Frankfurt am Main

Tizian und die Renaissance in Venedig

Tizian (um 1488/90–1576): Madonna mit Kind der heiligen Katharina sowie einem Hirten (Die Madonna mit dem Kaninchen), um 1530, Musée du Louvre; ©bpk / RMN. Fotoquelle: © Städel Museum, Frankfurt am Main
Weniger Tizian, mehr Renaissance: Das Städel Museum präsentiert die enorme Bandbreite der Malerei in der Lagunenstadt. Geordnet nach Genres und Sujets, was mal mehr, mal weniger überzeugt – aber alle glänzen in der einzigartigen venezianischen Farbenpracht.

Der Titel „Tizian und die Renaissance in Venedig“ enthält etwas Etikettenschwindel. Von Tiziano Vecellio (1490-1576) stammen zwar 20 der gut 100 Exponate, doch dazu zählen auch einige Grafiken und nur wenige Hauptwerke seiner Malerei. Die meisten sind zu ausladend und wertvoll, um ausgeliehen werden zu können. Eine richtige Tizian-Werkschau bietet das Städel Museum also nicht.

 

Info

 

Tizian und die Renaissance in Venedig

 

13.02.2019 – 26.05.2019

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr, donnerstags + freitags bis 21 Uhr

im Städel Museum, Schaumainkai 63, Frankfurt am Main

 

Katalog 39,90;
Begleitheft 7,50 €

 

Weitere Informationen

 

Stattdessen aber einen glänzend bestückten Überblick über die Kunst im Venedig des 16. Jahrhunderts, des cinquecento. Mit erstklassigen Bildern fast aller wichtigen Vertreter: von Giovanni Bellini über Sebastiano del Piombo, Jacopo Bassano und Lorenzo Lotto bis zu Veronese und Tintoretto. Nach eigenen Angaben zeigt das Museum die umfangreichste Ausstellung venezianischer Malerei, die je in Deutschland zu sehen war – also eher: „Die Renaissance in Venedig und Tizian“.

 

Tizianrot + Violettrot

 

Wobei dessen überragender Einfluss auf seine Zeitgenossen bei vielen Gemälden deutlich wird, etwa in der Verwendung von Tizianrot – nach welchem anderen Maler wäre je ein bestimmter Farbton benannt worden? Auch dunkles, ins Violett spielendes Rot ist typisch für venezianische Malerei. Satte, leuchtende Farben in allen Schattierungen waren ohnehin ein eigentümliches Merkmal dieser Kunst, macht die Schau deutlich.

Feature zur Austellung. © Städel Museum, Frankfurt am Main


 

Farbenhändler in der Adelsrepublik

 

Aus einfachem Grund: Als Handelsnation mit globalen Geschäftsbeziehungen importierte Venedig die besten Farbstoffe aus Übersee. Während Maler in Florenz oder Rom ihre Pigmente beim Apotheker kauften, entstand in der Lagunenstadt dafür eine eigene Berufsgruppe, die vendecolori. Seinem vermögenden Farbenhändler Alvise dalla Scala widmete Tizian sogar 1561/2 ein großformatiges Bildnis.

 

Natürlich hatte diese kulturelle Blüte eine materielle Basis. In der reichen Adelsrepublik wetteiferten die nobili um Renommee und Einfluss – ihre enormen Profite aus dem Seehandel erlaubten ihnen, die besten Künstler mit Prestigeprojekten zu beauftragen. Zudem lag die Serenissima wegen ihrer maritimen Interessen oft im Streit mit Mailand, Florenz, Rom und Neapel, den anderen Machtzentren Italiens in dieser Epoche. Das förderte die Herausbildung eines spezifischen Profils und Stils, auch in den bildenden Künsten.

 

Alleinstellung durch Tod + Abwanderung

 

Um 1500 war Tizian nicht das einzige Ausnahmetalent, das in der angesehenen Bilder-Werkstatt von Bellini arbeitete – seine Mitlehrlinge Giorgione und Sebastiano del Piombo waren ebenso hochbegabt. Doch als Giorgione 1510 der Pest zum Opfer fiel, Piombo im Folgejahr nach Rom umzog und Bellini 1516 starb, wurde Tizian zur überragenden Figur der Kunst in Venedig – so bewundert und verehrt wie Michelangelo in Florenz und Raffael in Rom. Er setzte Standards, an denen sich seine Malerkollegen orientierten; ob durch Nachahmung oder bewusste Abgrenzung.

 

Das Panorama venezianischer Malerei breitet die Ausstellung in acht thematischen Kapiteln aus – mal überzeugend, mal weniger. Anschaulich wird vorgeführt, wie sich allmählich der Bildtypus der Sacra Conversazione („Heiliges Gespräch“) entwickelte: Der Madonna mit dem Kind werden zusehends mehr Heilige beigesellt.

 

Verrutschter Horizont, subtile Stoffe

 

Bellini oder der etwa gleichaltrigen Vittore Carpaccio reihen sie noch statisch aneinander. Tizian lässt 1530 Maria mit der heiligen Katharina interagieren – die Heilige reicht ihr den Säugling – und versetzt beide samt einem Hirten in eine bukolische Landschaft. 42 Jahre später malt Veronese ein Wimmelbild voller pittoresker Details, in denen die heilige Familie fast untergeht.

 

Auch zur Herausbildung der Landschaftsmalerei leisten Venedigs Künstler wichtige Beiträge. In „Noli me tangere“ (1514) – so sprach der auferstandene Jesus, als ihm Maria Magdalena begegnete – stellt Tizian beide Gestalten in eine weiträumige Szenerie aus Bäumen und Gebäuden; da fällt kaum auf, dass ihm der Horizont verrutscht ist. Ins Auge springt, wie subtil er nur mit Weißtönen vier verschiedene Kleiderstoffe modelliert.

 

Braut, Kurtisane oder Göttin?

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Mantegna und Bellini - Meister der Renaissance" - hervorragende Ausstellung in der Gemäldegalerie, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Veronese: Der Cuccina-Zyklus – Das restaurierte Meisterwerk" in der Gemäldegalerie, Dresden

 

und hier einen Artikel über die Ausstellung "Tintoretto - A star was born" - originelle Retrospektive des Frühwerks zum 500. Geburtstag im Wallraf-Richartz-Museum, Köln

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Florenz und seine Maler - Von Giotto bis Leonardo da Vinci" - exzellenter Epochen-Überblick in der Alten Pinakothek, München

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Die Schönste der Welt − Eine Wiederbegegnung mit der Bildergalerie Friedrichs des Großen" mit Werken von Tizian in der Bildergalerie im Park Sanssouci, Potsdam.

 

Jacopo Bassano platziert 1558 Johannes den Täufer im düster sturmzerzausten Unterholz, das seine schräge Körperdrehung spiegelt. Und in Veroneses „Taufe Christi“ (1580/5) setzt die gesamte Natur das zentrale Figurenpaar in Szene, als sei es auf einer Theaterbühne.

 

Eine lokale Besonderheit der venezianischen Malerei waren die belle donne: Idealbilder weiblicher Schönheit, die keine konkrete Person darstellen sollten. Das Städel besitzt ein Prachtexemplar: Die „Flora“ (1520) von Bartolomeo Veneto wirkt mit ihrem entblößten Busen, rotgoldenen Korkenzieherlocken, turbanartigem Kopfputz, Blumen in der rechten Hand und angedeutetem Lächeln immer noch so mysteriös wie vor 500 Jahren. Ist sie eine Braut, eine Kurtisane oder eine Göttin? Man weiß es nicht.

 

Zeichnung versus Farbe

 

Mehr ist über die üppige „Dame in Blau“ bekannt, die Sebastiano del Piombo 1510/1 in teure Seide hüllte: Das Räuchergefäß, das sie hält, soll die Sinne betören. Respektheischend treten dagegen die gentiluomini auf, die für repräsentative Bildnisse in schwarzen Gewändern, schimmernder Rüstung oder Prunkornat posieren: Alle wollen souverän und machtbewusst erscheinen. Da fällt ein nervös dreinblickender Feuerkopf wie Tintorettos Selbstporträt von 1546/8 originell aus der Rolle.

 

Während die Bildauswahl alle Kapitel zu bestimmten Sujets und Genres anschaulich illustriert, lässt sich das vom künstlerischen Austausch mit Florenz oder Venedigs Wirkung auf die europäische Kunstgeschichte kaum sagen. Ein paar Männerakt-Zeichnungen erhellen nicht die florentinisch-venezianische Rivalität: In Mittelitalien galt das Primat des disegno, der Zeichnung als Entwurf; an der Lagune hingegen der Bildaufbau durch Farbe.

 

Hauptwerke hängen vor Ort

 

Zudem können zwei kleinere Gemälde von El Greco, ein Altarentwurf von Rubens oder ein Nebenwerk von Tiepolo nicht ansatzweise die immense Reichweite der venezianischen Schule aufzeigen. Kein Wunder: Sie brillierte vor allem auf Riesenformaten zu allegorischen und historischen Themen. Die meisten von ihnen hängen bis heute in Venedig.