Karlsruhe

Mykene – Die sagenhafte Welt des Agamemnon

Das monumentale Löwentor in Mykene, 13. Jh. v. Chr., © Badisches Landesmuseum, Foto: Gaul. Fotoquelle: Badisches Landesmuseum, Karlsruhe
Schliemanns produktiver Irrtum: Seine Goldmaske gehörte nicht dem Trojakrieg-Feldherrn – doch sein Fund öffnete den Weg zur Erforschung der ersten Hochkultur in Festlands-Europa. Sie stellt das Badische Landesmuseum umfassend vor; samt komplettem Thronsaal.

Für Generationen von Deutschen war es eine Sternstunde der Archäologie: Troja-Entdecker Heinrich Schliemann (1822-1890) grub 1876 in Mykene im Nordosten der Peleponnes-Halbinsel, fand dort fünf Schachtgräber, und in einem von ihnen die „Goldmaske des Agamemnon“ mit bärtigem, fein ausgearbeitetem Antlitz. So nannte er sie jedenfalls in seinem viel gelesenen Grabungsbericht.

 

Info

 

Mykene - Die sagenhafte Welt des Agamemnon

 

01.12.2018 - 02.06.2019

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr,

im Badischen Landesmuseum,
Schloss Karlsruhe

 

Katalog 29,90

 

Website zur Ausstellung

 

Das ist zeitlich unmöglich, weiß man heute: Die Gräber stammen aus dem 16. Jahrhundert v. Chr., während der Trojanische Krieg – in dem Agamemnon als sagenhafter Herrscher von Mykene die Griechen anführte – etwa 400 Jahre später stattfand. Zudem hatte Schliemann noch eine zweite Totenmaske aus Goldblech mit rundlichen Gesichtszügen ausgegraben; dieses ebenso einzigartige Stück wird in der Ausstellung gezeigt.

 

Aus Perspektive von Schliemanns Team

 

Nichtsdestoweniger leitete der antikenbegeisterte Autodidakt die systematische Erforschung von Mykene ein. Zurecht beginnt daher die Schau im Karlsruher Schloss mit ihm sowie dem griechischen Geographen Pausanias (115-180), auf dessen Schriften sich Schliemann stützte. Und einem visuellen Paukenschlag: Man tritt ein – und steht direkt vor dem weltberühmten Löwentor des Palastes von Mykene. Als naturgetreuem Gipsabguss, eingerahmt von wandfüllenden Fotografien der Palastmauern, wie sie die Grabungsmannschaft damals erlebte. Schliemann selbst, seine Gattin Sophia und einheimische Helfer sind darauf in Aktion zu sehen.

Impressionen der Ausstellung


 

Multifunktionelle Verwaltungszentren

 

Nach Angaben des Veranstalters handelt es sich um die bisher größte Ausstellung zur mykenischen Kultur überhaupt. Dass sich das Badische Landesmuseum gemeinsam mit griechischen Partnern dieser wenig bekannten Epoche annimmt, ist sehr verdienstvoll; immerhin geht es um die erste Hochkultur auf dem europäischen Festland. Sie entsteht im 17. Jahrhundert v. Chr. am Ende der minoischen Kultur auf Kreta und überflügelt diese nach rund 200 Jahren: Festlandsgriechen erobern die größte griechische Insel.

 

Ihre Blütephase liegt zwischen 1400 und 1200 v. Chr.: In der so genannten „Palastzeit“ entstehen vielerorts – beileibe nicht nur in Mykene – große befestigte Baukomplexe. Sie scheinen multifunktionell gewesen zu sein: Teils waren es Herrscherresidenzen; teils Verwaltungszentren, um Abgaben einzutreiben und Güter zu verteilen; teils wohl auch Anlagen für religiöse Kulte. Ob sie autonome Fürstentümer regierten oder von größeren Reichen abhängig waren, ist ungeklärt; eventuell gab es einen Zentralisierungsprozess hin zu einem oder mehreren Staatsgebilden.

 

Attacken mysteriöser Seevölker

 

In jedem Fall endete diese Hochphase schlagartig um 1200 v. Chr.. Binnen weniger Jahre wurden die meisten Paläste niedergebrannt, die Ortschaften ringsum aufgegeben; vermutlich  infolge einer Reihe von Krisen. Deren wichtigste war der Ansturm so genannter „Seevölker“, die damals alle Küsten des östlichen Mittelmeers überfielen; wer diese mysteriösen Angreifer waren und woher sie kamen, ist bislang offen. Nach dieser Katastrophe bestand die mykenische Kultur noch etwa 150 Jahre lang auf bescheidenerem Niveau fort.

 

Diese turbulente Entwicklung veranschaulicht die Ausstellung vor allem mit erlesenen Grabbeigaben: elegant geformte und reich geschmückte Gefäße, präzise geschmiedete Waffen und filigran verzierter Goldschmuck. Faszinierend sind zahlreiche Siegelringe mit winzigen figurativen Gravuren, etwa Tiergestalten oder Kampfszenen.

 

Kommandowirtschaft vor 3500 Jahren

 

Solcher Augenschmaus wird mit dem Schwarzbrot faktengesättigter Erläuterungen gereicht, wo was wie gefunden wurde: so präzise, wie es Akademiker schätzen, aber für Außenstehende unerheblich und -verständlich. Wer weiß schon, dass die „Linear-B-Schrift“ die Silbenschrift der mykenischen Kultur ist – und dass „Tholosgrab“ einen Rundbau meint, im engeren Sinne sein Kuppeldach?

 

Im hellen „Palastvorhof“ der Ausstellung wird es lebenspraktischer. Man erfährt Grundzüge der straff organisierten Gesellschaftsordnung: Monarch und Adel herrschten über Verwaltung und Besitzende, diese wiederum übers einfache Volk. Es musste offenbar beträchtliche Abgaben leisten, bekam aber zu besonderen Anlässen allerlei aus den königlichen Speichern zugeteilt: Kommandowirtschaft vor 3500 Jahren. Bei Festen bewirtete der Palast hunderte Personen. Das weiß man von in „Linear B“ beschrifteten Tontafeln: Durch Brände härteten sie aus, eingeritzte Zeichen blieben erhalten.

 

Thronsaal-Nachbau als Zeitmaschine

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Kykladen – Lebenswelten einer frühgriechischen Kultur" - erstklassige Überblicksschau im Badischen Landesmuseum, Karlsruhe

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Die Krim - Goldene Insel im Schwarzen Meer: Griechen - Skythen - Goten" - gute Einführung im LVR-Landesmuseum, Bonn

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Mythos Olympia – Kult und Spiele in der Antike" über Sport damals und heute im Martin-Gropius-Bau, Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Antike Welten" mit Meisterwerken der griechischen + römischen Kunst im Alten Museum, Berlin.

 

Dann bittet der wanax, der Herrscher, zur Audienz: Sein komplett rekonstruierter Thronsaal ist der Höhepunkt der Schau. Und eine brillante Idee der Kuratoren: Normalerweise bieten Grabungs-Funde nur einen kümmerlichen Rest antiker Lebenswelten. Daran ändern die neuerdings beliebten Computer-Simulationen wenig. Doch dieser Raum in Original-Maßen und -Ausstattung wirkt wie eine Zeitmaschine; er vermittelt jedem Besucher einen überwältigend sinnlichen Eindruck davon, wie es damals bei Hofe aussah und sich dort anfühlte.

 

Von den schwindelerregenden Spiralmustern an der Decke über das akkurat geometrische Bodenmosaik, die prominente Feuerstelle im Säulengeviert bis zu aufwändigen Wandmalereien: Sie zeigen mythische Tiere wie Greifen und Löwen, Prozessionen oder Gelage und eine offene Feldschlacht mit Soldaten und Streitwagen. Auffallend ist die schwungvoll abgerundete Linienführung; sie hat noch nichts von der Strenge der späteren Archaik und Klassik.

 

Am Ende kurioser Kirmes-Effekt

 

Je näher die Ausstellung am Alltag bleibt, desto prägnanter ist sie: Alle Sektionen zu Handwerk und Handel, Religion und Bestattungsriten beeindrucken durch Schönheit und Vielfalt der Exponate. Am Ende wird der Untergang um 1200 v. Chr. und die magere Nachblüte durch Geisterbahn-Budenzauber untermalt: Rotes Licht umzüngelt eine stilisierte Pappmaché-Kyklopenmauer.

 

Ein kurioser Kirmes-Effekt, aber passend; danach hätte es keiner griechisch weiß-blauen Chillout-Lounge mehr bedurft. Diese einfallsreich inszenierte Schau führt glänzend vor, wie unschlagbar der Erlebniswert konkreter Dinge ist – das leistet keine VR-Brille oder immersiver Multimedia-Klimbim.