Philipp Eichholtz

Kim hat einen Penis

Kim (Martina Schöne-Radunski) informiert sich im Sexshop über Spielzeug für ihren neuen Penis. Foto: Darling Berlin
(Kinostart: 13.6.) Macho-Pfiffe einfach wegpinkeln: Kims neues Genital macht manches leichter. Anderes nicht: Ihr Kuschelbär-Freund bleibt überfordert. Regisseur Philipp Eichholtz' smarte Komödie über Geschlechterrollen gerät am Ende ein wenig konventionell.

Sich ein neues Geschlechtsteil zu besorgen, ist in dieser Independent-Komödie so einfach, wie eine Pizza beim Lieferservice zu bestellen. Dabei sind die ersten Minuten dieses Films in ihrer lapidaren Zuspitzung wirklich sensationell!

 

Info

 

Kim hat einen Penis

 

Regie: Philipp Eichholtz,

86 Min., Deutschland 2018;

mit: Martina Schöne-Radunski, Christian Ehrich, Stella Hilb

 

Weitere Informationen

 

Die burschikose Berlinerin Kim (Martina Schöne-Radunski) ist in der Schweiz auf Durchreise. Dort schaut sie bei einer Klinik vorbei, über die sie sich schon im Internet informiert hat, und sagt dem Arzt klar, was sie will: einen Penis. Der Mediziner redet über Hormonbehandlung. Nein, darum gehe es ihr nicht, betont Kim: Sie wolle nur einen Penis. Ohne vorbereitende Behandlung sei das erst recht kein Problem, entgegnet der Arzt: Wie wäre es mit einem Termin um 16 Uhr? Kim bekommt ihr neues Genital noch am gleichen Tag.

 

Beförderung + Glied begießen

 

Die junge Frau, so erfahren wir bald, ist Pilotin; gerade wurde sie befördert. Also empfängt ihr Freund Andreas (Christian Ehrich), ein dicklicher, netter, vielleicht etwas zu weichlicher Typ, sie am Flughafen mit einem Blumenstrauß. Zuhause entkorkt der Lehrer eine Flasche Wein – nicht ahnend, dass Kim etwas ganz Anderes feiert als er.

Offizieller Filmtrailer


 

Keine Instant-Befriedigung

 

Als Kim mit der Sprache rausrückt, muss er erst einmal schlucken. Sie wundert sich, dass er ihren Enthusiasmus gar nicht teilt – obwohl sie doch jetzt so schön experimentieren könnten! Überhaupt sei der Eingriff innerhalb der ersten Monate reversibel. Zwar schafft der Penis auch bei Kim nicht die Instant-Befriedigung, die sie sich davon erhofft hat. Doch Andreas, zeichnet sich bald ab, bleibt völlig überfordert.

 

Leider fehlt den beiden auch die nötige Privatsphäre. Ausgerechnet jetzt zieht nämlich eine gute gemeinsame Freundin bei ihnen ein, die distanzlose Anna (Stella Hilb). Ihr Partner hat gerade eine andere geschwängert; sie bringt also ihre eigenen Probleme in die frisch gebackene Dreier-WG.

 

Sich gegen soziale Erwartungen wehren

 

Dann gibt es in diesem unterhaltsamen Personal noch Kims übergriffigen Bruder; der spießige Makler kann nicht zwischen seinen und ihren Lebensträumen unterscheiden. Er will ihr unbedingt ein hübsches Häuschen am Stadtrand beschaffen. Mit Garten – für Kinder, die sich hoffentlich bald einstellen werden. Dabei will Kim keine Kinder, ihr Freund jedoch schon; nur hat der nette Schluffi das scheinbar nie ausgesprochen.

 

Auch wenn es nie offen thematisiert wird: Man gewinnt den Eindruck, dass Kims Wunsch nach einem Penis nicht nur ihrer Sehnsucht nach neuen Erfahrungen entspringt – sondern sie zugleich auf soziale Erwartungen an sie als Frau reagiert. Kims Penis sorgt also nicht nur für Verwirrung; er schafft in manchen Punkten auch Klarheit. Und stellt auf angenehm undogmatische Weise interessante Fragen, etwa: Was hat die Persönlichkeit eines geliebten Menschen mit dessen Geschlecht zu tun?

 

Keine queere Perspektive

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Liebe Mich!" - charmantes Low-Budget-Beziehungsdrama unter Twentysomethings von Philipp Eichholtz

 

und hier eine Besprechung des Films "Eine fantastische Frau – Una Mujer Fantástica" - beeindruckendes Transsexuellen-Drama in Chile von Sebastián Lelio

 

und hier einen Beitrag über den Film "Laurence Anyways" – bewegend romantisches Transsexuellen-Liebesdrama in Montréal von Xavier Dolan

 

und hier einen Beitrag über den Film "Ich fühl mich Disco" – schwungvolle Coming-Out-Komödie in Ostberlin von Mumblecore-Spezialist Axel Ranisch.

 

Trotzdem sollte man nicht übersehen, was dieser Film alles nicht ist. Schließlich weckt allein der Titel Erwartungen, die nicht erfüllt werden; zum Beispiel spielt Sex kaum eine Rolle. Zudem handelt diese Komödie – anders als man vermuten könnte – weder von inneren Konflikten eines trans- oder intersexuellen Menschen noch von seinem Kampf um Anerkennung. Eine queere Perspektive hat Regisseur Philipp Eichholtz nicht; entsprechende Debatten reißt er allenfalls etwas windschief an – wenn etwa der Gender-Begriff für das biologische statt das soziale Geschlecht verwendet wird.

 

Dennoch hat Eichholtz‘ spielerischer Umgang mit dem Thema, seine „Warum eigentlich nicht?“-Haltung, etwas Erfrischendes. Der Regisseur wird dem so genannten „German Mumblecore“ zugerechnet; diese junge Spielart des Autorenfilms arbeitet mit kleinen Budgets und setzt auf Improvisation. Anders als manche seiner „Mumblecore“Kollegen mit ihrer spröden Beiläufigkeit bemüht sich Eichholtz allerdings um klare Bilder und pointierte Dialoge.

 

Gewalt gut gelaunt ausblenden

 

Damit gelingen ihm bisweilen kalauerhafte, oft aber smarte Beobachtungen. Dass der Regisseur gar nicht beansprucht, realitätsnah zu bleiben, sondern eher gedankliche Spielräume eröffnen will, zeigt etwa eine Szene, in der Kim einigen Bauarbeitern mit ihrem neuen Genital einfach vor die Füße pinkelt – damit sie ihr künftig nicht mehr nachpfeifen, wenn sie vorbeijoggt. Ob eine solche Situation nicht auch gewalttätig eskalieren könnte? Diese Frage blendet der Film gut gelaunt aus.

 

Gegen Ende bleibt er auch nicht mehr so kurzweilig. Dann rückt in den Vordergrund, inwieweit Wünsche des Partners in die eigene Lebensplanung einbezogen werden müssen, wenn man zusammenbleiben will. Das ist banaler und konventioneller, als die Ausgangssituation erwarten lässt.