Julian Schnabel

Als Künstler sein Ding machen

Julian Schnabel im Interview. Fotoquelle: Weltkino Filmverleih
Ein alter Hauptdarsteller und eine neue Todes-Theorie: Regisseur Julian Schnabel, selbst bekannter Maler, findet Zweifel am Biopic über seinen berühmten Kollegen Vincent van Gogh unangebracht – mit den Fiktionen der Kunst stolpere man über die Wahrheit.

Mr. Schnabel, wie lange haben  Sie schon den Gedanken verfolgt, einen Film über Vincent van Gogh zu drehen?

 

Nicht sehr lange, wenn ich ehrlich bin. Ich habe mich schon immer für Vincent van Gogh interessiert, wie wohl die meisten von uns. Die Idee zum Film kam mir erst vor wenigen Jahren. Obwohl ich das eigentlich gar nicht meine Absicht war; schließlich gibt es schon etwa 40 Filme über ihn. Warum also noch einen? Wo doch sowieso jeder glaubt, alles über Vincent van Gogh zu wissen.

 

Was war also ausschlaggebend für Sie?

 

Info

 

Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit

 

Regie: Julian Schnabel,

111 Min., Frankreich/ Großbritannien/ USA 2018;

mit: Willem Dafoe, Oscar Isaac, Mads Mikkelsen

 

Weitere Informationen

 

Genau die Gründe, die dagegen sprachen, überzeugten mich. Es schien auf den ersten Blick unmöglich zu sein, noch einen Film über Vincent van Gogh zu drehen. Aber da halte ich es mit dem französischen Regisseur Robert Bresson, der zu seinem Film „Tagebuch eines Landpfarrers“ von 1951 einmal sagte, es wäre eigentlich unmöglich gewesen, Georges Bernanos‘ Roman von 1936 zu verfilmen. Ich dachte: Okay, wenn es ihm trotzdem gelungen ist, scheint das eine gute Voraussetzung zu sein. Wenn etwas als unmöglich eingestuft ist, sollte man es gerade tun.

 

Lügende Bilder sind wahrhaftig

 

So einfach sehen Sie das?

 

Absolut! Genauso ist auch mein Ko-Autor Jean-Claude Carrière vorgegangen, und er ist einer der bedeutendsten Drehbuchautoren der Welt geworden. Wenn etwas unmöglich erscheint, muss man es manchmal trotzdem angehen. Die Kunst ist eine Fiktion, doch vielleicht stolpern wir dabei über die Wahrheit.

 

Als sich der Maler Francis Bacon mit den Werken von van Gogh auseinandersetzte, fand er folgendes Zitat von ihm: „Ungenauigkeiten, Anomalien und Umgestaltungen der Realität bestimmen meine Bilder. Sie lügen, und dennoch enthalten sie mehr Wahrhaftigkeit als die faktische Wirklichkeit.“

Offizieller Filmtrailer


 

Weder Dokumentation noch Biografie

 

Welche Bedeutung hat dieser Satz für Ihre Arbeit?

 

Wenn man sich mit van Goghs Malerei auseinandersetzt, kommt man zu dem Schluss, dass er die Realität auf seinen Gemälden neu erfindet und neu präsentiert. Alles, was in seinen Bildern steckt, hatte für ihn auch eine besondere Bedeutung. So sind wir auch an unseren Film herangegangen. Er ist ein Kunstwerk, weder eine Dokumentation, noch eine Biografie. Wenn man so will, ist es eine Auswahl von Dingen, die möglich sein könnten.

 

Die möglich sein könnten? Was genau meinen Sie damit?

 

Man muss seine Zweifel für eine Weile außen vor lassen, ob das, was wir im Film zeigen, wirklich so gewesen ist oder nicht. Nur so lassen sich alle Möglichkeiten einbeziehen. „Jeder sieht eine Landschaft anders“, heißt es auch im Film. Manche sehen darin etwas Wunderbares und Wertvolles, andere haben ihre Probleme damit. Als Künstler darf man sich darüber aber nicht den Kopf zerbrechen, wie jemand etwas sieht, sondern muss sein Ding machen.

 

Gemalt wurde nur an guten Tagen

 

Sie haben sich auch die Freiheit genommen, sich von den bisherigen Theorien über van Goghs mysteriösem Tod zu entfernen.

 

Es gibt etliche Leute, die an die im Film gezeigte Todesursache glauben. Ich habe mich in den letzten Jahren sehr intensiv mit van Gogh auseinandergesetzt. Dadurch habe ich erfahren, dass er nie malte, wenn er depressiv war. Das entspricht den Tatsachen. Er muss also an seinem Todestag in einer guten psychischen Verfassung gewesen sein. Denn einen Tag zuvor hat er noch neue Farbe bestellt. Auch in seinen Briefen schrieb er, dass Selbstmord feige wäre. Er hat den Tod nicht gesucht.

 

Also waren andere für seinen Tod verantwortlich?

 

Wir haben die Abschrift des damaligen Polizeireports bekommen, in dem es heißt, er hätte immer wieder gesagt, niemanden dafür verantwortlich zu machen. Ich wüsste nicht, warum jemand, der sich zuvor noch selbst umbringen wollte, so etwas sagen würde. Auf die Frage, ob er eine Waffe besitze, antwortete er mit Nein.

 

Warum soll jemand im Angesicht seines Todes lügen? Die Waffe wurde übrigens erst 1965 in einem Feld wiedergefunden. Ich denke, jemand anderes hat geschossen und die Waffe anschließend vergraben. Für den Film war es dieses Ende am plausibelsten.

 

Vertrauen schafft Spontaneität

 

Sie haben Willem Dafoe viel Raum für Spontaneität eingeräumt, die auch im fertigen Film erhalten geblieben ist. Wie ist es Ihnen das gelungen?

 

Das ist vor allem Louise Kugelberg (Schnabel ist mit der Schwedin seit Anfang Januar verheiratet, Anm. d. Red.) zu verdanken, die auch beim Schnitt mit mir zusammenarbeitete. Es ist ihr erster Film. Das räumliches Denken, das sie als Innenarchitektin mitbrachte, war sehr von Vorteil. Sie war bei den Dreharbeiten stets anwesend und bekam alle Nuancen mit, wenn wir eine Szene mehrmals aus unterschiedlichen Perspektiven drehten. Darüber hinaus ist es eine Frage des Vertrauens, und ich vertraute Willem. Wir sind schon seit 30 Jahren befreundet.

 

Warum war für Sie Willem Dafoe die Idealbesetzung für die Rolle des Vincent van Gogh?

 

Einen guten Film zu drehen, hat für mich tatsächlich damit zu tun, die richtigen Leute zu besetzen. Als ich Willem Dafoe vorschlug, bemängelten die meisten, er sei über 60 Jahre alt. Während van Gogh 37 war, als er starb. Wie soll das gehen? Christopher Walken und Robert De Niro waren aber auch schon Mitte 30, als sie 1978 in „Die durch die Hölle gehen“ („The Deer Hunter“) von Michael Cimino junge Kriegsveteranen spielten.

 

Willem ist ein physischer Schauspieler, der für sein Alter sehr fit ist. Darüber hinaus ist er sehr intelligent. Man kann mit ihm also gut arbeiten und daraus etwas entwickeln. Wenn er sagt, für ihn fühlt sich etwa nicht richtig an, hört man ihm zu und versucht, es richtig zu machen.

 

Kein Oscar ist auch okay

 

Sie hatten also nie das Gefühl, Dafoe könnte zu alt für die Rolle sein?

 

Niemals; am Ende des 19. Jahrhunderts lag die Lebenserwartung noch bei 42 Jahren. Heute liegt sie bei 80 Jahren. Willem ist jetzt 63 Jahre alt; das haut also im Verhältnis gut hin. Ich habe mit meiner Wahl recht behalten, denn Willem bietet als van Gogh eine erstaunliche Leistung. Nur bei der Oscar-Vergabe ist er leider leer ausgegangen. Aber ist die Verleihung heutzutage überhaupt noch von Bedeutung?

 

Das klingt, als wären Sie ein wenig gekränkt?

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit" von Julian Schnabel

 

und hier eine Besprechung des Films "Loving Vincent" - brillanter Animationsfilm im Van-Gogh-Stil von Dorota Kobiela und Hugh Welchman

 

und hier einen Bericht über den Film "Gauguin" - Biopic über Van Goghs Maler-Freund mit Vincent Cassel von Édouard Deluc

 

und hier einen Beitrag über den Film "Julian Schnabel - A Private Portrait" - erhellende Doku über den Künstler von Pappi Corsicato.

 

Ich gehöre nicht wirklich zum Filmgeschäft und habe mit meinen Filmen keinen Cent verdient; dafür habe ich sie aber auch nicht gedreht. Ich folgte einfach jedes Mal meinem Gefühl; ich hatte das Verlangen, diese Filme zu machen.

 

Wenn der eigene Hauptdarsteller auch noch für einen Preis nominiert wird, sollte man den Anstand haben, sich bei der Preisverleihung auch zu zeigen – allein die Nominierung ist eine große Ehre. Gleichzeitig muss man aufpassen, sich davon nicht zu sehr verrückt machen zu lassen. Wie Guillermo del Toro schon im letzten Jahr sagte, als „Shape of Water – Das Flüstern des Wassers“ als bester Film prämiert wurde: „Der Film bleibt vor und nach der Preisverleihung der gleiche.“

 

Weinerlicher Kirk Douglas

 

Es gibt etliche Filme über Vincent van Gogh – welche anderen Verfilmungen halten Sie für gelungen?

 

Ich mag keinen von ihnen, nicht mal „Vincent van Gogh – Ein Leben in Leidenschaft“ von 1956. Als Kind jedoch liebte ich diesen Film; damals mochte ich die schönen Landschaftsaufnahmen, die wie seine Gemälde aussahen, und ich mochte Kirk Douglas in der Hauptrolle. Heute denke ich, der Regisseur Vincente Minnelli hätte Douglas etwas zügeln sollen. In seiner Darstellung wirkt Douglas oft weinerlich. Das fühlt sich für mich heute nicht mehr richtig an, denn Vincent van Gogh war so viel mehr als nur das.