Denys Arcand

Der Unverhoffte Charme des Geldes

Ein ungleiches Gauner-Paar: Camille Lafontaine (Maripier Morin) und Pierre-Paul Daoust (Alexandre Landry). Foto: MFA+FilmDistribution e.K.
(Kinostart: 1.8.) Es gibt ein richtiges Leben im falschen: Paketbote, Prostituierte und Rockerboss unterschlagen Millionen für einen guten Zweck. Was abseitig klingt, macht Regisseur Denys Arcand zur brillant kritischen wie ironischen Krimikomödie mit Sex Appeal.

Am Anfang steht ein Ende: Pierre-Paul Daoust (Alexandre Landry) sitzt mit seiner Noch-Freundin beim Kaffee und macht der Gesellschaft ‎den Prozess. Die Mächtigen seien allesamt eigennützig und ungebildet; von Philosophie hätten sie keine Ahnung. Berühmte Philosophen seien aber keinen Deut besser: „Heidegger war ein Faschist, Sartre ein Stalinist; Althusser hat seine Frau erdrosselt!“ Wahre Geistesgröße fände man nur bei Randexistenzen wie ihm selbst, behauptet er. Solche Weltverachtung gepaart mit Hybris ist der Bankangestellten neben ihm zuviel: Sie geht grußlos. Er ist zerknirscht.

 

Info

 

Der Unverhoffte Charme des Geldes

 

Regie: Denys Arcand,

129 Min., Kanada 2018;

mit: Alexandre Landry, Maripier Morin, Rémy Girard

 

Weitere Informationen

 

Wenn Du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her – und sei es in Form eines Raubüberfalls. Pierre-Paul hat zwar in Philosophie promoviert, arbeitet aber als Paketbote. Als er vor einem Laden hält, wird er Zeuge einer wilden Schießerei, bis alle tot in ihrem Blut liegen oder schwer verletzt fliehen. Zurück bleiben Säcke voller Geld, das buchstäblich auf der Straße liegt; Pierre-Paul muss nur zugreifen. Die rasch eintreffende Polizei kommt nicht auf die Idee, seinen Lieferwagen zu untersuchen; also fährt er mit der Millionenbeute einfach davon.

 

Aspasia lehrte Sokrates Rhetorik

 

Was damit anfangen? In seiner Bude voller Bücher sucht der Antiheld erstmal online nach Nutten. Alle sind ihm zu vulgär, bis auf Camille (Maripier Morin), die sich „Aspasia“ nennt. So hieß eine im antiken Athen berühmte Hetäre; sie unterhielt einen philosophischen Salon und soll Sokrates Rhetorik gelehrt haben. Wie könnte Pierre-Paul diesem Pseudonym widerstehen? Camille findet allerdings rasch heraus, dass ihr Freier nicht nur erotisch unerfahren ist, sondern zudem einen Batzen Geld hortet. Was inzwischen auch die Polizei ahnt.

Offizieller Filmtrailer


 

Schwarzgeld für Obdachlose waschen

 

Der Paketbote mit Doktortitel mag etwas weltfremd sein, doch er ist intelligent – und weiß, was er nicht kann. Als partner in crime heuert er Sylvain (Rémy Girard) an: Der Ex-Chef einer Rockerbande wurde soeben aus dem Gefängnis entlassen. Gemeinsam lagern sie den Mammon zwischen und tüfteln an einem Plan, das Schwarzgeld zu waschen. Mittlerweile hat Camille Gefallen an Pierre-Paul gefunden und stellt den Kontakt zu einem Experten her: Ihr früherer Stammkunde Wilbrod Taschereau (Pierre Curzi) arbeitet als Fachanwalt für Steuerhinterziehung und kennt alle Tricks. Er beschert dem Zuschauer einen Crash-Kurs über Fiskalparadiese.

 

Mal ehrlich: All das klingt haarsträubend, oder? Ein hochnäsiger McJobber, eine Hure mit goldenem Herzen und ein Rockerboss machen gemeinsame Sache – und dann auch noch für einen guten Zweck? Pierre-Paul engagiert sich nämlich bei der lokalen Obdachlosen-Hilfe; solche Unterstützung sei in der von Gier und Korruption zerfressenen Gesellschaft das Einzige, was zähle. Dieser krause Motiv-Mix wirkt ähnlich schräg und verstiegen wie die Thesen der Hauptfigur. Doch Regie-Genie Denys Arcand verwandelt ihn in eine rasante, faszinierende und geistreiche Sittenkomödie.

 

Auslands-Oscar für Sterbe-Chronik

 

Arcand, neben Denis Villeneuve der renommierteste frankokanadische Regisseur, lässt sich für seine Filme viel Zeit; an Drehbüchern feilt er jahrelang. Seinen Durchbruch erlebte er 1986 mit „Der Untergang des amerikanischen Imperiums“ – kein Action-Blockbuster, sondern ein Konversationsfilm. Eine Gruppe von Intellektuellen trifft sich in einem Landhaus, kocht und redet unaufhörlich: über Politik, Kultur, Amouren und Sex. Was wie ein Hörspiel-Skript wirkt, funktionierte dank funkelnder Dialoge als Spielfilm hervorragend.

 

In „Jesus von Montreal“ (1989) kontrastierte Arcand religiöse Verheißung mit der Gegenwart – am Beispiel einer Off-Theatergruppe. Und „Die Invasion der Barbaren“ legte er 2003 als Fortsetzung des „Untergangs“-Films von 1986 an: Während ein alter Professor im Sterben liegt, kümmert sich sein pragmatischer Sohn um einen würdevollen Abschied. Für diese Chronik einer Agonie erhielt Arcand den Auslands-Oscar. Sein aktueller Film 15 Jahre später darf als neue Folge in dieser Generationen-Saga gelten; mit Rémy Girard und Pierre Curzi spielen auch zwei langjährige Vertraute mit.

 

Linksliberale Langzeitbeobachtung

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Ein Gauner & Gentleman" - lässige Gangsterkomödie von David Lowery mit: Robert Redford

 

und hier eine Besprechung des Films "Abgang mit Stil - Going in Style" - feinsinnige Rentner-Gauner-Komödie von Zach Braff mit Morgan Freeman + Michael Caine

 

und hier einen Beitrag über den Film "Gabrielle – (K)eine ganz normale Liebe" - turbulente Tragikomödie über Liebe unter Behinderten von Louise Archambault mit Alexandre Landry

 

und hier einen Bericht über den Film "Ich, Daniel Blake" – packendes Prekariats-Sozialdrama von Ken Loach, prämiert mit der Goldenen Palme in Cannes 2016.

 

Im Grunde macht Arcand seine Filme immer über das Milieu, dem er selbst angehört: linke und liberale Akademiker in Montréal. Über ihre Illusionen und Enttäuschungen, die Irrungen und Wirrungen ihres Herzens und Unterleibs, ihre Ernüchterung und neue Anläufe, um sie zu überwinden. Weil der Regisseur so unbeirrt seinem Lebensthema treu bleibt, wird daraus eine Langzeitbeobachtung besonderer Art.

 

Gerade das europäische Publikum spricht an, was diese Frankokanadier umtreibt: ihr America bashing, ihre Verachtung für dessen kruden Materialismus, ihr Laissez-faire und Savoir-vivre. Doch der Regisseur lässt sein Personal nie Phrasen dreschen, sondern unbestechlich den Stand der Dinge beobachten. Dass alle Großtheorien zerstoben und Beziehungen durchökonomisiert sind, Kostenkontrolle und Data Mining die Verhältnisse bestimmen, ist für Arcand kein Anlass zur Klage, sondern für messerscharfe Ironie und geschliffene Bonmots.

 

Geist mit Sex Appeal und umgekehrt

 

Ohnehin haben manche großen Regisseure in etlichen Filmen mehr oder weniger dasselbe Milieu porträtiert, etwa Éric Rohmer, Woody Allen oder Ken Loach. Anders als beim Fließbandfilmer Allen merkt man aber bei Arcand jederzeit, wie sorgfältig ausgearbeitet seine optisch schlichten Werke sind. Und anders als beim Klassenkämpfer Loach geht es dem Kanadier nie nur um Menschenrechte und Lohnzettel, sondern auch um Humanität und Liebesglück. Für Arcand hat der Geist stets Sex Appeal und umgekehrt. Das macht kurze Abstecher ins Utopische, die er sich gestattet, so verführerisch.