Rostock

Kunsthalle Rostock 69/19 – Ein halbes Jahrhundert für die Kunst + Palast der Republik

Dieter Urbach: Palast der Republik, Innen, Lichtshow 1974, Silbergelantinepapier, Fotomontage auf Karton, 70 x 100 cm, Berlinische Galerie - Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur. Foto: Kai-Annett Becker. Fotoquelle: Kunsthalle Rostock
Volkskammer trifft White-Cube-Flair: Zu ihrem 50. Geburtstag blickt die Kunsthalle Rostock zurück und vermittelt eine Menge über DDR-Kunst. Eine zweite Ausstellung bietet widerstreitende Perspektiven auf den ehemaligen Berliner Palast der Republik.

Zum 50. Geburtstag wirft sich die Kunsthalle Rostock ein Gewand über, das zu denken gibt. Die Künstlerin Bettina Pousttchi überformt die Außenfassade des 1969 eröffneten Museumskubus mit bedruckten Planen. Und schwupps steht er wieder da, der Palast der Republik. Jedenfalls fast. Verschwinden und Standhalten? Die Kunsthalle blickt mit einer Doppelausstellung zurück in die Zukunft.

 

Info

 

Kunsthalle Rostock 69/19 – Ein halbes Jahrhundert für die Kunst

 

Weitere Informationen

 

Palast der Republik – Utopie, Inspiration, Politikum

 

01.06.2019 - 13.10.2019

täglich außer montags

11 bis 18 Uhr

in der Kunsthalle Rostock, Hamburger Straße 40

 

Weitere Informationen

 

In einer kompakten Rückschau zeigt sie im neuen Schaudepot fünf Jahrzehnte „Kunsthalle Rostock – Ein halbes Jahrhundert für die Kunst“. Zu sehen sind Highlights aus der eigenen Sammlung, chronologisch nach Anschaffung sortiert. Die Architektur der Kunsthalle selbst gibt es als größtes Exponat quasi dazu. In ihren großzügig fließenden Räumen breiten sich parallel die Erinnerungen an einen anderen Kulturpalast aus: den Palast der Republik – in Relikten, künstlerischen Kommentaren und Dokumenten.

 

Gespiegelt im Schwanenteich

 

Der einzige Museumsneubau, den die DDR sich leistete, steht in Rostock, weit außerhalb der pittoresk herausgeputzten Altstadt. Da wo sich die Einfamilienhäuser reihen, spiegelt sich die Kunsthalle im Schwanenteich, um den Jogger herumlaufen. Ein schmuckes Stück DDR-Moderne: unten der regionaltypische Backstein, den schon die Hansekaufleute nutzten, oben geometrische Kunststeinreliefplatten in Segeltuchweiß.

Feature zur Ausstellung "Palast der Republik". © MV1


 

Zeitreise mit Patina

 

Die verglaste Eingangsfassade lässt den Blick bis in den zentralen Innenhof gleiten. Draußen räkeln sich, wie eh und je, die Aktskulpturen von Jo Jastram, Fritz Cremer und Eric Poulsen. Aber letzten Herbst hat die Kunsthalle Zuwachs durch einen coolen Erweiterungsbau bekommen, genannt „Schaudepot“. Dessen transparente Vorhängefassade schmückt ein luftiges Printmuster, das die Rastergeometrien des Altbaus respektvoll aufnimmt.

 

Der Fünf-Millionen-Neubau bietet modernste Klimabedingungen für den wertvollen Sammlungsbestand und lässt sich auch für Sonderausstellungen nutzen. Das wird die Kunsthalle brauchen, denn nächstes Jahr steht die überfällige Generalsanierung des denkmalgeschützten Haupthauses an. Bis dahin lässt sich noch die originale, patinöse Bausubstanz erfahren, vom Stäbchenholzparkett und den Industrieglasdecken im Obergeschoss bis zu den himmelblauen WC-Kacheln. Eine Zeitreise.

 

Einst Domizil der Biennale

 

Nur das Café atmet keine Ostalgie, sondern Kaffeeduft der Gegenwart. Begonnen hatte alles mit politischem Kalkül. Die junge DDR, der es in der Staatengemeinschaft an Anerkennung mangelte, rief in den 1950er Jahren die „Ostseewochen“ ins Leben, um sich im Reigen der nichtsozialistischen Anrainerstaaten öffentlichkeitswirksam in Szene zu setzen: mit Volksfesten, Leistungsschauen, Kongressen und selbstverständlich auch mit Kunst.

 

Daraus entstand die „Biennale der Ostseeländer“, ein Schaufenster internationaler Gegenwartskunst. Ungeachtet der offiziell immer wieder eingeforderten Realismus-Programmatik zeigten die Partnerländer wie Dänemark, Island, Schweden und die BRD auch abstrakte Kunst. Der Kunsthallenkubus wurde ursprünglich nur als Domizil für diese Biennale erbaut.

 

Neue Sachlichkeit trifft Regionalität

 

Gründungsdirektor Horst Zimmermann, im offiziellen DDR-Kunstbetrieb und mit der Stasi wohlvernetzt, begann trotzdem schon 1965, eine ständige Sammlung aufzubauen. Heute zählt Museologin Heike Heilmann 520 Gemälde, 200 Skulpturen und 6000 Grafiken zum Bestand des Hauses. Für die Jubiläumsschau hat sie zudem Statistiken, Fotos, Ausstellungsplakate, Presseberichte und Besucherbücher durchforstet.

 

Im nüchternen White-Cube-Flair des Schaudepots gruppieren sich dazu wichtige Kunstwerke in Dekadenschritten. Die auf DDR-Kunst konzentrierte Sammlung setzt mit Expressivem und Neusachlichem aus den 1920er Jahren und der nordostdeutschen Region an: Egon Tschirchs farbexplosive „Warnowfischer“ oder das herbe Selbstbildnis der hochinteressanten Malerin Kate Diehn-Bitt – sie ist der Neuen Sachlichkeit zuzurechnen – stehen dafür ein. 

 

Landschaften und Publikumslieblinge

 

Aber das Gros der Kollektion machen die großen und kleinen Namen aus den Brennpunkten des DDR-Kunstgeschehens aus, Künstler aus Leipzig, Dresden, Halle und Berlin. Ein kleinteiliger Willi Tübke ist vorhanden und eine wunderschöne, frühe Landschaft des abstrakten Altmeisters der DDR, Hermann Glöckner. Auch sonst ist viel Landschaft zu sehen: grüne Bäume, graue Häuser, mecklenburgisches Flachland. Ein Strandstillleben mit Muschel und ein Schreibtischstilleben mit der Zeitung „Neues Deutschland“.

 

In der Straßenbahn kuscheln sich zwei junge Leute aneinander, präzis und nüchtern von Ulrich Hachulla gemalt: DDR-Alltag. Zu den Rostocker Publikumslieblingen gehört seit eh und je Theodor Rosenhauers kleines Stillleben „Brot und Wein“ von 1967, gemalt in der typischen, rauen, schrundigen Malweise des Dresdners. Früher hingen solche Werke in der Dauerausstellung, Basiskost.

 

Besser ein Autohaus?

 

Dann kam die Wende. Was das für die Kunsthalle bedeutete, lässt sich in der Ausstellung ebenfalls nachvollziehen: Die entlassene Direktorin wurde durch eine neue Chefin aus dem Westen ersetzt. Nun zogen in die flexibel bespielbare Architektur des Kunsthallenkubus experimentellere Kunstformen, Installationen und abstrakte Positionen ein, was das eingefleischte Rostocker Publikum vergrätzte.

 

Christo und Jean-Claude gastierten in Rostock, Nagelkünstler Günther Uecker und beinahe auch Julian Schnabel. Zum Eklat wurde die vorletzte Ostsee-Biennale 1992, wo Raffael Rheinsberg mit einer spröden Container-Installation die Gemüter erhitzte. Derweil schrumpfte der Kunsthallen-Etat ebenso rapide wie die Besucherschar, die einst jährlich 100.000 zählte. Plötzlich stand die Existenz der Kunsthalle auf dem Spiel. Warum nicht ein Autohaus daraus machen?

 

Traditionelles Profil trifft Crossover-Projekte

 

Beinahe wäre das Museum verschwunden. Was es rettete, war letztlich die Sammlung: eine substanzielle Kollektion von DDR-Kunst. Auch nach der Wende wuchs sie rapide weiter, durch Stiftungen, Schenkungen, Übereignungen. Ein Ankaufsetat ist praktisch nicht vorhanden. Seit einem Jahrzehnt steuert der Verein „Pro Kunsthalle“ die Institution, unter der Regie von Uwe Neumann, der vom Zahnarzt zum engagierten Kunsthallendirektor avancierte.

 

Das traditionelle Profil mit figurativer Kunst ostdeutscher Prägung bedienen Ausstellungen zu Willi Sitte und Fritz Cremer, zu Ulrich Hachulla und Michael Triegel. Sie sind auch jetzt in der Jubiläumsschau vertreten. Auf ein jüngeres Publikum zielen Crossover-Projekte wie unlängst eine Kooperation mit der Rostocker Uni, eine Schau zwischen Science-Lab und Kunstinstallation.

 

Vielschichtiger Palast

 

Die für klassische Skulpturen und Gemälde optimierte Architektur der Kunsthalle eignet sich mit ihren weiten, offenen Räumen für vieles: Ein Haus mit menschlichem Maß, das seine Besucher nicht mit einem Zuviel an Eindrücken überfordert, sondern Raum lässt zum Nachdenken, Betrachten, Debattieren. Auch über die eigene Geschichte dieses Stücks DDR-Kultur in sich wandelnden Zeiten.

 

Der Palast der Republik dagegen ist verschwunden. Nur noch als Nachhall und in Bildern lässt sich davon erzählen. Unter dem Titel „Utopie Inspiration Politikum“ will Ausstellungskuratorin Elke Neumann die „vielfältigen Facetten“ des umstrittenen Bauwerks umreißen. Originalkunst und Relikte aus dem Palast sind ebenso zu sehen wie künstlerische Arbeiten, die sich kritisch mit diesem architektonischen Symbol der Macht befassen.

 

Verrätselt trotz kampferischer Rhetorik

 

Vier der gewaltigen Gemälde aus der Palastgalerie sind angereist. Bernhard Heisig lässt noch einmal seinen nackten Ikarus übers blitzblaue Meer fliegen, immer am Rand des Absturzes. Willi Sitte hält eisern „Die rote Fahne“ hoch, verkeilt zwischen Leidenspathos und Kampfrhetorik – und trotz stilistischer Picasso-Zitate linientreu. Werner Tübke dagegen gibt mit idealschönen Aktfiguren den Michelangelo-Wiedergänger. Verständlich und volksnah, wie offiziell gefordert, war diese verrätselte Kunst nicht.

 

Heute gehören diese modernen Historienbilder der Bundesrepublik, ebenso wie die vielen Landschaftsgemälde, die in den Arbeitsräumen der Volksvertreter hingen, vom Dresdenpanorama bis zur Ostseewerft. Aber der zwischen 1973 und 1976 errichtete Palast war nicht nur Sitz der Volkskammer und ein Ort für den Machtapparat, sondern eben auch Partyzone für die Bevölkerung, mit Gastronomie, Veranstaltungsprogramm und Bowling – durchaus auch ein Ort privater Erinnerungen.

 

Achtlos verstaut

 

Teppichbodenreste leuchten mit ihrem Dreieckmuster in senfgelb, apfelgrün oder orange. Das Farbsystem half einst den Besuchern, sich in den Etagen der politisch instrumentalisierten Vergnügungsmaschinerie zu orientieren. Jetzt lässt Künstler Fred Rubin die Rundbar aus dem dritten Stock als drehbare Installation wiederauferstehen.

 

Das Tanzbodenmuster der Disko im Jugendtreff rotiert als Drehscheibe collagierter Erinnerungen. Das Originalmobiliar aus dem Palast dagegen zeigt, teils arg ramponiert, nicht nur seine Nutzungsspuren, sondern auch den achtlosen Umgang nach der Wende. Weggeschafft und behelfsmäßig verstaut wurden etwa die modernen Stapelstühle, Nachfahren der Bauhaus-Stahlrohrmöbel.

 

Diskussion um die sozialistische Stadtmitte

 

Auch zwei Pulte aus dem DDR-Volkskammersaal sind da, vergilbte Gobelins. Und natürlich die leuchtenden Glaskugeln, die dem Palast den Spottnamen „Erichs Lampenladen“ eintrugen. Modern wollte dieser Multifunktionsbau sein, prächtig und zugleich volksnah: ein Aushängeschild des sozialistischen Systems.

 

Seiner Eröffnung voraus ging ein jahrzehntelanges Gezerre zwischen der Politik und Planern um die Ausgestaltung der sozialistischen Stadtmitte. Ein anfangs anvisiertes Regierungshochhaus als städtebauliche Dominante machte dem flachen Palast-Konzept Platz. Die hochragende Vertikalfunktion übernahm stattdessen der 1969 eingeweihte Fernsehturm als technoider Leuchtturm des ostdeutschen Systems.

 

Heitere Besucherströme, menschenleere Säle

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Hinter der Maske - Künstler in der DDR" - im Museum Barberini, Potsdam

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Wolfgang Mattheuer - Bilder als Botschaft" – Retrospektive eines der bekanntesten DDR-Künstler in der Kunsthalle Rostock

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Norbert Bisky – Zentrifuge" – Werkschau eines Hauptvertreters der "Neuen Leipziger Schule" in der Kunsthalle Rostock

 

Wie sich der verglaste, golden spiegelnde Baukörper des Palasts der Republik in die Stadt und ins Leben der DDR-Bürger einfügte, reflektieren in der Ausstellung Gemälde und Fotografien. Gerd Danigel fotografierte 1980 in seinen Interieurs Momente der Langeweile und Melancholie, Thomas Sandberg heitere Besucherströme.

 

Günther Brendel malte in seinen Stadtansichten den Baublock als Fixpunkt urbaner Magistralen. Der subversive Fotograf Kurt Buchwald dagegen ließ den Palast auf seinen „Störbildern“ 1986 hinter einem schwarzen Mantelträger verschwinden. Dann kamen die Demonstrationen und künstlerischen Besetzungen der Wende und Nachwendezeit. Der amerikanische Fotograf Doug Hall zeigt 1992 die menschenleeren Säle, als Möglichkeitsraum zwischen Vergangenheit und Zukunft.

 

Langsames Verschwinden

 

Seit 1990 geschlossen, dann asbestsaniert und entkernt, diente der leere Rohbau zwischen 2003 bis 2005 noch einmal als Schauplatz für Hunderte von Veranstaltungen. Lars Ramberg ließ die Leuchtbuchstaben „ZWEIFEL“ auf dem Dach aufscheinen. 2006 beschloss der deutsche Bundestag den Abriss, kritischen Stimmen zum Trotz.

 

Zwei Monate länger als die Bauphase dauerte es, den Palast der Republik zum Verschwinden zu bringen. Ein großer Linolschnitt Claas Gutsches von 2013 verewigt in hartem Schwarzweiß die Sicht durchs Foyer, vorbei an den Stabkugelleuchten, auf das entfernte Staatswappen an der Glasfassade. Was bleibt? In der Realität ist der Palast der Republik ausradiert. Aber die Kunst erinnert.