers Kunst besteht darin, Alltag zu zeigen, ohne dass er inszeniert wirkt.

 

Die sorgfältig ausgewählten Schauplätze und die Schauspieler – die meisten von ihnen Laien – tragen zu dieser Wirkung bei. So wird Paul vom Profi-Skateboarder Lennie Burmeister mit einer Mischung aus Lässigkeit und Unsicherheit verkörpert. In der vielleicht schönsten Szene des Filmes fährt er Skateboard. Man sieht nur seinen Oberkörper, die Landschaft im Hintergrund zieht sanft an ihm vorbei. In diesem kurzen Moment scheint die Figur einverstanden mit sich und der Welt.

 

Gewöhnliche Schale, widerspenstiger Kern

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "In my Room" - beeindruckendes Kino-Experiment von Ulrich Köhler

 

und hier einen Bericht über den Film "Nichts passiert" - Tragikomödie von Micha Lewinsky mit Devid Striesow als konfliktscheuem Familienvater

 

und hier einen Beitrag über den Film "Die Kommune" - Porträt einer dänischen WG in den 1970er Jahren von Thomas Vinterberg mit Trine Dyrholm.

 

Ulrich Köhlers Langfilmdebüt von 2002 kommt nun erneut ins Kino, weil es jetzt auch in digitaler Fassung vorliegt. Das erlaubt einen erhellenden Rückblick auf das Frühwerk des Filmemachers, der als Kind von Entwicklungshelfern im Kongo und später in Marburg aufwuchs, denn viele Motive aus „Bungalow“ kehren in seinen späteren Spielfilmen wieder.

 

Seine Figuren haben trotz ihrer Gewöhnlichkeit stets einen widerspenstigen Kern, der rätselhaft bleibt. Früher oder später brechen sie aus ihren gesellschaftlichen Rollen aus, zumindest zeitweise. Ihre spröden Geschichten werden von kargen, aber bis ins Detail ausgefeilten Bildern illustriert, die Köhlers Stamm-Kameramann Patrick Orth verantwortet.

 

Reise in eine andere Zeit

 

Noch etwas ist bemerkenswert: „Bungalow“ fühlt sich an wie eine Zeitreise in die bundesrepublikanische Wirklichkeit Anfang des neues Jahrtausends. Die Wehrpflicht existierte noch, vor allem aber waren die weltweiten Verwerfungen im Zusammenhang mit den Terroranschlägen vom 11. September noch nicht in demselben Maße spürbar wie heute. Auch Handys besaßen nicht die Allgegenwart, die Smartphones heute haben. Allerdings kommunizierten seinerzeit die Menschen nicht unbedingt aufmerksamer miteinander.