Exotische Fremdsprachen zu beherrschen, etwa das Finnische, kann mitunter zu einer literarischen Weltkarriere führen – das zeigt das Biopic „Tolkien“ recht anschaulich. Dazu kamen in diesem konkreten Fall noch reichlich Fantasie und Fabulierlust. Und es entstand ein neues Literatur-Genre: der Fantasy-Roman! Das sah der Universitätsprofessor J.R.R. Tolkien (1892-1973) vermutlich nicht kommen, als er 1930 den ersten Satz seines „Hobbits“ zu Papier brachte; der Roman erschien 1937. Während des Zweiten Weltkriegs schrieb er dann an einem Nachfolgeprojekt, aus dem die noch berühmtere „Herr der Ringe“-Trilogie (1954/55) werden sollte.
Info
Tolkien
Regie: Dome Karukoski,
110 Min., USA 2019;
mit: Nicholas Hoult, Lily Collins, Colm Meaney
Vom Landleben in den Schützengraben
Zum Auftakt irrt Tolkien mit Fieber auf der Suche nach einem Jugendfreund durch die Schützengräben an der Somme. Im weiteren Verlauf wird dieses Motiv als Rückblende immer wiederkehren. Dazwischen behandelt die Geschichte weitgehend chronologisch die frühen Jahre des John Ronald Reuel Tolkien. Geboren wird er in Südafrika; die Familie kehrt bald nach England zurück, wo die Mutter und ihre beiden Söhne nach dem frühen Tod des Vaters beschaulich auf dem Land leben.
Offizieller Filmtrailer
Nerds trinken heimlich Tee
Auch die Mutter stirbt früh; J.R.R. ist gerade mal zwölf Jahre alt. Er und sein Bruder kommen in die Obhut eines Priesters. Der fördert das Sprachtalent seines Schützlings und verhilft ihm zu einem Stipendium in Oxford. Hier studiert Tolkien Klassische Literatur, zunächst eher lustlos – bis ihn ein Professor für die Vergleichende Sprachwissenschaft begeistern kann. Er entdeckt seine Leidenschaft für altnordische Sprachen und Mythen.
Diesen Werdegang inszeniert Karukoski mit einem wohligen, leicht antiquierten Flair. Vor neogotischer Kulisse wird dabei auch von einer Welt erzählt, die im Krieg untergehen sollte; in der schwärmerische junge Männer sich heimlich zum Teetrinken und Philosophieren treffen. Die so genannte „Tea Club Barrovian Society“, begründet von Tolkien und drei Mitstudenten, gab es tatsächlich; vier Jungs, frühe Nerds und dabei ziemlich cool, legten damit den Grundstein für ihre tiefe Freundschaft.
Randale in Fantasiesprache
Eine Parallele zum Figuren-Gespann aus dem „Herrn der Ringe“ ist hierbei offenbar intendiert, greift aber vielleicht zu kurz. Überhaupt bleiben viele der geschilderten Begebenheiten spekulativ; nur wenige Episoden aus Tolkiens frühem Leben sind verbrieft. Und auch einer der schönsten Dialoge dieses Films geht wohl auf die Vorstellungskraft der Drehbuchautoren zurück. Als sich Tolkien mit seiner Jugendliebe und späteren Frau Edith Bratt (Lily Collins) heimlich in einem noblen Restaurant trifft, diskutieren die beiden über das schönste Wort der englischen Sprache.
Sein exzentrischer Vorschlag ist „cellar door“, zu deutsch „Kellertür“. Das mündet erst in ein Wortgeplänkel, dann in eine Abenteuergeschichte und zum Schluss in eine rabiate Zuckerstückchenschlacht. Zumindest letztere ist verbürgt, ebenso wie Tolkiens Randalieren im trunkenen Zustand in einer Fantasiesprache. Viele Details sind jedoch der Imagination der Skript-Autoren geschuldet – weshalb die Erbenfamilie mit dem Film auch nicht einverstanden ist.
Didaktisch, aber erhellend
Hintergrund
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Gleichwohl macht der Film ohne Überhöhungen deutlich, wie wichtig die Verheerungen des Ersten Weltkriegs, aber auch die Kameradschaft, die Tolkien in der „Tea Club Barrovian Society“ erfahren hatte, für sein Werk wurden – sowie eben auch das Studium der teilweise „toten“ Sprachen, aus denen er dann die Kunstsprache des „Herrn der Ringe“ entwickelte.
Nostalgie trifft Popkultur
Andere Facetten seiner Biografie bleiben außen vor: Tolkiens tiefe Religiosität lässt der Film etwa zugunsten der Liebesgeschichte mit Edith aus. Die sorgt immerhin für einen Kontrapunkt zur etwas überstrapazierten Kriegshandlung. Auch die gut besetzte Darstellerriege und der nostalgische Blick auf eine Zeit, in der Tolkien ein ganz eigenes, neues Universum schuf, sorgen dafür, dass man gerne bei der Sache bleibt.
Die gegenwärtige Popkultur wäre ohne Tolkien gewiss eine andere. Allein dieser Hintergrund gibt diesem Film seine Berechtigung – auch wenn er kein Meisterwerk geworden ist.