Dome Karukoski

Tolkien

J.R.R. Tolkien (Nicholas Hoult) und seine spätere Frau Edith Bratt (Lily Collins) in einer Baumkrone. Foto: © 2019 Twentieth Century Fox
(Kinostart: 20.6.) Erst eine Zuckerstücke-Schlacht, dann die Grauen des Ersten Weltkriegs: Das Biopic über den Fantasy-Autor J.R.R. Tolkien, Schöpfer des "Herrn der Ringe", von Regisseur Dome Karukoski blickt facettenreich und nostalgisch auf eine untergegangene Welt.

Exotische Fremdsprachen zu beherrschen, etwa das Finnische, kann mitunter zu einer literarischen Weltkarriere führen – das zeigt das Biopic „Tolkien“ recht anschaulich. Dazu kamen in diesem konkreten Fall noch reichlich Fantasie und Fabulierlust. Und es entstand ein neues Literatur-Genre: der Fantasy-Roman! Das sah der Universitätsprofessor J.R.R. Tolkien (1892-1973) vermutlich nicht kommen, als er 1930 den ersten Satz seines „Hobbits“ zu Papier brachte; der Roman erschien 1937. Während des Zweiten Weltkriegs schrieb er dann an einem Nachfolgeprojekt, aus dem die noch berühmtere „Herr der Ringe“-Trilogie (1954/55) werden sollte.

 

Info

 

Tolkien

 

Regie: Dome Karukoski,

110 Min., USA 2019;

mit: Nicholas Hoult, Lily Collins, Colm Meaney

 

Weitere Informationen

 

Noch weniger konnte Tolkien ahnen, dass die Hippies ihn 30 Jahre nach seinem Debüt zum Kultautor machen sollten. Wie es dazu kommen konnte, zeichnet Dome Karukoski in seiner Filmbiografie nach; der Regisseur hatte zuvor das Biopic „Tom of Finland“ (2017) gedreht. Nun setzt er mit einem für Tolkien (Nicholas Hoult) prägenden Erlebnis ein: dem Ersten Weltkrieg. Zu dem hatte sich der junge Mann, wie seinerzeit viele, freiwillig gemeldet.

 

Vom Landleben in den Schützengraben

 

Zum Auftakt irrt Tolkien mit Fieber auf der Suche nach einem Jugendfreund durch die Schützengräben an der Somme. Im weiteren Verlauf wird dieses Motiv als Rückblende immer wiederkehren. Dazwischen behandelt die Geschichte weitgehend chronologisch die frühen Jahre des John Ronald Reuel Tolkien. Geboren wird er in Südafrika; die Familie kehrt bald nach England zurück, wo die Mutter und ihre beiden Söhne nach dem frühen Tod des Vaters beschaulich auf dem Land leben.

Offizieller Filmtrailer


 

 

Nerds trinken heimlich Tee

 

Auch die Mutter stirbt früh; J.R.R. ist gerade mal zwölf Jahre alt. Er und sein Bruder kommen in die Obhut eines Priesters. Der fördert das Sprachtalent seines Schützlings und verhilft ihm zu einem Stipendium in Oxford. Hier studiert Tolkien Klassische Literatur, zunächst eher lustlos – bis ihn ein Professor für die Vergleichende Sprachwissenschaft begeistern kann. Er entdeckt seine Leidenschaft für altnordische Sprachen und Mythen.

 

Diesen Werdegang inszeniert Karukoski mit einem wohligen, leicht antiquierten Flair. Vor neogotischer Kulisse wird dabei auch von einer Welt erzählt, die im Krieg untergehen sollte; in der schwärmerische junge Männer sich heimlich zum Teetrinken und Philosophieren treffen. Die so genannte „Tea Club Barrovian Society“, begründet von Tolkien und drei Mitstudenten, gab es tatsächlich; vier Jungs, frühe Nerds und dabei ziemlich cool, legten damit den Grundstein für ihre tiefe Freundschaft.

 

Randale in Fantasiesprache

 

Eine Parallele zum Figuren-Gespann aus dem „Herrn der Ringe“ ist hierbei offenbar intendiert, greift aber vielleicht zu kurz. Überhaupt bleiben viele der geschilderten Begebenheiten spekulativ; nur wenige Episoden aus Tolkiens frühem Leben sind verbrieft. Und auch einer der schönsten Dialoge dieses Films geht wohl auf die Vorstellungskraft der Drehbuchautoren zurück. Als sich Tolkien mit seiner Jugendliebe und späteren Frau Edith Bratt (Lily Collins) heimlich in einem noblen Restaurant trifft, diskutieren die beiden über das schönste Wort der englischen Sprache.

 

Sein exzentrischer Vorschlag ist „cellar door“, zu deutsch „Kellertür“. Das mündet erst in ein Wortgeplänkel, dann in eine Abenteuergeschichte und zum Schluss in eine rabiate Zuckerstückchenschlacht. Zumindest letztere ist verbürgt, ebenso wie Tolkiens Randalieren im trunkenen Zustand in einer Fantasiesprache. Viele Details sind jedoch der Imagination der Skript-Autoren geschuldet – weshalb die Erbenfamilie mit dem Film auch nicht einverstanden ist.

 

Didaktisch, aber erhellend

 

Hintergrund

 

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und hier einen Beitrag über den Film "Neruda" – grandioses Biopic über Pablo Neruda, chilenischer Literaturnobelpreisträger von 1971, von Pablo Larrain

 

Auch wer ein Heldenepos erwartet, welches das überbordende Werk des Autors feiert, wird eher enttäuscht. „Tolkien“ ist ein solides Biopic, das versucht, die Einflüsse und Inspirationsquellen eines Genies greifbar zu machen. Dabei wirkt es ein wenig didaktisch; die positivistisch angelegte Interpretation dieser Künstlerbiografie wird nicht jedem gefallen.

 

Gleichwohl macht der Film ohne Überhöhungen deutlich, wie wichtig die Verheerungen des Ersten Weltkriegs, aber auch die Kameradschaft, die Tolkien in der „Tea Club Barrovian Society“ erfahren hatte, für sein Werk wurden – sowie eben auch das Studium der teilweise „toten“ Sprachen, aus denen er dann die Kunstsprache des „Herrn der Ringe“ entwickelte.

 

Nostalgie trifft Popkultur

 

Andere Facetten seiner Biografie bleiben außen vor: Tolkiens tiefe Religiosität lässt der Film etwa zugunsten der Liebesgeschichte mit Edith aus. Die sorgt immerhin für einen Kontrapunkt zur etwas überstrapazierten Kriegshandlung. Auch die gut besetzte Darstellerriege und der nostalgische Blick auf eine Zeit, in der Tolkien ein ganz eigenes, neues Universum schuf, sorgen dafür, dass man gerne bei der Sache bleibt.

 

Die gegenwärtige Popkultur wäre ohne Tolkien gewiss eine andere. Allein dieser Hintergrund gibt diesem Film seine Berechtigung – auch wenn er kein Meisterwerk geworden ist.