Der US-Schriftsteller J.D. Salinger schuf 1951 in seinem einzigen Roman „Der Fänger im Roggen“ einen Helden, der sich als Identifikationsfigur für ganze Generationen jugendlicher Melancholiker erweisen sollte. Holden Caulfield, ein 16-Jähriger aus gutem Hause, kreist darin in endlosen Betrachtungen um die Unzulänglichkeiten seiner Mitmenschen und der Welt an sich. Während seiner dreitägigen Odyssee durch New York festigt sich bei ihm das beklemmende Gefühl, dass die Suche nach einer eigenen Identität ein aussichtsloses Unterfangen ist.
Info
Bungalow (WA)
Regie: Ulrich Köhler
84 Min., Deutschland 2002;
mit: Lennie Burmeister, Devid Striesow, Trine Dyrholm
Elternhaus statt Kaserne
Nachdem der junge Rekrut auf einem Rastplatz von seiner Bundeswehrtruppe quasi vergessen wird – wogegen er gar nichts einzuwenden hat – fährt er zum elterlichen Bungalow. Praktischerweise sind Mutter und Vater gerade verreist. Seine Ruhe hat er dort trotzdem nicht; unerwartet taucht sein älterer Bruder Max (Dewid Striesow) mit seiner attraktiven Freundin Lene (Trine Dyrholm) auf.
Offizieller Filmtrailer
Piefige Wohlstandstristesse
Die schwelenden Spannungen zwischen den Brüdern verstärken sich, als Paul beginnt, Lene Avancen zu machen. Die Aufforderung des Älteren, sich endlich bei der Truppe zu melden, ignoriert Paul. Viel mehr passiert im Verlauf von vier trägen Sommertagen nicht. Paul macht eine Spritztour mit seiner Ex-Freundin, Max repariert das Dach des Hauses. Irgendwo in der Stadt kommt es zu einer großen Explosion, die jedoch nicht weiter thematisiert wird.
Das alles geschieht ganz beiläufig; zudem kommunizieren die Protagonisten mit einsilbigen Dialogen zumeist aneinander vorbei. Mit seiner handlungsarmen, mit vielen Auslassungen arbeitenden Erzählweise fordert „Bungalow“ Konzentration und Offenheit vom Zuschauer. Zugerechnet wird der Filmemacher übrigens der so genannten „Berliner Schule“, die für eher sperrige Regiearbeiten bekannt ist. Doch das genaue Hinsehen lohnt sich, denn Köhlers Stärke liegt in der Genauigkeit, mit der er die Atmosphäre dieser piefigen Wohlstandstristesse einfängt.
Laiendarsteller schaffen Authentizität
Denn wogegen soll man auch rebellieren, wenn alles wie in Watte gepackt ist? Wenn alles möglich, zugleich aber egal ist. Zwar redet Paul davon, nach Afrika zu reisen. Doch die Energie, den Plan in die Tat umzusetzen, bringt er nicht auf. Köhlers Kunst besteht darin, Alltag zu zeigen, ohne dass er inszeniert wirkt.
Die sorgfältig ausgewählten Schauplätze und die Schauspieler – die meisten von ihnen Laien – tragen zu dieser Wirkung bei. So wird Paul vom Profi-Skateboarder Lennie Burmeister mit einer Mischung aus Lässigkeit und Unsicherheit verkörpert. In der vielleicht schönsten Szene des Filmes fährt er Skateboard. Man sieht nur seinen Oberkörper, die Landschaft im Hintergrund zieht sanft an ihm vorbei. In diesem kurzen Moment scheint die Figur einverstanden mit sich und der Welt.
Gewöhnliche Schale, widerspenstiger Kern
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "In my Room" - beeindruckendes Kino-Experiment von Ulrich Köhler
und hier einen Bericht über den Film "Nichts passiert" - Tragikomödie von Micha Lewinsky mit Devid Striesow als konfliktscheuem Familienvater
und hier einen Beitrag über den Film "Die Kommune" - Porträt einer dänischen WG in den 1970er Jahren von Thomas Vinterberg mit Trine Dyrholm.
Seine Figuren haben trotz ihrer Gewöhnlichkeit stets einen widerspenstigen Kern, der rätselhaft bleibt. Früher oder später brechen sie aus ihren gesellschaftlichen Rollen aus, zumindest zeitweise. Ihre spröden Geschichten werden von kargen, aber bis ins Detail ausgefeilten Bildern illustriert, die Köhlers Stamm-Kameramann Patrick Orth verantwortet.
Reise in eine andere Zeit
Noch etwas ist bemerkenswert: „Bungalow“ fühlt sich an wie eine Zeitreise in die bundesrepublikanische Wirklichkeit Anfang des neues Jahrtausends. Die Wehrpflicht existierte noch, vor allem aber waren die weltweiten Verwerfungen im Zusammenhang mit den Terroranschlägen vom 11. September noch nicht in demselben Maße spürbar wie heute. Auch Handys besaßen nicht die Allgegenwart, die Smartphones heute haben. Allerdings kommunizierten seinerzeit die Menschen nicht unbedingt aufmerksamer miteinander.