Sandra Maischberger

Keine larmoyante Opfergeschichte

Sandra Maischberger. Fotoquelle: wikipedia.org
TV-Moderatorin Sandra Maischberger hat den Spielfilm "Nur eine Frau" über den so genannten Ehrenmord an der Kurdin Hatun "Aynur" Sürücü 2005 in Berlin produziert. Damit wollte sie endlich das Geschehen aus Aynurs Sicht darstellen, erklärt Maischberger im Interview.

Frau Maischberger, die meisten kennen Sie als Moderatorin der gleichnamigen Talkshow, doch „Nur eine Frau“ ist nicht der erste Film, den Sie produziert haben. Warum machen Sie beides?

 

Das läuft halbe-halbe; dabei arbeite ich für meine Sendung jeden Tag sehr intensiv. Von meinem Selbstverständnis her bin ich in erster Linie Journalistin und dann Moderatorin. Außerdem bin ich seit 20 Jahren Geschäftsführerin der „Vincent TV GmbH“, mit der wir Filme herstellen; vor allem Reportagen und Dokumentationen. Als Fernsehjournalist kommt man manchmal an den Punkt, keine Bilder zu haben, um eine Geschichte zu erzählen – was macht man dann?

 

Info

 

Nur eine Frau

 

Regie: Sherry Hormann

90 Min., Deutschland 2019;

mit: Almila Bagriacik, Meral Perin, Rauand Taleb

 

Website zum Film

 

Lässt man es sein, oder findet man eine andere Form? Deshalb machen wir seit vielen Jahren Dokudramas. Etwa 2013 über den blinden Bürstenfabrikanten Otto Weidt aus Berlin, der Juden gerettet hat, mit Edgar Selge in der Hauptrolle. Oder 2017 über die Spionin Mata Hari. „Nur eine Frau“ ist unser erster richtiger Spielfilm fürs Kino.

 

Filme beginnen, wo Journalismus aufhört

 

Moderation allein genügt Ihnen also nicht?

Ich mache beides gerne, aber Moderation und Journalismus geht nur bis zu einem gewissen Punkt. Die tiefere Beschäftigung mit einem Thema hat mich zum Filmemachen gebracht. Das hilft mir, neue Welten zu entdecken, was mir wiederum als Moderatorin zupass kommt. Außerdem ist man als Moderatorin immer davon abhängig, den Fernsehgewaltigen zu gefallen. Filmproduktion ist eine sehr vielfältige Aufgabe, die oft in kleine Details reicht: von der Finanzierung bis zur Dreherlaubnis für eine Moschee.

Offizieller Filmtrailer


 

Name half bei Verleiher-Suche

 

Öffnet Ihr Name Türen oder Förder-Geldbeutel?

 

Manchmal werfe ich meinen Namen in die Waagschale – und das hilft oft. Es öffnet Türen, schlägt aber auch welche zu. Einige denken, da kommt die Talkshow-Tante und will jetzt auch noch Filme produzieren. Doch mein Name half definitiv, unseren Verleiher zu finden; dafür hatten wir nur eine sehr kurze Frist. Ich rief Christoph Ott vom NFP-Verleih an, den ich nicht kannte, und erklärte ihm die Lage: Wir bräuchten innerhalb von 48 Stunden eine Verpflichtungserklärung. Er fragte scherzhaft, ob er zuvor noch das Drehbuch lesen könne.

 

„Das ist auch meine Geschichte“

 

Wie nahe geht Ihnen dieses Thema?

Ich lebe in Berlin, fahre U-Bahn und bin vor allem mit unserem Verein „Vincentino“ an Brennpunktschulen unterwegs. Seit elf Jahren machen wir dort Medien- und Musikprojekte. Da komme ich sehr häufig mit Klassen in Kontakt, die einen sehr hohen Migrationsanteil haben; mit Lehrern und mit Schülern, die zwischen allen Welten stehen. Deshalb ist mir das Thema vertraut. Ich kenne Familien, in denen über das Kopftuch gestritten wird, oder in der eine Tochter mit 16 Jahren ihren Cousin geheiratet hat.

 

Eine Bekannte von mir mit türkisch-kurdischem Hintergrund ist heute in den Vierzigern. Ich bat sie, unser Drehbuch zu lesen; sie sagte danach: „Das ist auch meine Geschichte.“ Allerdings gestattete ihre Familie, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen. Die allermeisten Muslime, die ich kenne, leben so; mit eigenen Traditionen und Bräuchen, aber nicht mehr oder weniger gesetzestreu als ihre deutschen Nachbarn. Doch diejenigen, die es nicht tun, sind in den letzten Jahren nicht leiser geworden – angefeuert durch einen politischen Islam, der Raum greift und dessen Auswirkungen wir hier spüren.

 

In Deutschland nie akzeptiert gefühlt

 

Wie ist es in den Schulen?

Ich gehe in Grundschulen, wo Mädchen Kopftücher tragen; das sah ich so vor 20 oder 25 Jahren nicht. Zwangsheiraten und andere Formen, nicht über das eigene Leben bestimmen zu dürfen, sind ein Thema. Was auch mit einer Einwanderer-Generation zu tun hat, die sich in Deutschland nie akzeptiert fühlte und nun muslimische Wurzeln überbetont oder plötzlich mit einer fundamentalistischen Auslegung aufwartet. Dazu kommt weiterer Zuzug aus Kulturen mit patriarchalischen Strukturen. Und eine harte Gegenbewegung der politischen Rechten, die ebenfalls dazu führt, dass sich Leute eher gegeneinander abschotten. Diese Entwicklung hat viele Gründe und gefällt mir nicht.

 

Es geht um patriarchalische Strukturen

 

Welche Haltung nimmt Ihr Film dazu ein?

Dieser Film handelt nicht von Christen und Muslimen, sondern von Fundamentalisten und Liberalen. Nicht von Religion, sondern von Traditionen: von patriarchalischen Strukturen und dem Recht jedes Menschen auf Selbstverwirklichung. Er handelt vom Kampf von Frauen gegen Unterdrückung und Fremdbestimmung, den es seit jeher gibt. Diese patriarchalischen Strukturen verkleiden sich in Riten, Traditionen und Religionen. Deshalb steht Aynurs Geschichte für die Geschichte vieler Frauen, die sich überall zu verschiedenen Zeiten dagegen gewehrt haben.

 

Bei Neuankömmlingen Regeln durchsetzen

 

Solche Prozesse der Selbstbefreiung scheinen in Wellen zu verlaufen; wo stehen wir heute?

 

Mir scheint, dass wir einen Scheitelpunkt erreicht haben, von dem aus die Entwicklung rückwärts verlaufen könnte; auch aus Gründen, die wir selbst zu verantworten haben. Ich finde beispielsweise das Frauenbild auf Instagram einfach nur schauderhaft: Da geht es nur um Nagellack und gutes Aussehen.

 

Auch Clan-Strukturen sind wieder stärker geworden; übrigens auch bei EU-Ausländern und nicht nur bei Moslems. Ahmed Mansour, deutsch-israelischer Psychologe arabischer Herkunft, betont: „Seht genau hin, wer neu gekommen ist!“ Mit ihm haben wir beim Drehbuch zusammengearbeitet. Er sagt: Schaffen wir es nicht, bei allen Neuankömmlingen ein Regelwerk durchzusetzen, werden wir Probleme bekommen – und damit hat er recht.

 

Frau spricht selbst statt Männer über sie

 

Der Film wird aus Sicht der ermordeten Aynur erzählt; warum?

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Nur eine Frau"

 

und hier eine Besprechung des Films "Mustang" – komplexes Zwangsheirats-Drama in der Türkei von Deniz Gamze Ergüven

 

und hier einen Bericht über den Film "Ein Junge namens Titli" – brillanter Kleingangster-Krimi über Zwangsheirat in Indien von Kanu Behl

 

und hier einen Beitrag über den Film "Der Junge Siyar" – Drama über Zwangsheirat + Ehrenmord unter irakischen Kurden im Exil von Hisham Zaman

 

und hier einen Artikel über den Film "Die langen hellen Tage" - Coming-of-Age-Drama über Brautraub + Zwangsheirat in Georgien von Nana Ekvtimishvili + Simon Groß.

 

Um ihre Sicht der Dinge darzustellen! Als Journalistin habe ich die beiden hervorragenden Dokumentarfilme über sie gesehen, doch da kommen lauter Männer zu Wort. Warum wohl? Die haben überlebt. Aynur hat nicht überlebt und kann ihre Sicht nicht schildern. In Dokudramen sprechen immer der oder die Täter. Um diese Unwucht zu vermeiden, entstand die Idee, sie selbst erzählen zu lassen. Dafür gibt es viele Zeugenaussagen von ihrer besten Freundin sowie der Kronzeugin; außerdem die der Brüder.

 

Auch ihr Meister in der Lehre und ihr Freund haben sie beschrieben, das Jugendamt hat eine ganze Akte geführt. Also entschieden wir uns radikal dafür, ihre Perspektive einzunehmen. Auf diese Art und Weise kann sie als junge Berliner Frau ihre Geschichte mit einer gewissen Rotzigkeit erzählen – und eben nicht larmoyant. Es ist keine Opfergeschichte. Sie sagt: Das bin ich; das ist, was ich in meinem Leben wollte – und soweit bin ich damit gekommen. 

 

2017 wurden zwei der drei Brüder von Aynur in Istanbul aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

In Deutschland ja auch; damit gelten sie als unschuldig, wenn man so will.

 

Gerichtsurteile sind zu respektieren

 

Sie kennen die Indizienlage. Wie stehen Sie dazu?

 

Meinem Rechtsempfinden entspricht der Film. Ich glaube an das Recht, auch wenn man vor Gericht und auf Hoher See in Gottes Hand ist. Wer weiß, ob andere Richter anders entschieden hätten? Wir haben die Setzung des Gerichts zu respektieren; das ist meine Haltung. Wenn eine Schuld nicht ausreichend bewiesen werden kann, ist das einfach so.

 

In diesem Fall könnte man Kritik an der Justiz üben, was viele tun, weil Belege unterschiedlich gewichtet und gewertet wurden. Deshalb gab es eine Wiederaufnahme des Verfahrens, aber da waren die beiden Brüder schon in die Türkei geflohen. In Istanbul war dann die Kronzeugin nicht mehr greifbar. Im Film sagt Aynur sehr klar, was ein Vorteil der subjektiven Erzählweise ist: Alles, was ich erzähle, hat ein Gericht als nicht beweisbar betrachtet. Anhand der Akten lässt sich aber eine andere Geschichte rekonstruieren. Die setzen wir neben die gerichtlich festgestellte.