Frankfurt am Main

Djurberg & Berg – A Journey through Mud and Confusion with small Glimpses of Air

Nathalie Djurberg & Hans Berg: Ausstellungsansicht, © Schirn Kunsthalle Frankfurt 2019, Foto: Norbert Miguletz
Marquis de Sade im Kinderzimmer: Die schwedischen Künstler Nathalie Djurberg und Hans Berg filmen extreme Gewaltfantasien mit Knetgummi-Figuren. Ihr schwer verdauliches Werk präsentiert die Schirn erstmals in Deutschland – als Trip durch eine Plastilin-Hölle.

Die Erfolgsgeschichte von Nathalie Djurberg ist so märchenhaft wie die Szenarien, aus denen sie besteht. Noch 2003 war die damals 25-Jährige, die an schwedischen Kunsthochschulen studiert hatte, eine von etlichen Nachwuchs-Malerinnen. Dann begann sie, kurze Trickfilme mit Knetgummi-Gestalten im Stop-Motion-Verfahren herzustellen; ab 2004 mit ihrem Partner Hans Berg, der dazu Filmmusik schrieb.

 

Info

 

Djurberg & Berg – A Journey through Mud and Confusion with small Glimpses of Air

 

28.02.2019 - 26.05.2019

täglich außer montags

10 bis 19 Uhr, mittwochs und donnerstags bis 22 Uhr

in der Schirn Kunsthalle, Römerberg, Frankfurt/ Main

 

Katalog 35 €

 

Weitere Informationen

 

Die ersten Arbeiten waren noch recht zahm: „The Mad Tea Party“ von 2004 zeigt ein harmloses Kaffeekränzchen, das plötzlich von einem Getränke-Tsunami überschwemmt wird. Doch bald nutzte Djurberg die unwiderstehliche Anziehungskraft von Anzüglichkeiten: In „Tiger Licking Girl’s Butt“ (2004) lässt sich ein Mädchen den nackten Hintern von einem Tiger lecken – kontextlos und sinnfrei, aber unaufhörlich. In „Florentin“ aus demselben Jahr nötigt ein Papa im Kinderzimmer seine Töchter zu pädophilie-verdächtigen Posen; sie rächen sich durch Vatermord.

 

Frauenleiche als Würmerfraß

 

Die Resonanz darauf bestärkte offenbar das Duo, diesen Weg weiter zu verfolgen: Flugs schraubte es das morbide Erregungsniveau hoch. In „Turn into Me“ (2008) wird eine Frauenleiche im Unterholz zum Fraß der Würmer und zersetzt sich zu Waldboden. Körperliche Metamorphose ist auch Thema von „Putting Down the Prey“: Im ewigen Eis verwandelt sich eine Eskimo-Jägerin in das Walross, das sie soeben erlegt hat.

Trailer zur Ausstellung; © Schirn Kunsthalle


 

Einfaches Spektakel-Rezept

 

Genauso tödlich wirken Verwandtschaftsverhältnisse: In „We Are Not Two, We Are One“ klebt ein Zwerg als siamesischer Zwilling an einem Wolf. Bei „Once Removed on My Mother’s Side“ muss eine verkrüppelte Tochter ihre fettleibige Mutter pflegen, die sie mit ihren Schwarten fast zerquetscht. Dagegen erleidet die Hauptfigur von „It’s the Mother“, wie ihre Gören alle Körperöffnungen von Brustwarzen bis Vagina aus- und aufsaugen, um darin zu verschwinden.

 

Das Rezept von Djurberg und Berg ist einfach: Man nehme einen archetypisch unheilvollen Ort – der düstere Wald, eine dunkle Kammer, die vermeintlich gute Stube – und eine archetypische Figuren-Konstellation, etwa Eltern-Kind oder Mensch-Tier. Dann walze man einen wichtigen Lebensmoment wie Geburt, Verstümmelung oder Sterben möglichst grotesk und geschmacklos aus: mit flüssigen Strömen aus allen Löchern, dazu allerlei Schäume und Salben, die schön schmieren. Fertig ist ein Spektakel, das extremste Gewaltfantasien darstellt: brutaler als jede Action, sexistischer als jeder Porno, grausamer als jeder Horrorstreifen. Und dabei völlig jugendfrei: Knetgummi ist doch nur Kinderspielzeug!

 

De Sades letal-sexuelle Gymnastik

 

Seinen internationalen Durchbruch erlebte das Duo mit der Rauminstallation „The Experiment“; sie wurde 2009 auf der Biennale in Venedig mit dem Silbernen Löwen prämiert. Um ein Dickicht aus monströsen Metall- und Plastikblumen herum sind drei Filme zu sehen, darunter „Greed“: Erst nötigen drei Kardinale nackte Frauen, sich die Haut abzuziehen und ihre Körper umzustülpen. Anschließend saugen Mönche an Riesenbusen, bis alles von Muttermilch überschwemmt wird.

 

Perverse Kirchenmänner zerlegen wie Schlachter die verfolgte Unschuld: Mit solchen antiklerikalen Klischees hatte bereits der Marquis de Sade sein Werk gefüllt, um gängige Moral auf den Kopf zu stellen. Und darin eine Art letal-sexueller Gymnastik durchdekliniert, in der jedes Loch in allen Stellungen penetriert wird bis zum Exitus. Solchem Wiederholungszwang der Variationen ist auch das Künstler-Paar verfallen: In „Delights of an Undirected Mind“ (2016) müssen bösartige Kuscheltiere im Kinderzimmer alle Schweinereien ausagieren, die sich ihre Schöpfer wahrscheinlich ausgedacht haben, während sie mit endlosen Basteleien beschäftigt waren – Stopptrick-Filme sind sehr arbeitsintensiv.

 

Unscheinbar wirkende Zeitgenossen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der der Ausstellung "Queensize – Female Artists from the Olbricht Collection" über weibliche Körper-Bilder mit einem Beitrag von Nathalie Djurberg im me Collectors Room, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Afterimages – Nachhall der Schwarzen Romantik in der Film- und Videokunst" mit einem Werk von Nathalie Djurberg in der Kunstsammlung Jena

 

und hier einen Beitrag über den Film "Shaun das Schaf – Der Film" – herrlich fantasievoller Stop-Motion-Animationsfilm aus den Aardman-Studios von Mark Burton + Richard Starzak.

 

Arme Schweden! Scheinbar ist das Dasein in ihrem rundum voll versorgten und abgesicherten Volksheim so langweilig, dass es nur durch abartige Gedankenspiele erträglich wird – seien es die berüchtigt nihilistischen Schweden-Krimis oder solche Plastilin-Orgien. Übrigens sehen Djurberg und Berg wie harmlose, etwas unscheinbare Zeitgenossen aus; vermutlich sind beide Nichtraucher und Vegetarier. Sie wirkt patent und kann gewiss hervorragend handwerken. Er fummelt die Klänge für Filmmusik geduldig am Computer zusammen. Inzwischen wohnen beide in Berlin; ob sich der Umzug für ihr Schaffen gelohnt hat?

 

Jedenfalls haben sie verstanden, dass ihr Splatter-Kosmos auf Dauer furchtbar öde wird. Doch Versuche, ihr Repertoire zu erweitern, wirken ratlos: Großinstallationen mit integrierten Filmprojektionen wie „The Potato“, die einem begehbaren Campingwagen ähnelt, oder „The Parade“ mit 82 Vogel-Skulpturen geraten zu Materialschlachten mit quietschbunten Pappkameraden. Neuere Videoclips verbreiten wohlfeile Konsumismus-Kritik oder schwelgen in Selbstzitaten. Derzeit experimentiert das Paar unbeholfen mit „Virtual Reality“ herum, wie jeder Unterhaltungs-Konzern mit Absatzproblemen.

 

Letzte Hilfe: Titten ins Blatt!

 

Vielleicht endet ihr Erfolgsmärchen mit Trash-Filmchen aus der Knetgummi-Hölle demnächst. Als Kontrapunkte in sonst eher nüchternen Themen-Ausstellungen mögen sie für wohlig gruslige Abwechslung sorgen, doch als volle Dröhnung wie in der Schirn sind sie schwer erträglich. Warum die Kunsthalle diese Übernahme aus Stockholm als erste Werkschau des Duos in Deutschland präsentiert, lässt sich nur erahnen. Eine alte, zynische Presse-Maxime lautet: „Wenn nichts anderes mehr hilft: Titten ins Blatt!“