Berlin

Saul Leiter, David Lynch, Helmut Newton: Nudes

Helmut Newton: Bergstrom over Paris, Paris, 1976, © Helmut Newton Estate. Fotoquelle: SMB, Berlin
Kleine Kulturgeschichte der Nachkriegs-Aktfotografie: Das Museum für Fotografie zeigt ganz unterschiedliche Bilder dreier Fotografen – vom zeitlos erotischen Schwarzweiß der 40er bis 60er über Fetisch-Fantasien der 70er und 80er bis zu aseptischen Digital-Blow-Ups.

Sehen Aktfotografien nicht stets ähnlich aus? Mehr oder weniger sinnliche Kurven unbekleideter – meist weiblicher – Körper; mal verschämt, mal frivol posierend und mehr oder weniger voyeuristisch abgelichtet? Keineswegs: Mag das westliche Schönheitsideal in den vergangenen 70 Jahren auch praktisch unverändert geblieben sein – Selbstdarstellung und Fremdwahrnehmung haben sich sehr gewandelt. Solcher Kontext entscheidet alles: Das führt diese Ausstellung anschaulich vor, quasi als kleine Kulturgeschichte der Nachkriegs-Aktfotografie.

 

Info

 

Saul Leiter, David Lynch, Helmut Newton: Nudes

 

01.12.2018 - 19.05.2019

täglich außer montags

11 bis 19 Uhr,

donnerstags bis 20 Uhr

in der Helmut Newton Stiftung im Museum für Fotografie, Jebensstr. 2, Berlin

 

Weitere Informationen

 

Alle drei Fotografen wurden zwischen 1920 und 1946 geboren, doch ihre Aufnahmen könnten kaum unterschiedlicher sein. Die ältesten sind von Saul Leiter (1923-2013); er verdiente sein Geld mit Modefotografie. Seine schwarzweißen Aktbilder entstanden privat in seiner New Yorker Wohnung mit Freundinnen oder Geliebten; in dieser Fülle – mehr als 100 – werden sie erstmals öffentlich gezeigt.

 

Zeitlos selbstbewusste Lässigkeit

 

Einerseits sieht man ihnen an, dass sie aus den späten 1940er bis frühen 1960er Jahren stammen: Einrichtung und Ausstattung, etwa das Badezimmer, sind altmodisch und ärmlich. Andererseits wirken sie absolut zeitlos: Die Damen präsentieren sich völlig natürlich. Ihr lässiges Selbstbewusstsein fängt Leiter in ausdrucksstarken Momenten ein, wenn Blicke oder Drehungen etwas über ihr Körpergefühl verraten.


Impressionen der Ausstellung


 

Intime Ästhetik der Jazz-Ära

 

Häufig aus größerer Distanz oder im Halbdunkel; geradezu diskret, als wolle er nicht stören, während sie ruhen oder sich waschen. Oder rauchen – in diversen lasziven Varianten: Die legendäre Zigarette danach dürfte wohl bald auch zu den vergessenen Kulturtechniken zählen. Auf diesen Bildern breitet Leiter die intime Ästhetik der Ära von Jazz, Existentialismus und Beatniks aus: Birth of the Cool.

 

Samt einer Erotik, die ihre Attraktivität nicht eingebüßt hat, weil sie so unangestrengt daherkommt: Leicht zerrauftes Haar, ein wenig Schminke und zerwühlte Laken reichen aus, um Schlüsselreize auszulösen. Manche Aufnahmen hat der Fotograf farbig übermalt; eine kleine Auswahl davon lässt erkennen, wie er damit nonchalant an die 500-jährige Tradition der Aktdarstellungen in der europäischen Kunstgeschichte anschließt, von Tizian bis Degas und Renoir.

 

Lockeres Lebensgefühl der happy few

 

Ebenso natürlich, aber verschieden im Ausdruck erscheinen die Aktfotos, die Helmut Newton (1920-2004) mit seiner Frau June in den 1970/80er Jahren machte; sie arbeitete unter dem Pseudonym Alice Springs gleichfalls als Fotografin. Es sind Schnappschüsse in privater Umgebung ohne Scheu vor Peinlichkeit, wenn June nackt seilhüpft, sich breitbeinig vor einem Spiegel knipst oder Helmut gelöst in der Badewanne sitzt.

 

Bitte alles nicht todernst nehmen: Aus diesen Bildern spricht das locker unbeschwerte Lebensgefühl der Epoche – zumindest bei solchen happy few wie den Newtons. Spaß ist wichtig, kleine Schönheitsfehler nicht; selbst wenn sich der Fotograf beim EKG ablichtet.

 

Ironie bricht Hochglanz-Pathos

 

Berühmt wurde er mit völlig anderen Bildern, in dieser Schau sind es etwa 80: sorgsam arrangierte und stilisierte Tableaus, auf denen die Mannequins wie eingefroren wirken. Damit hat Newton die unterkühlte Neon-Ästhetik der 1980er Jahre geprägt wie wohl kein zweiter Modefotograf. Dass er seine Modellen gerne mit Accessoires wie Lackstiefeln, Korsagen, Latex-Handschuhen und Ähnlichem ausstattete, trug ihm Vorwürfe ein, er illustriere sexistische Fetisch- und Sadomaso-Fantasien; die notorische Alice Schwarzer nannte seine Bilder 1993 sogar „faschistisch“.

 

Solche Klagen übersahen nicht nur, dass auf Newtons Fotografien die Frauen oft dominant auftreten, sondern auch seinen Humor: Hochglanz-Pathos wird durch Ironie gebrochen. Er lässt eine Nackte in der Küche neben einer Cornflakes-Packung fast in Ohnmacht fallen; eine andere kollabiert in der Speisekammer, weil sie so viele Vorräte aufgetürmt hat.

 

Körper aktuell, Inszenierung nicht

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Peter Gowland’s Girls" - erste Retrospektive des Pin-up-Fotografie-Pioniers in den Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Bettina Rheims: Bonkers – A Fortnight in London" – glamouröse Foto-Inszenierungen weiblicher Erotik in der Galerie Camera Work, Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Alice Springs" – weltweit erste Retrospektive mit Star- + Glamour-Fotografie der Frau von Helmut Newton im Museum für Fotografie, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Doku "David Lynch: The Art Life" - Porträt des Filmemachers als Maler von Jon Nguyen, Rick Barnes und Olivia Neergaard-Holm.

 

Oder ein Model bewundert sich auf dem Bildschirm, wobei es beobachtet wird: Narziss im elektronischen Zeitalter. Oder der Witz steckt im Bildtitel: „Das weiße Perlenhalsband“ heißt ein lebensgroßer Akt mit rasiertem Schritt auf Augenhöhe des Betrachters. Übrigens trägt die Dame auch eine Perlenkette.

 

Beim Wiedersehen fällt auf: Abgesehen von Details bei Frisuren und Make-up sind Newtons makellose Körperlandschaften immer noch aktuell – seine fast theaterhaften Inszenierungen und Pantomimen nicht mehr. Die Lust am Ausprobieren erotischer Praktiken und Entdecken neuer Horizonte, die er analog bebilderte, hat sich erschöpft; weil alles mittlerweile von digitaler Pornografie über- und ausgereizt worden ist.

 

Alles sichtbar + bedeutungslos

 

Das wird an den Bildern von David Lynch (geb. 1946) deutlich; rund 25 wandfüllenden Großformate aus den 1990/2000er Jahren, die kaum als Fotografien zu erkennen sind. Denn ihre enormen Ausmaße beleuchten meist nur kleine Ausschnitte: Schultern und Schenkel, Achselhöhlen und Kniekehlen, Busen und Bauchnabel. Aufgenommen aus extremen Perspektiven; wie in seinen Filmen gibt sich der Regisseur auch bei Fotos als Freund des Exzentrischen zu erkennen.

 

Für l’art pour l’art: Jedes Kontextes beraubt, gleichen diese Aufnahmen abstrakten Farb- und Formstudien. Die Frauen, die sich dafür auszogen, verschwinden als Personen; sie tragen nur ihre Haut vor das Kameraobjektiv, ähnlich wie es auch Reklame-Modelle allein für Hände, Beine oder Ohren gibt. Alles wird in höchster Auflösung sichtbar, aber nichts hat mehr Bedeutung. Solch eine Aktfotografie, die nur noch Oberflächen abscannt, ist nicht nur aseptisch und völlig unerotisch, sondern auch willentlich inhuman.