Francis Ford Coppola

Apocalypse Now – Final Cut (WA)

Charlie don't surf: Lieutenant Colonel Bill Kilgore (Robert Duvall) lässt seine GIs im Granatenfeuer demonstrieren, wie cool US-Surfer sind. Foto: Copyright: Studiocanal GmbH
(Kinostart: 15.7.) Der beste Kriegsfilm aller Zeiten: 1979 schuf Regisseur Francis Ford Coppola ein absolutes Meisterwerk – seine Entstehung war so desaströs wie das Geschehen selbst. Nun kommt die digital restaurierte Neufassung ins Kino: nur für einen Tag!

„Apocalypse Now“ von 1979 ist zweifellos einer der besten Filme aller Zeiten. Und der beste Kriegsfilm ohnehin: Den berühmt-berüchtigten Wahnsinn des Krieges, den so viele Filme anklagen wollen – „Apocalypse Now“ stellt diesen Wahnsinn nicht dar, sondern verkörpert ihn. Er quillt aus jeder Szene und jedem Dialog, in sich unablässig steigerndem Furor. Weil Francis Ford Coppola und sein Team beim Dreh die Kriegswirren quasi ausagierten.

 

Info

 

Apocalypse Now -
Final Cut (WA)

 

Regie: Francis Ford Coppola,

183 Min., USA 1979/2019

mit: Marlon Brando, Martin Sheen, Dennis Hopper, Harrison Ford

 

Weitere Informationen

 

„The movie is not about Vietnam. It is Vietnam“, betonte der Regisseur bei der Premiere auf dem Festival von Cannes: „We were in the jungle; there were too many of us. We had access to too much money, too much equipment – and little by little, we went insane.“ („Der Film handelt nicht vom Vietnamkrieg. Er ist Vietnam. Wir waren im Dschungel; wir waren zu viele. Wir hatten zu viel Geld, zu viel Ausrüstung – und allmählich wurden wir wahnsinnig.“)

 

Tropensturm + Herzinfarkt

 

Zudem litt das Projekt unter Dauerbeschuss von Widrigkeiten: Ein Tropensturm zerstörte den kompletten Set. Hauptdarsteller Harvey Keitel wurde nach zwei Wochen wegen overacting von Coppola gefeuert und durch Martin Sheen ersetzt. Der erlitt mitten in den Dreharbeiten einen Herzinfarkt und lag lange im Krankenhaus. Zuvor hatte er in der Anfangsszene – Sheen wartet als Captain Willard 1969 in seinem Saigoner Hotelzimmer auf den nächsten Einsatz – aus Verzweiflung einen Spiegel mit der Faust zertrümmert, die stark blutete; das blieb im Film.

Offizieller Filmtrailer


 

Flussfahrt ins Herz der Finsternis

 

Dabei ist „Apocalypse Now“ eigentlich die Adaption eines Literaturklassikers: der Erzählung „Herz der Finsternis“ (1899) von Joseph Conrad. Darin schildert der britische Schriftsteller polnischer Abstammung die Fahrt eines Dampfboots den Kongo-Fluss hinauf: Im damaligen Belgisch-Kongo ließ König Leopold II. Rohstoffe wie Elfenbein mit so unerhörter Brutalität zusammenraffen, dass sogar zur Hochzeit des Imperialismus in Europa dagegen protestiert wurde. Conrads Erzähler Marlow sucht nach dem Agenten Kurtz, der am Flussoberlauf mehr Elfenbein als alle Kollegen angehäuft hat – aber sich seit einem Jahr nicht mehr meldet.

 

Kurtz heißt auch die von Marlon Brando verkörperte, eigentliche Hauptfigur von „Apocalypse Now“. Der brillante Elite-Offizier der US-Armee begann irgendwann, Befehle zu missachten, und zog sich mit Deserteuren und einheimischen Kämpfern auf kambodschanisches Gebiet am Mekong-Oberlauf zurück. Seine Gefolgsleute verehren ihn in einem parareligiösen Kult; mit ihnen herrscht und wütet er grausam. Da er als abtrünniger Warlord den US-Kriegszielen schadet, soll er von Captain Willard liquidiert werden – dem kommt sein Auftrag so vor, als solle er „beim Autorennen Verwarnungen wegen zu hoher Geschwindigkeit ausstellen“.

 

Zu Wagner-Klängen Napalm abwerfen

 

Der Weg ist das Ziel: Willards Reise stromaufwärts auf einem Patrouillenboot mit vier Mann Besatzung wird zum Höllentrip – zu einer seelischen Achterbahnfahrt durch den Irrsinn eines Guerillakriegs, bei der jede Episode die vorherige an surrealem Aberwitz übertrumpft; sie basieren auf Kriegsreportagen von Michael Herr. Mit Bildern des Grauens, die sich unauslöschlich ins Gedächtnis einbrennen: wie US-Kampfhubschrauber ein vietnamesisches Dorf mit Napalm zerfetzen – zu den Klängen von Wagners „Ritt der Walküren“. Wie deren Kommandeur Lieutenant Kilgore (Robert Duvall) seine Soldaten am Strand surfen lässt, während noch Granaten neben ihnen einschlagen.

 

Wie mitten im Urwald eine Bühne aufgebaut wird, damit Playboy-Bunnies ausgehungerte GIs mit Showtänzen amüsieren können – dabei läuft alles aus dem Ruder, so dass die Bilder zum Schluss denen vom schmählich hektischen Abzug aus Saigon 1975 gleichen. Wie eine Routine-Bootskontrolle auf dem Fluss versehentlich in ein Massaker ausufert. Wie feindliches Nonstop-Geballer an der Front-Brücke nachts so verführerisch wie ein Prunkfeuerwerk wirkt. Und wie Captain Willard von Dennis Hopper als Fotoreporter durch Kurtz‘ Heerlager in einem antiken Khmer-Tempel geführt wird: aufgespießte Köpfe und verstümmelte Leichen zwischen steinernen Pagoden und Löwen-Skulpturen.

 

Neue Episode mit Franzosen

 

All diese Szenen hat jeder miterlebt, der die reguläre Kinofassung mit 153 Minuten kennt. Doch sie entstand als Kompromiss zwischen Coppola und den Geldgebern; eigentlich hatte der Regisseur etwas Anderes im Sinn. 2001 wurde „Apocalypse Now Redux“ veröffentlicht; dieser „Director’s Cut“ war mehr als 200 Minuten lang. Zum 40. Jahrestag der Erstaufführung erscheint nun der „Final Cut“ mit 183 Minuten Laufzeit, digital in 4K restauriert und mit neu abgemischter Dolby-Tonspur – laut Coppola entspricht diese „endgültige Fassung“ dem, was ihm von Anfang an vorgeschwebt hatte.

 

Sie weicht erheblich von der ersten Fassung ab. Am stärksten bei einer ganzen Episode, die zunächst dem Schnitt zum Opfer fiel: Das Patrouillenboot erreicht eine Plantage französischer Pflanzer, die hinter den feindlichen Linien ausharren – mit allen Insignien verblichener französischer Kolonialherrlichkeit. Als Willard ihnen rät, schleunigst „in ihre Heimat“ zu verschwinden, entgegen sie ihm: Indochina sei ihre Heimat.

 

Kein Luftangriff auf Kurtz-Lager

 

Auch das Ende hat sich völlig verändert. In der ursprünglichen Version ist im Abspann zu sehen, wie Kurtz‘ Hauptquartier zerstört wird; das suggerierte, die US-Army habe es mit Luftschlägen ausgelöscht. Tatsächlich handelte es sich nur um Making-of-Aufnahmen vom Abbruch der Kulissen im Dschungel; um Fehlinterpretationen vorzubeugen, läuft nun der Abspann vor neutralem schwarzen Hintergrund.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die Verlegerin" - packender Polit-Thriller über Vietnamkrieg-Medien-Affäre 1971 von Steven Spielberg

 

und hier eine Besprechung des Films "The Last Movie (WA)" - faszinierend vielschichtiger Meta-Western von 1971 von und mit Dennis Hopper

 

und hier einen Beitrag über den Film "Der Schamane und die Schlange – Embrace of the Serpent" – atemberaubendes Dschungeldrama am Amazonas nach Motiven von Joseph Conrads "Herz der Finsternis" von Ciro Guerra.

 

Vor allem macht aber die neue, erweiterte Fassung in blendender Qualität deutlich, wie historisch entrückt das konkrete Geschehen inzwischen ist. In den USA galt die allgemeine Wehrpflicht; ganze Jahrgänge wurden zum Dschungelkrieg verpflichtet, dessen Schauplätze wie Sinn ihnen völlig unverständlich waren. Ihr Protest dagegen, verheizt zu werden, sollte den stärksten Wandel der Nachkriegszeit lostreten.

 

„The horror, the horror!“

 

Diese GIs trugen Jeans, nahmen Drogen und hörten psychedelischen Rock von Jimi Hendrix und The Doors – aber erfuhren Neues von zuhause nur per Feldpost. Zugleich war der Vietnamkrieg der erste und letzte Krieg, über den umfassend und schrankenlos im Fernsehen berichtet wurde; samt aller schmutzigen Details, was die Moral an der Heimatfront untergrub. Daraus haben die Mächtigen weltweit gelernt: Seither wird im Kriegsfall – wie vor Vietnam – stets zensiert, beschönigt und gelogen.

 

Gleich geblieben ist das Entsetzen über die eigene Dehumanisierung und Bestialität, die unerträgliche Intensität der Todesnähe – mit den berühmten letzten Worten von Kurtz, im Buch wie im Film: „The horror, the horror!“ Allein für diese unübertrefflich in delirierende Bilder umgesetzte Erfahrung lohnt „Apocalpse Now“, in welcher Version auch immer; mehr als alle Kriegsfilme vor oder nach ihm.

 

Leider bringt der Verleih den „Final Cut“ zunächst nur für einen einzigen Tag – Montag, den 15. Juli – in die deutschen Kinos; ob er danach weiter gezeigt wird, ist ungewiss. Wie bei einem Himmelfahrtskommando: Die entscheidende Gelegenheit geht nach wenigen Augenblicken unwiederbringlich verloren.